Das elektronische Patientendossier in der Schweiz

Nicht so gut wie Ricola

Auch die Schweiz bringt eine elektronische Patientenakte an den Start: das elektronische Patientendossier (EPD) – für Krankenhäuser verpflichtend, für Ärzte und Patienten nicht. Das Projekt schlägt allerdings nicht so durch wie das Kräuterbonbon: Die Einführung zieht sich, bisher sind erst zwei regionale Dossiers eingerichtet, lange war nur eine Desktop-Version angedacht. Und wann das Projekt zum Abschluss kommt, weiß keiner.

Krankenhäuser, Reha-Kliniken und stationäre Psychiatrien müssen sich innerhalb von drei Jahren einer zertifizierten Stammgemeinschaft anschließen, die das Dossier betreibt und unterstützt. So sieht es das Schweizer Bundesgesetz über das EPD vor, dessen gesetzte Einführungsfrist zum 15. April 2020 freilich nicht einzuhalten war.

 Stammgemeinschaften sind Zusammenschlüsse von mehreren – meist regionalen – Leistungserbringern. Oft werden sie im Kanton (manchmal aber auch kantonübergreifend) von den jeweiligen Krankenhäusern gebildet. Bisher gibt es nur eine einzige landesweite Stammgemeinschaft: Abilis – die nationale, interprofessionelle und vom Bund zertifizierte Stammgemeinschaft der Apotheker.

Aber zurück zur Einführung: Mit einer Verzögerung von acht Monaten ging schließlich im Dezember 2020 im Kanton Aargau das erste EPD namens „emedo“ an den Start: Das Dossier soll bis Ende März 2021 in allen Aargauer Akutspitälern, Reha-Kliniken und Psychiatrien ausgerollt werden, um dann auch Pflegeinstitutionen, Arztpraxen und Apotheken einzubeziehen.

Inzwischen ist eine weitere Stammgemeinschaft zertifiziert: die Gemeinschaft Südost mit dem EPD „eSANITA“ in Graubünden. Sieben weitere Anbieter befinden sich derzeit im komplexen Zertifizierungsverfahren, das von zwei privaten, darauf spezialisierten Firmen durchgeführt wird. Sie können einer Stammgemeinschaft erst dann ein Zertifikat ausstellen, wenn sie selber von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle SAS als EPD-Zertifizierungsstelle anerkannt sind. Die Zertifizierungsverfahren laufen in allen Regionen der Schweiz. Die Interoperabilität der verschiedenen Systeme ist durch einheitliche gesetzliche Vorgaben des Bundes gegeben.

Patienten können Anbieter frei wählen

Die Nutzung des Patientendossiers ist in der Schweiz freiwillig, Patienten können ihren Anbieter frei wählen. Für die Krankenhäuser ist die EPD-Anbindung dagegen verpflichtend, niedergelassene Ärzte oder Apotheker wiederum können selbst entscheiden, ob sie mitmachen oder nicht. Derzeit bezweifelt der Aargauische Ärzteverband allerdings den Nutzen: Das Dossier koste viel und bringe nur Aufwand, sagt Verbandspräsident Jürg Lareida. Dennoch wolle der Verband das Dossier weiter mitentwickeln.

Dass der Aufbau der Stammgemeinschaften so aufwendig und das Zertifizierungsverfahren so anspruchsvoll ist, liegt vor allem an den sehr hohen Anforderungen an den Datenschutz und an die Datensicherheit. Die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren halten es zurzeit für unmöglich, eine konkrete Prognose für den Abschluss dieser Arbeiten bei weiteren Stammgemeinschaften zu treffen.

