Telematikinfrastruktur

gematik in der Kritik wegen Veröffentlichung des TI-Whitepapers

Die gematik bringt ein Papier zur Telematikinfrastruktur heraus und schreibt visionär von der „Modernisierung der TI am Horizont“. Doch diese vage Ideensammlung spiegele nicht den aktuellen Stand der Dinge, bemängeln die Partner der Selbstverwaltung. Das Vorgehen sei „unabgestimmt“ und damit „kontraproduktiv“. Diesen Vorwurf weist die gematik „entschieden“ zurück.

In einem Brief der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) vom 11. Februar an gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken heißt es, das Whitepaper „TI 2.0 – Arena für digitale Medizin“ sei von der gematik am 21. Januar unangekündigt und explizit gegen den entsprechenden Gesellschafterbeschluss veröffentlicht worden.

„Wir erwarten, dass die gematik klarstellt, dass das veröffentlichte Whitepaper als eine nicht mit den Gesellschaftern abgestimmte Ideensammlung der gematik zu verstehen ist, die in den nächsten Wochen und Monaten mit den zuständigen Organisationen diskutiert werden wird“, fordert darin der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer – auch im Namen der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des Deutschen Apothekerverbands, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem GKV-Spitzenverband und dem Verband der Privaten Krankenversicherung. Abgesehen vom Bundesgesundheitsministerium, das 51 Prozent der gematik-Anteile hält, wenden sich somit alle Gesellschafter gegen das Papier.

Statement Dr. Karl-Georg Pochhammer

„Wir erwarten die Rückkehr zum gemeinschaftlichen Austausch“

„Die KZBV hat aktiv mit den anderen Gesellschaftern und der gematik alles darangesetzt, die Digitalisierung im Gesundheitswesen nach vorne zu bringen. Wir haben in der Zahnärzteschaft den Nutzen der TI und ihrer Anwendungen unterstrichen. Es sind die Zahnärztinnen und Zahnärzte, die die Vorreiterrolle eingenommen und sich zu 95 Prozent nahezu flächendeckend an die TI angebunden haben. Mit diesem unabgestimmten Veröffentlichen des Whitepapers wurde Verunsicherung erzeugt und das Vertrauen in die TI massiv beschädigt.

Der Aufbau der TI mit ihren notwendigen, vom BSI zertifizierten Komponenten ist nötig, um die Vernetzung im Gesundheitswesen zu etablieren. Nachdem dies geschehen ist, sollten Zahnarztpraxen nun Gelegenheit haben, die Mehrwerte für die individuelle Patientenversorgung endlich zu spüren.

Die Sicherheit von medizinischen Daten und Patienteninformationen bildet das Fundament des Vertrauens der Patienten in jede einzelne Praxis. Für die Zukunft erwarten wir die Rückkehr zum gemeinschaftlichen Austausch mit allen Gesellschaftern der gematik für die Weichenstellung der Digitalisierung im Gesundheitswesen.“

Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KZBV

Angedacht wird in dem Whitepaper insbesondere, ob proprietäre IT-Lösungen wie der Konnektor künftig wegfallen und sich die TI-Nutzer in einem neuen System ohne elektronische Gesundheitskarte (eGK), elektronischen Heilberufsausweis (HBA) und SMC authentifizieren können.

Viel Überzeugungsarbeit wurde so zerstört

Diese grundsätzliche Neuausrichtung der TI sei jedoch – anders als von der gematik kommuniziert – längst nicht beschlossen worden, sondern werde derzeit lediglich diskutiert, stellte Pochhammer in dem Brief klar. Vor dem Hintergrund, dass jetzt neue Anwendungen wie die elektronische Patientenakte (ePA) und des E-Rezept eingeführt werden, sei „dieses unabgestimmte Vorgehen völlig kontraproduktiv“, das gelte auch mit Blick für auf den elektronischen Heilberufsausweis (HBA), für den Kammern und K(Z)Ven derzeit werben.

