Nach dem Brexit

Was erwartet Zahnärzte aus der EU jetzt in Großbritannien?

Zahnärztinnen und Zahnärzte aus der EU müssen sich zunächst keine Sorgen machen, sollten sie sich jetzt für einen Job in Großbritannien entscheiden. Für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren werden EU-Qualifikationen weiterhin anerkannt. Doch nach 2022 dürften Zulassungen schwieriger, komplizierter und aufwendiger werden. Auch für Zahnmedizinstudierende aus der EU brechen auf der Insel unsichere Zeiten an.

Viel Unsicherheit in den Praxen, viele offene Fragen und generell ein Gefühl, dass für den Zahnarztsektor in Großbritannien eine neue Zeitrechnung begonnen hat – wenige Wochen, nachdem das Königreich endgültig die EU verlassen hat, beginnt man in den Praxen, Universitäten und Berufsverbänden auf der Insel zu sondieren, was der Brexit ganz konkret für die Zukunft der Zahnmedizin in Großbritannien bedeuten wird.

„Was die derzeitige Lage besonders schwierig für uns macht, ist die Kombination aus Brexit und der COVID-19-Pandemie“, so der Londoner Zahnarzt Dr. Michael Wilson gegenüber den zm. Wilson praktiziert seit über 20 Jahren in einer Praxis im Süden Londons. Was der Brexit konkret für die Zukunft seiner und aller anderen Praxen bedeuten wird – Wilson ist optimistisch, dass letztlich „alles okay“ sein werde, so der Zahnmediziner.

Viele Fragen bleiben weiterhin offen

Zwar konnten sich Brüssel und London – quasi im letzten Moment – am Heiligabend auf ein Brexit-Abkommen („Trade and Corporation Agreement, TCA“) einigen. Allerdings bleiben viele Fragen, die wichtig sind für den britischen und den europäischen Zahnarztsektor, weiterhin offen. „Da muss noch viel nachverhandelt und geklärt werden“, so ein Sprecher des Londoner Gesundheitsministeriums. „Aber wir sind auf einem guten Weg.“

Stichwort Anerkennung von beruflichen Qualifikationen: Rund 17 Prozent der rund 41.000 im britischen Zahnarztsektor praktizierenden Zahnmediziner haben eine Zulassung, die auf Basis von Qualifikationen beruht, die innerhalb der EU erworben wurden. In dieser Zahl enthalten sind auch britische Kolleginnen und Kollegen, die einst ihre beruflichen Qualifikationen in der EU erwarben, jetzt aber im staatlichen britischen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) oder in britischen Privatpraxen praktizieren.

Frisch qualifizierte Zahnmediziner aus der EU- und aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EEA) müssen sich laut britischem Zahnärzteverband (British Dental Association, BDA) zunächst keine Sorgen machen, sollten sie sich für einen Job in Großbritannien entscheiden. Der britische General Dental Council (GDC), ein Organ der zahnärztlichen Selbstverwaltung, wird nach eigenen Angaben EU- und EEA-Qualifikationen für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren anerkennen. Bis dahin, so hofft man in London, werde eine langfristige, neue Lösung gefunden. Erste Gespräche zwischen London und Brüssel sind bereits in Vorbereitung.

Eine Einigung ist für die Briten dabei „überlebenswichtig“, denn: „Ohne EU-Talente gingen gerade in der staatlichen Zahnmedizin schnell die Lichter aus“, so ein anderer Londoner Zahnarzt, der lieber anonym bleiben möchte. In seiner Praxis im Londoner Westend kommt die Mehrzahl der Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter aus anderen EU-Ländern – auch und gerade bei den Praxisteams ist der Anteil der EU-Ausländer hoch.

Ohne EU-Zahnärzte gäbe es große Lücken

Auch wichtig zu wissen: Private zahnärztliche Versorgungsangebote sind in den vergangenen Jahren in Großbritannien immer wichtiger geworden. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die staatliche Versorgung seit vielen Jahren von wechselnden Regierungen finanziell bewusst kurz gehalten wird. Privatpraxen profitieren; viele Patienten sehen oftmals keine Alternative, als sich privat behandeln zu lassen. Und auch in der privaten Zahnmedizin in Großbritannien gilt: Ohne EU-Zahnärztinnen und -Zahnärzte und -Praxispersonal würde es große Versorgungslücken geben.

Eile ist also geboten, um eine auch langfristig tragfähige und praktikable Einigung mit Brüssel zu finden. Was nach 2022 mit der Anerkennung beruflicher Qualifikationen wie mit Arbeitserlaubnissen und Zulassungen geschieht – niemand weiß es momentan. „Das sorgt mich schon sehr“, so Wilson.

