Diskussion um Prävention und Kostenersparnis

Ein glasklares Jein

Immer wieder wird in Wissenschaft wie Politik die Frage kontrovers diskutiert, ob Prävention Kosten spart. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, und es ist wichtig, das Thema differenziert über den Lebensbogen des Menschen zu betrachten. Jetzt liegen neue Veröffentlichungen vor, die weitere Denkanstöße geben.

Vorsorge bringt mehr Gesundheit und spart langfristig auch noch Geld. Auf diese einfache Formel bringt so mancher Gesundheitspolitiker gern die Diskussion um Prävention. Vor Illusionen wird gewarnt, so die Meinung von Prof. Dr. Fritz Beske, Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel, in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag (Deutsches Ärzteblatt, 3. Mai 2002, Seite 940 f). Er kritisiert vor allem Aussagen im Gutachten 2000/2001 des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit“. Dort hieß es, dass sich rund 25 bis 30 Prozent der heutigen Gesundheitsausgaben in Deutschland durch langfristige Prävention vermeiden ließen. Beske argumentiert dagegen, dass das Ziel der Prävention in erster Linie die Verlängerung des Lebens und die Verbesserung der Lebensqualität sei. Bei einzelnen Krankheitsbildern wie auch bei einer generellen Stärkung der Gesundheit könnten zwar auch Kosten gespart werden. Ob sich Einsparungen im Gesundheitswesen ergeben, sei zumindest bei einer kurz- oder mittelfristigen Betrachtungsweise eher zu verneinen und langfristig offen.

betrifft, so spielt das Thema eine zentrale Rolle. Die Bundeszahnärztekammer hatte im Oktober 2001 einen Workshop mit dem Titel „Kostenexplosion durch Prävention? Orale Gesundheitsgewinne im Alter und versorgungspolitische Konsequenzen“ durchgeführt. Aus dem interdisziplinären Blickwinkel heraus wurde das gesundheits- und versorgungspolitisch immer wichtiger werdende Thema der präventiven Ansatzpunkte im Alter unter zahnmedizinischen, sozialmedizinischen sowie unter gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten beleuchtet. Soeben ist der Tagungsband dazu erschienen, der die Diskussion weiter in die Öffentlichkeit bringen wird (siehe Kasten).

Der gesamte Lebensbogen

Das Fazit der Veranstaltung lautete: Eine oralpräventive Versorgung sollte den gesamten Lebensbogen eines Menschen umfassen. Wesentliches Ziel einer lebenslang begleitenden Prophylaxe ist ein Zusammendrängen des Zahnverlustrisikos auf einen möglichst späten und möglichst kurzen Abschnitt der Lebenszeit eines Menschen. Diese „Kompression der Morbidität“ führt zu einem erhöhten oralen, aber auch allgemeinen Gesundheitsgewinn über eine größere Lebensspanne eines Menschen hinweg. Er führt damit auch zu einer verbesserten Lebensqualität der Bevölkerung insgesamt.

Nach Einschätzung der Referenten wird es eine echte Kostenexplosion durch zahnmedizinische Prävention im Alter nicht geben, aber auch keine kurzfristige Ausgabensenkung über alle Altersgruppen betrachtet. Dabei wird die Kosten-Nutzen-Relation der Oralprophylaxe ganz entscheidend auch von der demografischen Entwicklung nach Umfang und Altersschichtung der Bevölkerung in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten beeinflusst – und natürlich von der Erwartungshaltung der Patienten.

Das Resümee der jetzt im Tagungsband veröffentlichten Diskussion fasst noch einmal Antworten auf die Kernfragen des Workshops zusammen:

Gibt es aus zahnmedizinischer Sicht eine Kostenexplosion im Alter?

Fazit: Nein. Da der Begriff negativ besetzt ist, sollte er nicht weiter verwendet werden. durch die Erfolge der Prävention wird es jedoch zu einer Verschiebung für restaurative und prothetische Maßnahmen vom mittleren auf die höheren Lebensalter kommen. Kurzfristige Ausgabensenkungen wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geben.

Gibt es im Alter orale Gesundheitsgewinne durch Prävention?

