105. Deutscher Ärztetag in Rostock

Menschlichkeit statt Ökonomisierung

Mit harten Worten kritisierte Ärztepräsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe eine Gesundheitspolitik der Bürokratisierung, Standardisierung und Ökonomisierung. Der Deutsche Ärztetag, der vom 28. bis 31. Mai in Rostock stattfand, setzte deutliche Akzente.

Damit hatte Ulla Schmidt sicherlich nicht gerechnet. „Wir haben keine Lust mehr, sehr verehrte Frau Ministerin, nur noch das Feigenblatt der Menschlichkeit in einem Prozess gnadenloser Durchökonomisierung des Gesundheitswesens zu sein!“ – Scharf und deutlich nahm der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, zur Eröffnung des Deutschen Ärztetages in der Kvaerner Warnow Werft in Warnemünde bei Rostock eine Gesundheitspolitik der Bürokratisierung, Standardisierung und Ökonomisierung in die Kritik und plädierte für mehr Menschlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen.

„Vor allem sollte niemand mehr den populistischen Selbstdarstellungen expertokratischer Selbstdarstellungen auf den Leim gehen, die mit äußerst zweifelhaften internationalen Vergleichen das deutsche Gesundheitswesen schon auf der Intensivstation sehen“, sagte er. Vehement wehrte sich der Ärztepräsident gegen Checklisten-Medizin, einen Kassenversorgungsstaat und die Schematisierung medizinischer Behandlungsabläufe. „Patienten sind keine Kunden, sondern Bedürftige mit dem berechtigten Anspruch auf qualitativ hochstehende medizinische Versorgung.“

Mit Sorge betrachtete er die Kopplung der Disease-Management-Programme (DMP) an den Risikostrukturausgleich, was zu einer unheilvollen Verquickung von Medizin und Ökonomie geführt habe. „Die Gefahr ist groß, dass demnächst Patienten nur noch als Kosten- und Normgrößen im Finanzausgleich der Krankenversicherung gehandelt werden.“ Und: „Der ‘gesunde Chroniker’ wird also zum lukrativsten Versicherten.“

Optimistische Bilanz

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nutzte den Ärztetag als Forum für eine Bilanz ihrer Leistungen kurz vor Abschluss der Wahlperiode. Optimistisch verkündete sie – schließlich ist ja Wahlkampf – sie werde auch beim nächsten Deutschen Ärztetag als Ministerin wieder dabei sein. Schmidt zeigte sich für die Belange der Ärzte sehr offen. Als positiv zählte sie die Reform des Medizinstudiums, bessere Arbeitsbedingungen für Ärzte, die schrittweise Aufhebung der sektoralen Budgetierung inklusive der Abschaffung floatender Punktwerte auf. „Wir müssen den Arztberuf wieder attraktiver machen“, betonte sie. Als wichtigen Schritt dahin bezeichnete sie die neue Approbationsordnung für Ärzte, die mit den Bereichen Geriatrie, Prävention und hausärztlicher Versorgung ein neues Arztbild in den Mittelpunkt stelle und damit auch gesellschaftspolitischen wie ethischen Herausforderungen gerecht werde. Ein Ergebnis der reformierten Ausbildung werde auch die Abschaffung des Arztes im Praktikum (AiP) sein. Bis dahin müssten aber Schritte zu einem besseren Verdienst unternommen werden.

Schmidt sprach eine Vielzahl ärztlicher Anliegen an. Bessere Arbeitsbedingungen seien mit der Umsetzung des EuGH-Urteils zu erwarten. Der Arbeitszeitgipfel habe weitere Modelle erarbeitet. Die Ministerin hob noch einmal die Abschaffung der Arzneimittelbudgets und der Kollektivregresse hervor. Aber bezüglich der Ausgabenentwicklung gebe es noch keine Entwarnung. Ausdrücklich sprach sich Schmidt dafür aus, den Sicherstellungsauftrag bei den KVen zu belassen. Sie griff das Thema der Standardisierung auf und betonte, dass evidenzbasierte und leitliniengestütze Medizin eine individuelle Therapie nicht ersetzen könnte. Mit den DMPs seien erstmals Anreize entstanden, dass chronisch Kranke optimal behandelt würden.

Zum Schluss sprach sie sich dafür aus, die starre Budgetierung im ambulanten Bereich zu lockern. Floatende Punktwerte seien ungerecht und bestraften die Ärzte, die immer viel arbeiteten.