Der Bürger spielte bislang keine große Rolle

In der Diskussion um das elektronische Patientendossier haben die Wünsche der Bürger bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Wenn vom EPD die Rede war, ging es meist um Lösungen, die auf Desktop-Systeme ausgerichtet waren. Seit Kurzem ist nun eine neue Smartphone-App verfügbar – als Pilotprojekt in der Gemeinde Ellmau bei Winterthur. Entwickelt wurde sie von Abilis in Zusammenarbeit mit dem federführenden Dienstleister BINT GmbH Winterthur und dem technischen Support durch das deutsche Start-up Phellow Seven mit Wurzeln im Universitätsklinikum Heidelberg. Health-E soll ab Frühjahr 2021 zur Verfügung stehen, man kann sich ab sofort registrieren.

Das EPD der Schweiz

  • Hier sollen alle Patientendaten abgelegt werden: Krankheiten, Medikamente, Allergien, Impfungen, Bilder und Berichte von Behandlungen und Therapien. Spitäler, Reha-Kliniken, Pflegeheime oder Apotheken sollen mit Einwilligung des Patienten darauf zugreifen können. Die Teilnahme von ambulant tätigen Ärzten ist fakultativ. Die Patienten bestimmen, wer welche Dokumente wann einsehen darf und können auch selbst Dokumente einpflegen.

  • Die Sicherheit der Dokumente steht an oberster Stelle. Gesetzlich vorgeschrieben ist, wie das EPD organisiert und technisch abgesichert sein muss. Vor dem Zugriff muss sich jede Person identifizieren. Jede Bearbeitung wird protokolliert.

  • Krankenversicherer und Personen und Organisationen, die nicht an der Behandlung beteiligt sind, haben keinen Zugriff auf das EPD.

  • Das EPD wird dezentral eingeführt. Es ist ein Zusammenschluss von regionalen Stammgemeinschaften, die offiziell zertifiziert werden – nach schweizweit gleichen Regeln.

  • Wo Patienten ein EPD eröffnen können, unterscheidet sich je Angebot. Einige Stammgemeinschaften sehen stationäre, andere ambulante Einrichtungen als Eröffnungsort vor, wiederum andere öffentliche Stellen oder Online-Prozesse.

Quelle: Schweizer Eidgenossenschaft und Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren

Die deutsche ePA

  • Ziel der ePA ist eine umfassende Vernetzung des deutschen Gesundheitswesens, sowohl zwischen verschiedenen Fachärzten oder Apotheken als auch zwischen Ärzten, Apotheken und Patienten. Analog ablaufende Arbeitsschritte sollen durch die ePA digitalisiert und damit vereinfacht werden. Einrichtung und Nutzung sind für die Patienten freiwillig.

  • GKV-Versicherte haben ab dem 1. Januar 2021 ein Anrecht auf die Nutzung. Die ePA.wird von den Krankenkassen als App kostenlos bereitgestellt und kann auf mobilen Endgeräten installiert werden.

  • Die Einführung startete ab Januar zunächst mit einer Testphase in den Pilotregionen Bayern, Berlin, Nordrhein und Westfalen-Lippe. Ziel ist, dass bis zum 30. Juni die flächendeckende Einführung in den Praxen und bis Ende 2021 in den Krankenhäusern und Apotheken erfolgt.

  • Die Daten in der ePA sind in der zentralen Telematikinfrastruktur (TI) abgelegt. Patienten entscheiden selbst, welche Leistungserbringer auf welche Dokumente und über welchen Zeitraum zugreifen dürfen.

  • Eine dokumentengenaue Kontrolle, welche Beteiligten welche Informationen in der ePA einsehen können, soll erst ein Jahr nach Einführung zur Verfügung stehen. Dass 2021 noch kein feingranulares Berechtigungsmanagement auf Dokumentenebene vorgesehen ist, kritisieren Datenschützer.

  • Eine Schlüsselrolle bei der Realisierung nimmt die gematik ein: Die Spezifikationen der ePA stammen aus ihrem Haus und der Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung. Die gematik ist für den Test der Funktionen und der Sicherheit der ePA zuständig, bevor die Industrieunternehmen eine Zulassung für den Betrieb ihrer Produkte in der TI erhalten.

Quelle: gematik

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