Interview zu desensibilisierenden Zahnpasten

„Die Wirksamkeit hängt von der Güte der Rohstoffe ab“

Schmerzempfindliche Zähne sind ein weit verbreitetes Phänomen. Entsprechend viele Patienten fragen nach der Wirksamkeit von desensibilisierenden Zahnpasten und Mundspüllösungen. Aber was halten die Werbeversprechen der Hersteller? Wir haben Experten des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) befragt – sie haben die Wirksamkeit einer Reihe von Zahnpflegeprodukten getestet.

Frau Morawietz, Herr Dr. Kiesow, das IMWS beschäftigt sich seit gut zehn Jahren mit Wirkstoffen, die schmerzempfindliche Zähne desensibilisieren sollen. Welche Methoden werden dafür heute genutzt?

Maria Morawietz: Es gibt im Prinzip zwei Ansätze. Ein Konzept zielt auf eine Desensibilisierung beziehungsweise vorübergehende Betäubung des Zahnnervs, zu dem freiliegende Dentintubuli eine direkte Verbindung haben. Das wird durch Zusätze wie Kaliumsalze zu Zahnpasten und Mundspüllösungen erreicht – die Erhöhung der Kaliumkonzentration an der Dentinoberfläche verringert die Signalübertragung und „desensibilisiert“ so den Schmerzrezeptor.

Das zweite Konzept funktioniert weitgehend physikalisch und setzt auf ein Verschließen der freiliegenden Dentintubuli – entweder durch das Bilden einer Schutzschicht an der Dentinoberfläche, beispielsweise durch filmbildende Polymere, oder durch ein Verstopfen der Dentinkanälchen durch geeignete Partikel. Für das Verschließen der Tubuli kommen anorganische Substanzen wie Silica, Kalzium-Natrium-Phosphorsilikat, Kalziumkarbonat oder auch Hydroxylapatit zum Einsatz. Diese werden für den häuslichen Gebrauch Zahnpasten und Mundspüllösungen zugesetzt.

Vielfach wird beklagt, dass die Wirkung nicht lange anhält.

Dr.-Ing. Andreas Kiesow: Die verwendeten Materialien müssen hohen Anforderungen genügen: Sie müssen chemisch beständig gegen das Mundmilieu und gegen Säuren aus der Nahrung sein und mechanisch den Belastungen durch das Kauen standhalten. Die Dauer der Wirkung hängt von vielen Faktoren ab: Essen und Trinken mindern beispielsweise die Verschlusswirkung, weil Schutzschichten abgebaut und Verschlusspartikel aus den Tubuli ausgespült werden.

Morawietz: Durch die regelmäßige Anwendung muss andererseits die Wirkdauer werkstofftechnisch nicht sehr weit optimiert werden, weil der Schutz bei Zahnpasten oder Mundspülungen beständig aufgefrischt wird. Es reicht also prinzipiell aus, wenn die Desensibilisierung bis zur nächsten Anwendung anhält. 

Wie lässt sich die Wirksamkeit einer Desensibilisierung testen? Schmerz ist ja eine sehr subjektive Angelegenheit, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich wahrgenommen wird.

Kiesow: Die Schwäche der klinischen Studien ist, dass sie mit den Rückkopplungen des Patienten arbeiten müssen und dementsprechend anfällig für Placeboeffekte und Verzerrungen sind. Klinische Untersuchungen liefern auch bei gutem, standardisiertem Studiendesign zum Teil schwierig interpretierbare Ergebnisse. Zudem sind sie aufwendig und teuer.

Als Alternative bieten wir In-vitro-Messungen an – die sind schneller, kostengünstiger und liefern gut zu bewertende Erfolgsparameter. Letztendlich kann aber eine Bewertung des Schmerzes nur klinisch erfolgen; deswegen sind korrelative Untersuchungen – in vitro versus in situ – weiterhin durchzuführen.