Eines fiel auf der Veranstaltung krass ins Auge: Zwischen dem echten Anliegen der Ärzte, ein von Menschlichkeit geprägtes Arzt-Patienten-Verhältnis in den Mittelpunkt zu rücken und dem Anliegen der Politik, Steuerungselemente eines solidarisch geprägten Sozialsystems in den Vordergrund zu rücken, liegen Welten. Das zeigte sich zum Beispiel auch im Grußwort der Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns, Martina Bunge (PDS): Die solidarische Versicherung müsse verteidigt, aber auch gangbar gemacht werden, erklärte sie. Medizinischer Fortschritt zum Nulltarif sei nicht haltbar, sagte sie und forderte, mehr Geld ins System zu pumpen.

Der Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Andreas Crusius, machte deutlich, dass der Arzt schon seit langer Zeit im Spannungsfeld zwischen Medizin und den politischen Rahmenbedingungen stehe. Er machte vor allem auf den Ärztemangel in Ostdeutschland aufmerksam: „Wenn die Gesundheitspolitik so weitergeht, dann haben wir unsere Zukunft schon einmal erlebt.“

Einer der Paracelsus-Preisträger der deutschen Ärzteschaft, Prof. Dr. Dr. Dr. Hanns Gotthard Lasch, bewegte die Gäste ganz besonders. Er machte jungen Ärzte Mut, auch weiterhin zu ihrem Beruf zu stehen. Helfen und Heilen müssten trotz wachsender ökonomischer Zwänge auch weiterhin Mittelpunkt der ärztlichen Tätigkeit sein.

Ureigenste Belange

Ärztepräsident Hoppe sprach in seiner Rede ureigenste ärztliche Belange an, die später auch Gegenstand der Beratungen der Delegierten waren. So forderte er dringend zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern auf. Er dankte Ulla Schmidt für die Novellierung der Approbationsordnung und drängte auf die Reform der Bundesärzteordnung und die Abschaffung des AiP. Besondere Sorgen machten ihm Nachwuchsprobleme und drohender Ärztemangel; die Belange von Ärztinnen müssten in diesem Zusammenhang stark gefördert werden. Ganz entschieden setzte er sich für die Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung von Kindern ein und wandte sich mit Vehemenz gegen Forderungen nach einer aktiven Sterbehilfe.

Hier eine Auswahl der wichtigsten Beschlüsse des Deutschen Ärztetages – auf einen Blick:

• Absage jeder Form einer Checklisten-Medizin. Die individuelle Behandlung von Patienten und die Anwendung wissenschaftlich begründeter Leitlinien sind keine Gegensätze, sondern müssten sinnvoll miteinander verbunden werden.

• Gefordert wird ein schneller und tiefgreifender Wechsel in der Gesundheitspolitik. Die Ärzte fordern mehr Kostentransparenz, die Ausdehnung der Einnahmebasis der GKV und die Aufgabe versicherungsfremder Leistungen.

• Datenübermittlung untergräbt das Vertrauen zwischen Arzt und Patient. Weder die Übermittlung von Befunddaten noch die Information der Krankenkasse über das Verhalten der einzelnen Patienten durch die behandelnden Ärzte ist mit dem Selbstverständnis des Arztberufes in Einklang zu bringen.

• Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit. Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden sind aufgefordert, das EuGH-Urteil zur Arbeitszeit bei den laufenden Tarifverhandlungen zu berücksichtigen.

• Das Werbeverbot der Ärzte ist gelockert. Künftig können Ärzte auch auf Tätigkeitsschwerpunkte oder Qualifikationen hinweisen, die nicht Gegenstand des Weiterbildungsrechts sind. Mit der Novellierung der Muster-Berufsordnung reagierte das Ärzteparlament auf jüngste Urteile des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts.

• Der Weg ist frei für einen Hausarzt neuen Typs. Eine zweigliedrige Struktur in allgemeinmedizinisch/ internistisch geprägte Hausärzte und spezialisierte Internisten löst den bisherigen Status quo ab, nach dem bisher zwischen Allgemeinmedizinern, hausärztlich tätigen Internisten und spezialärztlich tätigen Internisten unterschieden wurde.

• Gefordert wird ein Konzept für mehr Ärztinnen in Führungspositionen.

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