Die zm-Kolumne rund um die relevanten Praxisfragen

§ 616 BGB: Nachträglicher Ausschluss ist problematisch

Christian Henrici

Diese Frage entfaltet aktuell in der Corona-Pandemie sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber große Relevanz. In der Regel gehen hier Arbeitgeber aufgrund von mangelhafter Aufklärung von einer zweifelhaften „Heilung“ vermeintlicher Fehler im Angestelltenvertrag aus.

Die Rechtsgrundlage

Der Arbeitnehmer wird durch das deutsche Rechtssystem grundsätzlich vor Lohnausfall geschützt, wenn er seine Arbeit kurzzeitig nicht mehr erbringen kann. Dabei muss man verschiedene Varianten unterscheiden:

Für den unverschuldeten Krankheitsfall des Arbeitnehmers, also auch bei einer Corona-Infektion, sieht § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz vor: „Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“ Dieser Anspruch des Arbeitnehmers ist gemäß § 12 Entgeltfortzahlungsgesetz nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abdingbar. Zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber kann also keine vertragliche Vereinbarung geschlossen werden, die diesen Anspruch aufheben könnte.

Wird der Arbeitnehmer hingegen durch das Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt, etwa aufgrund des Kontakts zu einem Corona-Infizierten oder zu einem Corona-Verdachtsfall, hilft das Entgeltfortzahlungsgesetz dem Arbeitnehmer nicht. Denn es liegt kein Krankheitsfall vor, der den Arbeitnehmer davon abhält, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Diese Verhinderung resultiert vielmehr aus einer behördlichen Anordnung. Hier hilft dem Arbeitnehmer jedoch § 616 S. 1 BGB weiter, der regelt, dass „der zur Dienstleistung Verpflichtete nicht des Anspruchs auf die Vergütung dadurch verlustig wird, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird“.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein solcher Anspruch des Arbeitnehmers – anders als ein Anspruch im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes – jedoch unter gewissen Voraussetzungen abdingbar (vgl. BAG, Urteil vom 7. Februar 2007 – 5 AZR 270/06 –, ZUM 2007, 507). Dies entspricht also genau der Situation unseres Fragestellers, der sich mit dem – grundsätzlich zulässigen – Ansinnen seines Arbeitgebers konfrontiert sieht, vertraglich auf § 616 S. 1 BGB zu verzichten.

Das Interesse des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat ein nicht unerhebliches finanzielles Interesse an einer solchen Vereinbarung. Denn aufgrund der akuten Infektionszahlen steigt sein Risiko quarantänebedingter Abwesenheit seiner Beschäftigten, was für ihn grundsätzlich bedeutet: voller Lohn ohne Arbeit. Ferner kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch noch auf eine Alternative hinweisen. § 56 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz sieht vor: „Wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld.“

Das heißt, der Arbeitnehmer könnte sich sein Geld für die Quarantänezeit auch vom Staat holen. Doch hier lauert eine große Gefahr für den Arbeitnehmer. Denn er hat nur Anspruch im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 1, wenn ein Anspruch gegen den Arbeitgeber im Sinne des § 616 S. 1 BGB nicht besteht. In diesem Sinne urteilte schon der Bundesgerichtshof zum Vorläufer des Infektionsschutzgesetzes (BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 –, BGHZ 73, 16).

Bei einer nachträglichen vertraglichen Abbedingung des Anspruchs des Arbeitnehmers im Sinne des § 616 S. 1 BGB, wie ihn ja der Arbeitgeber vom Fragesteller verlangt, könnte daher der Eindruck entstehen, dass durch den Vertrag der Arbeitgeber gezielt auf Kosten des Staates entlastet werden soll. Denn warum sollte sich der Arbeitnehmer ansonsten auf eine solche Verschlechterung seines Arbeitsvertrags einlassen, wenn nicht sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer stillschweigend von einem Anspruch des Arbeitnehmers nach dem Infektionsschutzgesetz ausgehen würden?

Leider nur Nachteile für den Arbeitnehmer

Eine solche Konstellation, in der ein unbeteiligter Dritter durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen zwei Parteien gezielt belastet werden soll, wird juristisch als unzulässiger Vertrag zulasten Dritter bezeichnet und ist unwirksam (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – IV ZR 121/17 –, NJW 2018, 2958). Der Staat könnte sich daher gegenüber dem Arbeitnehmer auf den Standpunkt stellen, dass die vertragliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber unwirksam ist. Er würde dann Zahlungen im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz mit dem Hinweis auf den gegen den Arbeitgeber bestehenden Anspruch des Arbeitnehmers im Sinne des § 616 S. 1 BGB verweigern.

Wendet sich der Arbeitnehmer anschließend an den Arbeitgeber, verweigert dieser unter Hinweis auf den unterschriebenen Vertrag jedoch ebenfalls die Zahlung. Der Arbeitnehmer wird dann gezwungen, seinen Zahlungsanspruch gegen den Staat oder Arbeitgeber auf dem Klageweg geltend zu machen. Ausgang ungewiss, denn es gilt das alte Sprichwort: Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand.

Fazit

Ein Arbeitnehmer sollte das Ansinnen seines Arbeitgebers auf (nachträglichen) vertraglichen Ausschluss des § 616 S. 1 BGB aus den genannten Gründen zurückweisen. Auch wäre die Geltendmachung eines Anspruchs des Arbeitnehmers nach dem Infektionsschutzgesetz ohnehin mit erheblichem Mehraufwand verbunden, da er zunächst die zuständige Behörde herausfinden und dort alle relevanten Unterlagen einreichen müsste. Ob er dann auch zeitnah sein Geld bekommt, darf ebenfalls bezweifelt werden.

Abschließend glaube ich, dass einige Praxisinhaber nicht ausreichend aufgeklärt sind, ansonsten würden sie so etwas wohl nicht anbieten. Daher rate ich dringend davon ab. Ich gehe davon aus, dass sie ja sowieso das Gehalt weiterzahlen würden, wenn der Mitarbeiter es nicht bekommen sollte, denn ansonsten bliebe er oder sie nach Gesundung sicher nicht mehr allzu lange in dieser Praxis.

In diesem Sinne...
Ihr Christian Henrici

zusammen mit Dr. Sören Pansa,
Mitglied im Praxisflüsterer-Team

Henrici@opti-hc.de, www.opti-hc.de

Christian Henrici

Dipl. Kfm. Christian Henrici ist seit 2006 Gründer und Geschäftsführer der OPTI health consulting GmbH, die nach eigenen Angaben seit 2006 rund 3.000 Zahnarztpraxen in Deutschland beraten hat. Henrici ist Lehrbeauftragter und Referent für Controlling, Personal und Businessplanung. Als Autor erschien von ihm im Quintessenz-Verlag das Buch „Wer braucht schon gutes Personal? – Erfolgreich führen in der Zahnarztpraxis“. Christian Henrici schreibt Fachbeiträge zu den Themen Betriebswirtschaft, Organisation und Führung & Personal in der Zahnarztpraxis und seine regelmäßige Kolumne in den zm.

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