Gastkommentar

Disease Management und Datenmacht

Das Ringen zwischen Ärzteschaft und Kassen um Art und Umfang der für Disease Management benötigten Daten hat nur vordergründig mit Qualitätssicherung zu tun. Der Zugriff auf Daten bedeutet auch Macht.

Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer Fachjournalist in Berlin

Ab dem 1. Juli sollen die ersten Disease-Management- Programme (DMP) Versorgungswirklichkeit werden. Es handelt sich dabei um nicht mehr und nicht weniger als eines der verbliebenen, großen Prestigeprojekte von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Der während der Diskussion um eine Reform des Risikostrukturausgleichs (RSA) zwischen den Kassen deutlich gewordene Schacher um Ausgleichsbeträge in Milliardenhöhe sollte durch die Förderung der DMP eine „versorgungspolitische Komponente“ bekommen.

Ob die DMP auf der Grundlage von Empfehlungen des Koordinierungsausschusses und einer entsprechenden Rechtsverordnung des BMG die Versorgung nun tatsächlich verbessern oder nicht, berührt wird in jedem Fall das machtpolitische Gefüge zwischen Krankenkassen und ärztlichen Körperschaften. Denn qualitätsgesicherte Programme sind nur dann möglich, wenn die entsprechenden Qualitätssicherungsmaßnahmen auf der Grundlage valider Daten durchgeführt werden. Der Streit, wer mit welchen Daten für die Qualitätssicherung der Programme zuständig sein sollte, war insofern vorprogrammiert. Die Kassen wollten zu diesem Zweck, wie es im RSA-Reformgesetz auch vorgezeichnet ist, von den KVen personenbezogene Befunddaten. Diese lehnten dieses Ansinnen unter Hinweis auf die Gefahr eines „gläsernen Patienten“ ab. Ende Mai schien dann ein Kompromiss erreicht: In den DMP soll zukünftig zwischen einem „kurzen“ und einem „langen“ Datensatz unterschieden werden. Der kurze Datensatz soll unverschlüsselt an die Kassen gegeben werden, enthält dafür aber nur allgemeine Angaben zum Gesundheitszustand des Patienten. Der lange Datensatz soll an eine von Kassen und KVen gemeinsam verwaltete Datensammelstelle gehen, die die Daten dann pseudonymisiert. Den KVen bliebe so die Datenhoheit über die Überwachung der ärztlichen Behandlungsqualität, während die Kassen einzelnen Versicherten gezielte Informationen zukommen lassen könnten, ohne allerdings direkt ins Behandlungsgeschehen eingreifen zu können.

Unabhängig davon, ob dieser Kompromiss von den Vorstandsetagen beider Seiten abgesegnet und in den noch ausstehenden Vertragsverhandlungen umgesetzt wird, zeichnen ihn die Nachteile der meisten Lösungen aus, die an den grünen Tischen der Selbstverwaltungspartner ausgeheckt werden. In der Praxis ist er nämlich kaum umsetzbar, führte auf jeden Fall zu einer Vervielfachung des Aufwandes für die Dokumentation der Behandlungen in den DMP nach Einschätzung mancher Experten müssten erhebliche Teile der Dokumentation sogar wieder in Papierform durchgeführt werden. Man darf also davon ausgehen, dass auch mit diesem Kompromiss das letzte Wort in der Datenfrage noch nicht gesprochen ist.

Die Auseinandersetzungen um die Datenmacht innerhalb der Selbstverwaltung hat nur vordergründig tatsächlich mit Qualitätssicherung zu tun – und ebenfalls nur vordergründig etwas mit dem „gläsernen Patienten“. Den Kassen geht es nämlich gerade auch um den „gläsernen Arzt“, dessen Handeln im Versorgungsalltag bei entsprechenden Daten viel besser einzuschätzen und im Zweifelsfall auch zu bewerten ist. Und den KVen geht es insbesondere darum, mit der Hoheit über die Behandlungsdaten den Kernbestand ihres Einflusses zu sichern. Bei allen Diskussionen um den Sicherstellungsauftrag: Die Entmachtung der ärztlichen Körperschaften beginnt dann, wenn ihnen der alleinige Zugriff auf die Behandlungsdaten genommen werden kann. Sollten die Auseinandersetzungen um die DMP-Datensätze weitergehen, dürfte es interessant sein, wie sich das BMG bei der Ausgestaltung der Rechtsverordnung in dieser Machtfrage positionieren wird.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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