Darauf sollten Sie bei jedem Patienten achten

Differentialdiagnostik intraoraler Schwellungen

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Intraorale Schwellungen sind Zustände, die den Zahnarzt häufig in der Praxis oder Klinik konfrontieren. Während viele dieser Zustandsbilder nach Anamneseerhebung und klinischer Untersuchung einer zu Grunde liegenden Krankheit einfach zugeordnet werden können, gibt es jedoch vielfältige Situationen, in denen die Genese ungeklärt ist (Abbildung 1). Der vorliegende Beitrag beschreibt das differentialdiagnostische Vorgehen bei einem derartigen Befund.

Bei der differentialdiagnostischen Anamnese ist zu beachten, dass jeder Schwellungszustand abgeklärt werden sollte, da eine Malignomerkrankung als mögliche Ursache in Betracht kommt und eine späte Diagnostik die Therapiemöglichkeiten solcher Erkrankungen einschränkt. Die Evaluierung intraoraler Schwellungen erfordert von daher die Kenntnis der verschiedenen Erkrankungen, die mit dem klinischen Befund einer Schwellung einhergehen, sowie der diagnostischen Schritte, die zur Abklärung der Pathogenese notwendig sind. Das Ausschöpfen aller diagnostischen Schritte ist insbesondere zur Abklärung malignomsuspekter Befunde unerlässlich.

Klassifizierung der intraoralen Schwellungen

Intraorale Schwellungen lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren. Neben dem Alter des Patienten, dem zeitlichen Verlauf der Schwellung und der anatomischen Region sind es die Pathogenese und Histologie, die die Schwellung charakterisieren (Tabelle 1).

Der Begriff „Tumor“ wird in der allgemeinen Pathologie als neu aufgetretene Volumenzunahme (Schwellung) einer Region aufgefasst. Er wird dabei gleichermaßen für Neoplasien (Abbildung 2) als auch für entzündungsbedingte Schwellungen (Abbildung 3) verwendet, da der „Tumor“ eines der fünf klassischen Entzündungszeichen darstellt. Neben diesen beiden großen Erkrankungsentitäten gibt es jedoch verschiedene andere Erkrankungen, die zu intraoralen Schwellungszuständen führen können und deren Kenntnis in der Differentialdiagnostik von großer Bedeutung ist. Tabelle 2 gibt dabei einen Überblick über die verschiedenen pathologisch definierten Erkrankungen, die der Zahnarzt in seine differentialdiagnostischen Überlegungen einfließen lassen sollte.

Das konzeptionelle diagnostische Herangehen an solche Schwellungszustände kann insbesondere über den zeitlichen Verlauf sowie die zu Grunde liegenden Gewebestrukturen erfolgen, da die Art der Gewebeveränderung die zu Grunde liegende Erkrankung definiert. Während perakute Schwellungszustände nur durch Luft- und Flüssigkeitseinlagerungen hervorgerufen werden können, sind akute Schwellungen durch einen Flüssigkeitseinstrom sowie Zelleinwanderungen charakterisiert. Schleichende Vergrößerungen von Geweben können dagegen durch Zellhyperplasien oder Zellhypertrophien sowie Vermehrungen der extrazellulären Matrixbestandteile erklärt werden (Abbildung 4).

Anamneseerhebung

Das diagnostische Vorgehen beginnt mit der Erhebung der allgemeinen und speziellen Anamnese, mit besonderem Augenmerk bezüglich bekannter Vorerkrankungen, akuter Erkrankungen sowie der zeitlichen Koinzidenz des Schwellungsauftretens mit anderen Ereignissen.

Die klinische Untersuchung sollte mit der Inspektion aller Mundhöhlenbereiche beginnen. Neben der Erhebung des Zahnstatus (Kariesdiagnostik, Vitalprüfung der Zähne, Determinierung des Parodontalstatus) sollte eine Beurteilung der Mundschleimhaut sowie die Untersuchung des Sekretflusses der Speicheldrüsen erfolgen (Abbildung 5).

Von entscheidender diagnostischer Bedeutung ist die Palpation der Schwellung. Sie kann einfach durch den Zahnarzt durchgeführt werden und gibt bei genauer Betrachtung viele Hinweise auf die möglichen Differentialerkrankungen. Palpatorisch zu erfassende Parameter einer Schwellung sind:

• Größe

• Konsistenz

• Oberflächenbeschaffenheit

• Verschieblichkeit

• Abgrenzung zur Umgebung sowie

• Druckdolenz

Palpation

Die Palpationskonsistenz (Tabelle 3) ist ein Befund, der es dem Kliniker ermöglicht, die Gewebestrukturen, die aus pathologischer Sicht die Erkrankung definiert, näher zu befunden. Da die verschiedenen Gewebeanteile (Zellen, Extrazellularmatrix, Extrazellularflüssigkeit) eine unterschiedliche Palpationscharakteristik aufweisen, kann mit genauer Palpation die Zusammensetzung der Schwellung klinisch evaluiert werden (Abbildung 6).

Radiologie und Laborparameter

Das weitere diagnostische Vorgehen umfasst dann die Durchführung radiologischer und laborchemischer Untersuchungen. In Abhängigkeit von der Lokalisation und der Konsistenz der Schwellung sollte die Art der radiologischen Untersuchung differenziert gewählt werden (Tabelle 4). Knochenassoziierte Schwellungen sollten dabei mittels Nativradiologie oder Computertomographie abgeklärt werden, während bei Verdacht auf Weichteilprozesse sonographische und kernspintomographische Verfahren diagnostische Vorteile besitzen.