Spricht man „off the record“, also vertraulich, mit Vertretern der zahnärztlichen Selbstverwaltung im Königreich, wird schnell klar: Niemand erwartet, dass sich die Situation für EU-Zahnärzte im Königreich als Folge des Brexit langfristig bessern wird. Im Gegenteil – Zulassungen dürften schwieriger, komplizierter und aufwendiger werden.

Off the record sieht man den Brexit kritisch

Der BDA bezieht in Sachen Brexit offiziell zwar eine neutrale Position – weder pro noch contra EU-Austritt. „Unsere Aufgabe ist es, unsere Mitglieder nach besten Kräften zu unterstützen, um mit den Folgen des Brexit klar zu kommen“, heißt es bei der BDA in London. Allerdings wird in privaten Gesprächen mit britischen Zahnärzten oft schnell deutlich, dass viele Kolleginnen und Kollegen den EU-Austritt nach 47 Jahren eher kritisch sehen – sowohl was die eigene Praxis angeht als auch was Forschung, Wissenschaft und Ausbildung anbelangt.

Die BZÄK informiert

Brexit – Ende der automatischen Anerkennung von Berufsabschlüssen

Mit Inkrafttreten des Partnerschaftsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich ab dem 1. Januar 2021 wurde die automatische Anerkennung von Berufsabschlüssen, damit auch von zahnmedizinischen Abschlüssen, aufgehoben. Es gilt ein Bestandsschutz für alle vor dem Stichtag eingereichten Anträge. Alle neuen Anträge auf Anerkennung hingegen unterliegen dem Verfahren für Drittstaaten, sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU. Dies bedeutet einen erhöhten zeitlichen wie bürokratischen Aufwand für neue Antragsstellungen.

Bundeszahnärztekammer

Für Zahnmedizinstudierende aus der EU, die nach dem Brexit weiter in Großbritannien studieren möchten, begann zur Jahreswende eine Zeit neuer Ungewissheit. Wie wird der EU-Austritt das Studium in Zukunft tangieren? Was wird sich ändern? – Spricht man mit Studenten und Ausbildern wird schnell klar, dass auch hier die Unsicherheiten angesichts einer ungewissen Zukunft groß sind.

Für Studenten wird es nicht leichter oder besser

Viel wird davon abhängen, wie die fortlaufenden Gespräche und Verhandlungen zwischen Großbritannien und seinen europäischen Partnern laufen werden. Klar ist bislang nur, dass die Situation für Studierende nach dem Brexit „bestimmt nicht leichter oder besser“ werden dürfte, heißt es bei Berufsorganisationen und Lobbygruppen. „Wir warten auf eine Klarstellung seitens der europäischen Universitäten, wie zum Beispiel das Studium britischer Studenten an EU-Universitäten in Zukunft aussehen wird“, ist bei der BDA in London zu hören. Ähnlich dürfte es sich für deutsche und andere europäische Studenten verhalten, die im Königreich jetzt oder zukünftig studieren wollen. Gespräche laufen – Ausgang ungewiss.

Klar ist, dass man auf beiden Seiten hofft, dass der Studien- und Ausbildungsbetrieb in der Zahnmedizin trotz Brexit möglichst weiter ungehindert laufen kann. Vorsichtiger Optimismus überwiegt, zumal in Großbritannien auf die teils seit vielen Jahrzehnten bestehenden guten Beziehungen zwischen britischen und europäischen Universitäten hingewiesen wird. Studierende sind gut beraten, die Entwicklungen der kommenden Wochen und Monate genau zu beobachten.

Die Kooperationen sollen weiter blühen

Für Forschung und Lehre gilt, dass das Königreich nach dem EU-Austritt weiter mit der EU, deren Institutionen und Forschungs- und Ausbildungsstätten zu kooperieren wünscht. Zitat: „Es liegt im Interesse sowohl der EU als auch Großbritanniens, dass die bestehenden Netzwerke und Kooperationen weiter bestehen und weiter blühen. Wir werden aktiv daran arbeiten, bestehende Kooperationen zu pflegen und auszubauen und wir streben freundschaftliche Beziehungen zu unseren EU-Partnern an.“

Und weiter heißt es im Brexit-Papier: „Wir stehen bereits in Verhandlungen mit der EU, um ein neues Kapitel im europäischen Forschungs- und Wissenschaftsprogramm mit Start 2021 aufzuschlagen.“ Ausdrücklich erwähnt wird in dem Papier das Interesse der Briten, weiterhin an EU-Programmen wie „Euratom“ und „Horizon Europe“ zu partizipieren. Viele dieser Kooperationen zwischen britischen und europäischen Universitäten und Instituten bestehen seit Jahrzehnten – zum Vorteil aller.

Arndt Striegler

Freier Journalist, London
kurtstriegler@gmail.com

Arndt Striegler

Freier Journalist, London

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