Die Veröffentlichung des Whitepapers habe mit einem Schlag einen Großteil der Überzeugungsarbeit zunichte gemacht, heißt es in dem Brief. Ärzte und Zahnärzte hätten sich darüber beschwert, etwas anschaffen zu müssen, das laut Whitepaper langfristig gar nicht mehr gebraucht werde. „Die Leistungserbringerorganisationen sind – genau wie die gematik – bestrebt, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzubringen und setzen alles daran, die extrem knappen gesetzlichen Fristen zu erfüllen und die Anwendungen der TI in ihren Sektoren umzusetzen“, schreibt Pochhammer. Dies könne jedoch nur gelingen, wenn die Leistungserbringer mitgenommen und positiv auf die Neuerungen eingestimmt werden: „Dies muss das gemeinsame Ziel sein!“

Die gematik bedauert die Irritationen

Leyck Dieken wies die Vorwürfe zurück. In seinem Antwortschreiben vom 16. Februar betont er, er sei von mehreren Teilnehmern der Gesellschafterversammlung darauf hingewiesen worden, „ein solch fundamentaler Paradigmenwechsel benötige unabdingbar einen weiteren Kreis von Beteiligten aus Politik und Gesellschaft“. Vor diesem Hintergrund habe die gematik „das einstimmige Votum zum Beschluss als sehr unterstützendes Signal wahrgenommen“. Und weiter: „Wir bedauern, dass dies augenscheinlich nicht die Wahrnehmung der unterzeichnenden Gesellschafter war.“

Er bittet, „alle Gesellschafter auf dieses Konzept zuzugehen und es erst an den Stellen zu verändern, wo man Besseres einbringt“. Das Whitepaper gebe Anlass, endlich die lang erwartete Modernisierung der TI am Horizont erkennbar zu machen und auf dem Weg dorthin in den konkreten Ausgestaltungen gemeinsam zu entwerfen. Leyck Dieken: „Ich bedaure, dass dieser Schritt zu Irritationen führte, zu dem wir angesichts der Lage eher Zuspruch erwartet hätten.“

„Wer zahlt die Zeche für den Berg an Elektroschrott?“

Bei den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Bundesvereinigung gingen seit der Veröffentlichung des gematik-Whitepapers (zm-online berichtete am 22.1.2021, sieheLink) zahlreiche Anrufe und E-Mails ein. Hier eine Auswahl der Rückmeldungen:

„Unsere Praxis hat Geld in die Hand genommen, um die Installation der TI zukunftssicher an einem sicheren Ort in der Praxis zu installieren. Jetzt wird das mit der TI 2.0 obsolet?“   

„Wer zahlt denn schlussendlich die Zeche für den Berg an Elektroschrott, wenn Konnektoren, Praxisausweise, HBAs in wenigen Jahren für die Mülltonne sind?“   

„Die gematik finanziert sich aus den Beiträgen der Krankenversicherten. Mit der TI 2.0 werden wieder Milliarden an Versicherungsbeiträgen verbrannt. Geld, das in der Versorgung der Patienten besser aufgehoben wäre.“  

„Von der Telematikinfrastruktur hat meine Praxis bisher in keinster Weise profitiert. Nur mein IT-Dienstleister freut sich. Bei den Beträgen aus den Rechnungen wundert mich das nicht. In vier Jahren kommt er dann vorbei und baut den ganzen Quatsch wieder zurück. Nicht umsonst ist er der bestbezahlte Mitarbeiter meiner Praxis!“ 

„Von meiner KZV und Kammer wurde ich nachdrücklich darauf hingewiesen den HBA zu bestellen. Nach fast drei Monaten Wartezeit habe ich ihn gerade bekommen, um zu erfahren, dass er bald wieder abgeschafft wird. Das kann sich doch keiner ausdenken!“

„Hat die gematik jemals den Tagesablauf einer Zahnarztpraxis betrachtet? Um die TI so in unseren Behandlungsalltag zu integrieren, dass sie nicht stört und zusätzliche Arbeit verursacht, hat es uns Zeit, Nerven und Geld gekostet.“

„Immer wieder neue Ideen, neue Anwendungen, neue Fristen und Sanktionsandrohungen. Was fällt der gematik sonst noch ein?“

„Jetzt haben wir die TI in unserer Praxis gerade mal ans Laufen gebracht. Das Personal kommt zurecht und wir lernen mit der ersten Anwendung umzugehen. Vielleicht sollte mal jemand der gematik und Herrn Spahn sagen, dass eine Zahnarztpraxis neben der TI noch Patienten versorgen muss.“

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