Der Verdacht auf entzündlich bedingte Schwellungszustände, die im intraoralen Bereich am ehesten bakteriell, seltener viral oder immunologisch bedingt sind, erfordert die Untersuchung verschiedener Laborparameter (Tabelle 4). Insbesondere bei den häufig vorkommenden bakteriell bedingten intraoralen Schwellungszuständen sollte der Leukozytenwert als wichtiger diagnostischer Marker bestimmt werden. Er dient einerseits zur Feststellung einer bakteriellen Infektion, seine Höhe kann jedoch auch Hinweise in der Unterscheidung zwischen Infiltrat und Abszess liefern.

Biopsie

Sollte nach Ausschöpfen der verschiedenen diagnostischen Maßnahmen noch Unklarheit über die zu Grunde liegende Erkrankung bestehen oder liegt ein malignomsuspekter Befund vor, so stellt die Gewinnung einer Gewebeprobe den entscheidenden Schritt zur definitiven Diagnostik dar (Abbildung 7).

Während Gewebeproben von in der Tiefe liegenden Prozessen grundsätzlich auch durch Feinnadelbiopsien gewonnen werden können, stellt insbesondere im intraoralen Bereich die Probeexzision das klinische Verfahren zur Gewebegewinnung dar. Die meisten Erkrankungen lassen sich nach konventioneller Aufarbeitung dann pathohistologisch determinieren, während in Einzelfällen histologische Spezialuntersuchungen notwendig werden.

Therapie

Nach Klärung der Ursache der Schwellungszustände, die in Abhängigkeit von der Erkrankung auf den verschiedenen Ebenen des diagnostischen Vorgehens erfolgen kann, sollte eine befundadäquate Therapie eingeleitet werden, die sich auf die klinischen und apparativen Befunde stützen kann. In seltenen Fällen kann durch expektatives Vorgehen der Spontanverlauf abgewartet werden, oder durch den Erfolg einer Behandlung eine Diagnose ex-juvantibus gestellt werden. Insgesamt muss jedoch betont werden, dass ein Patient bei nicht zu klärendem intraoralen Schwellungszustand frühzeitig in eine Fachklinik eingewiesen werden sollte, um diagnostische und therapeutische Verzögerungen zu vermeiden.

OA PD Dr. Dr. Ulrich MeyerKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,Universität Münster(Direktor: Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.hc. U. Joos)Waldeyerstrasse 3048149 Münsterulmeyer@uni-muenster.de

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Klassifizierung intraoraler Schwellungszustände

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nach zeitlichem Verlauf

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■ perakut

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(Luft/Flüssigkeitseinlagerung)

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■ akut

(Zell- und Flüssigkeitseinstrom)

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■ schleichend

(Zelleinlagerung/Gewebeproliferation)

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■ chronisch

(Zelleinlagerung/Gewebeproliferation)

\n

nach Pathogenese

\n

■ entzündlich

\n

■ tumorös

\n

■ traumatisch

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■ immunologisch

\n

■ dysregulativ

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nach vorherrschender Gewebeart

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■ Zahnapparat

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■ Knochen

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■ Bindegewebe

\n

■ Muskulatur

\n

■ Drüsen

\n

■ Schleimhaut

\n

\n

Pathogenese

Erkrankung

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tumorös

Benignom (epithelial, mesenchymal)

Malignom (Carcinom, Sarkom,

hämatologische Malignome)

\n

\n

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entzündlich

bakteriell (Abszess, Infiltrat, Phlegmone,

Osteomyelitis), viral, immunologisch

\n

\n

zystisch

odontogene Zyste,

nicht-odotogene Zyste, Ranula

\n

\n

dysregulativ

Granulome, Osteopathien

\n

traumatisch

Kontusion, Kompression, Fraktur,

Fremdkörpereinsprengung, Iatrogen

\n

\n

verschiedenartig

Angioneurotisches Ödem, Kollagenosen

\n

\n

Klinische Diagnostik

\n

Palpations-

\n

konsistenz

Histologische

\n

Gewebestruktur

\n

knisternd

Lufteinlagerung (Emphysem)

\n

ödematös

diffuse Flüssigkeitseinlagerung

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elastisch

gewebebegrenzte Flüssigkeitseinlagerung

\n

prall

Zell- und Gewebevermehrung

\n

verhärtet

Zelleinlagerung, Extrazellularmatrixvermehrung

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hart

ossifizierend

\n

\n

Apparative Diagnostik

Verdachtsdiagnose

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Radiologie

\n

Nativröntgen

Zysten, ossifizierender Tumor, Granulom, knochenassoziierte Entzündung

\n

Sonographie

Abszess, Infiltrat, Weichteilzyste, Tumor, Lymphom

\n

Computertomographie

Abszess, Infiltrat, Granulom, Tumor, Osteopathie

\n

Magnetresonanztomographie

Abszess, Infiltrat, Granulom, Weichteiltumor

\n

Zusatzverfahren (Szintigraphie,

Osteomyelitis, Speicheldrüsenerkrankung,

\n

Sialographie, Positronen

Tumorsuche

\n

Emissionstomographie)

\n

Labordiagnostik

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Leukozyten

bakterielle Entzündung (Infiltrat, Abszess, Osteomyelitis)

\n

Blutsenkungsgeschwindigkeit,

bakterielle oder virale Entzündung, Tumor,

\n

C-reaktives Protein

immunologisches Geschehen

\n

Blutbild

leukämische Infiltrate

\n

Immunstatus

Kollagenosen

\n

Spezialuntersuchungen

C1-Esterase Inhibitor-Mangel

\n

Antikörperdiagnostik

lymphotrope Viruserkrankungen

\n

Histologie

Vorbehandlung

\n

Konventionell

Formalinfixierung

\n

Schnellschnittuntersuchung

Nativpräparate

\n

Spezialuntersuchungen

Kryofixierung

\n

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