Wie lässt sich Schmerz eigentlich in vitro messen?

Morawietz: Wir messen ja nicht den Schmerz, sondern den Verschluss der Dentintubuli, der durch verschiedene Wirkstoffe erzielt werden kann und so den Reizfaktoren den Weg zum Schmerzrezeptor versperrt.

Es gibt Abertausende Dentinkanälchen. Wie kann man feststellen, ob und wie stark die verschlossen sind?

Morawietz: Es gibt dazu mehrere Ansätze. Für eine qualitative Bewertung schauen wir uns die mit einem Testprodukt behandelten Dentinproben in einem hochauflösenden Rasterelektronenmikroskop an. Hier kann man sehr gut qualitativ den Verschluss der Tubuli bewerten, insbesondere wie beispielsweise die Partikel des Testprodukts in den Tubuli verteilt sind.

Weiterhin ist es möglich, die behandelte Dentinoberfläche mit einem geringer auflösenden konfokalen Laserscanmikroskop zu scannen, was den Vorteil hat, mehrere Tausend Tubuli auf einmal zu scannen und über eine nachgeschaltete Bildanalysesoftware deren Anzahl und Fläche (im Verhältnis zur gesamten Probenfläche) zu quantifizieren. Wurden die Tubuli durch eine Behandlung teilweise oder ganz geschlossen, verringert sich die Fläche der Tubuli im Vergleich zum Ausgangszustand vor der Behandlung. Aus dieser relativen Reduzierung der Fläche kann dann auf eine Schmerzreduktion geschlossen werden.

Kiesow: Mit einer weiteren Methode kann untersucht werden, wie sich die Durchlässigkeit von behandeltem Dentin gegenüber dem Ausgangszustand verändert hat. Gemessen wird die Durchflussrate von Wasser durch die Tubuli. Dafür haben wir, angelehnt an ein bereits in den 1980er-Jahren in der Literatur veröffentlichtes Verfahren, einen speziellen Prüfstand entwickelt, bei dem Wasser mit einem konstanten Druck durch die Tubuli geleitet und der Durchsatz pro Zeiteinheit gemessen wird. Wurden die Tubuli durch eine Behandlung verschlossen, reduziert sich die Durchflussrate, woraus dann ein Reduktionsfaktor berechnet wird.

Morawietz: Beide Prüfverfahren liefern gute Messwerte, die eng miteinander korrelieren.

Gibt es Wirkstoffe, die sich in den Tests als besonders wirksam erwiesen haben? Verraten Sie uns, welche Produkte am besten sind?

Kiesow: Wir haben leider auch keinen kompletten Marktüberblick, da wir nur einen Teil der Produkte zum Test bekommen. Aus unserer Erfahrung lässt sich aber sagen, dass die Technologie der Desensibilisierung schmerzempfindlicher Zähne über Zahnpasten und Mundspüllösungen prinzipiell funktioniert, wobei die Wirksamkeit auch von der Güte der eingesetzten Rohstoffe abhängig ist. Es gibt namhafte Hersteller, die hier viel Geld in die Forschung investieren.

Wie hat sich die Forschung in den vergangenen Jahren entwickelt? Sind neue Wirkstoffe in der Pipeline – sofort wirksam und möglichst 24 Stunden lang 100-prozentig schmerzunterdrückend?

Kiesow: Die vergangenen zehn Jahre zeigen eher eine evolutionäre Tendenz. Disruptive Innovationen waren nicht zu verzeichnen und stehen wohl in nächster Zukunft auch nicht an. Es kommen hier und da neue Materialien ins Spiel, die aber eher den Markt in der Breite füllen und keine Game Changer im Sinne eines technologischen Durchbruchs sind.

Zahnärzte dürfen also das Bewährte guten Gewissens weiterempfehlen. Frau Morawietz, Herr Dr. Kiesow, wir danken für das Gespräch!

Das Gespräch führten Anja Kegel und Benn Roolf.

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