Fazit: Ja. Sie sind noch ausbaufähig und gewinnen auch unter dem Aspekt der demografischen Entwicklung besondere Bedeutung. Die Mundgesundheitsprobleme des alten Menschen sind vielschichtig und seine Lebenssituation ist sehr differenziert. Deswegen müssen neue Strategien, auch für die Randgruppen, erarbeitet werden. Hierbei ist die ganze Gesellschaft gefordert. Es besteht außerdem interdisziplinärer Forschungsbedarf und Bedarf für die Fortbildung der Zahnärzte.

Welche versorgungspolitischen Konsequenzen gibt es?

Fazit: Im Rahmen des zahnärztlichen Konzeptes „Prophylaxe ein Leben lang“ sind die Alterszahnheilkunde und die Prävention im Alter Themenfelder, die an Bedeutung gewinnen können.

Ansatz, der sehr differenziert angegangen werden muss. Orale Gesundheitsgewinne im Alter sind durch geeignete Strategien (Erwachsenen-Prophylaxe und Setting-Ansätze) zu erzielen, haben aber ihren Preis. Versorgungspolitische Strategien müssen noch entwickelt werden, dabei sind die Zahnärzte auf die Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit angewiesen.

In Zukunft werden mehr Zähne erhalten bleiben, also wird mehr festsitzender Zahnersatz gefertigt werden. Gleichzeitig könnte durch geeignete Konzepte der Anteil der Tertiärprävention zurückgedrängt und mehr Sekundärprävention angeboten werden. Erforderlich ist ein Umdenken und eine Umschulung in der Aus- und Fortbildung.

Trends und Konsequenzen bis 2020

Zu interessanten Annahmen kommt Rüdiger Saekel, ehemaliger Ministerialrat im Bundesgesundheitsministerium, in seiner Prognose „Zahngesundheit: Trends und Konsequenzen bis 2020“ (in: die BKK, 4/2002, Seite 135 ff). Saekel geht unter anderem kritisch mit der Studie der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Prothetik DGZPW „Bedarfsermittlung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020“ um. Diese Studie geht von einem weitgehend konstanten Grundmuster des Zahnverlustes und einer nur geringfügig rückgehenden Zahl von fehlenden Zähnen bis 2020 aus. Saekel prognostiziert – im Gegensatz zu den Aussagen des IDZ-Bandes und der DGZPW-Studie – dass bis 2020 mit erheblichen Behandlungsrückgängen im Bereich der Prothetik und signifikanten Ausgabenreduktionen in der „sozialen Zahnheilkunde“ insgesamt zu rechnen sei. Der Bedarf an Zahnerhaltung für die über 40-Jährigen werde bis 2020 ansteigen, da mehr eigene Zähne im Mund versorgt werden müssten. Da zahnerhaltende Maßnahmen in aller Regel wesentlich kostengünstiger als prothetische Leistungen seien, sei der dadurch verursachte Behandlungsmehraufwand für die Zahnerhaltung deutlich geringer als die Minderausgaben für nicht mehr notwendigen Zahnersatz.

Saekel argumentiert weiter, dass analog zur Modernisierung des Leistungskataloges die finanziellen Anreizstrukturen des zahnärztlichen Bewertungsmaßstabes verändert werden müssten, denn prothetische und kieferorthopädische Leistungen würden immer noch deutlich besser vergütet als zahnerhaltende Maßnahmen. Diagnostische, planerische und beratende Maßnahmen müssten einen höheren Stellenwert erhalten. Kritisch setzt sich der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer und Vorsitzende des BZÄK-Ausschusses Präventive Zahnheilkunde, Dr. Dietmar Oesterreich, mit den Aussagen Saekels auseinander. Anerkennung findet Saekels Aufarbeitung der epidemiologischen Datenlage. „Der Beitrag unterstreicht die Komplexität der Thematik und zeigt, wie unsicher langfristige Projektionen zur Bedarfsermittlung zahnärztlicher Leistungen sind.“, so Oesterreich. „Er unterschätzt jedoch bei den Prognosen über die Zeit erheblich den demografischen Faktor.“ Nicht nur die nachwachsende Bevölkerung sei von Interesse, sondern auch die immer älter werdende Bevölkerung, die letztlich auch zahnärztlichen Behandlungsbedarf auslöse. Weiterhin setze sich Saekel nicht mit den zur Verfügung stehenden arbeitswissenschaftlichen Grundlagen und der wissenschaftlichen Neubeschreibung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde auseinander.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.