Diskussion um Chancen und Risiken

Auch deutsche Forscher dürfen jetzt embryonale Stammzellen nutzen

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Nach dem Votum des Bundestages ist nun auch in Deutschland der Weg frei für Forschungen an menschlichen embryonalen Stammzellen. Allerdings sind die Arbeiten an strikte Auflagen gebunden. Die beteiligten Forscher befürchten bereits, dass die Regelung sie bald im internationalen Vergleich erneut ins Hintertreffen bringen könnte.

Mehr als eineinhalb Jahre hat es gedauert, ehe der Antrag des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle vom Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt wurde. Fördermittel in Höhe von 200 000 Euro – eine in diesem Bereich eher bescheidene Summe – hatte der Wissenschaftler für die „Gewinnung und Transplantation neuraler Vorläuferzellen aus humanen embryonalen Stammzellen“ beantragt. Ein brisanter Forschungsantrag, der auch den deutschen Wissenschaftlern das Tor zur Stammmzellforschung an humanen embryonalen Zellen eröffnen sollte. Denn Forschung an Embryonen ist hier zu lande bislang nicht erlaubt.

Forschung an Embryonen bleibt weiter verboten

Daran hat auch das Votum des Bundestages am 31. Januar diesen Jahres nichts geändert: Denn erlaubt ist den Wissenschaftlern nun lediglich der Import von Zelllinien, die aus embryonalen Stammzellen gewonnen wurden. Diese dürfen nicht zum Zwecke der Forschung hergestellt worden sein, sondern es muss sich um Zellen aus so genannten überzähligen Embryonen handelt. Solche „überzählige“ Embryonen entstehen fast schon routinemäßig bei der In-vitro-Befruchtung. Denn nur einer von mehreren entstehenden Embryonen wird dabei in die Gebärmutter eingepflanzt und kann zu einem Kind heranwachsen. Üblicherweise werden die „überzähligen“ Embryonen eingefroren, solange nicht klar ist, was mit ihnen geschehen soll. Statt sie zu „verwerfen“ möchten die Wissenschaftler mit speziellen Zellen dieser Embryonen Forschung betreiben. Es handelt sich dabei um Vorläuferzellen, die so genannten omnipotenten embryonalen Stammzellen. Diese lassen sich aus vier bis sechs Tage alten Embryonen (Blastozyste) gewinnen. Sie können zu allen Geweben auswachsen, und sie können sogar menschliches Leben bilden. Adulte Stammzellen dagegen – also Vorläuferzellen, wie sie beim Säugling bis hin zu erwachsenen Menschen im Knochenmark oder in anderen Geweben in geringer Zahl gefunden werden - sind nicht omnipotent, sondern „lediglich“ pluripotent. Sie können zu verschiedenen Gewebezellen differenzieren, nicht mehr aber zu einem kompletten Lebewesen auswachsen. Die Forschung an adulten Stammzellen gilt daher aus ethischen Erwägungen als unproblematisch.

Begrenztes „Ja“ zur Stammzellforschung

Anders ist es bei den humanen embryonalen Stammzellen. Deshalb entstand in den vergangenen Monaten eine zum Teil hitzige Debatte in der Öffentlichkeit darüber, ob denn nun diese Forschung, die in verschiedenen anderen Ländern längst praktiziert wird, auch in Deutschland betrieben werden darf.

Der Bundestag entschied sich zu einem begrenzten Ja: Demnach dürfen lediglich Zelllinien genutzt werden, die im Ausland zum Zeitpunkt des Votums bereits existieren (Stichtagregelung). Es dürfen keine eigenen Zelllinien embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken in Deutschland erzeugt werden (so genannte verbrauchende Embryonenforschung), und es dürfen auch keine Zelllinien aus dem Ausland importiert werden, die nach einem noch zu bestimmenden Stichtag erzeugt wurden.

Genau dies aber wurmt die deutschen Stammzellforscher. Zwar begrüßten Professor Oliver Brüstle und Professor Otmar Wiestler, die sich in den vergangenen Monaten in exponierter Weise besonders in der Öffentlichkeit engagierten und allgemein als Pioniere der Stammmzellforschung in Deutschland gelten, die neue Regelung. Ob diese aber lange tragen wird, das bezweifelt Brüstle vor der Presse: „Wir werden wohl schon in absehbarer Zeit in eine Situation kommen, in der Forscher in anderen Nationen an neuen Zelllinien mit besser aufgereinigten Stammzellen arbeiten. Wir aber dürfen dann nicht die Zelllinien der zweiten Generation nutzen.“ Dann könnte die deutsche Stammzellforschung nach seinen Worten erneut ins Hintertreffen geraten.

Doch nicht nur die Stichtagsregelung macht den Wissenschaftlern Sorge. Der Im-port von Stammzellen setzt außerdem das offizielle Okay einer unabhängigen Genehmigungsbehörde voraus.

Bürokratische Hemmnisse

Auch die DFG hat die bewilligten Forschungsgelder an die Vorlage einer solchen Genehmigung geknüpft. Im Klartext heißt das jedoch, dass die Gelder solange auf Eis liegen, bis hier zu Lande die gesetzlichen Regelungen für eine solche Genehmigung erarbeitet wurden. Das aber kann Monate dauern, befürchtet Wiestler: „Der Förderungsantrag läuft nunmehr seit eineinhalb Jahren und ist unter wissenschaftlichen, aber auch unter ethischen und juristischen Gesichtspunkten wie kein zweiter Antrag in Deutschland geprüft worden.“ Es wäre nach Wiestler nun nicht zu vertreten, wenn durch bürokratische Hemmnisse die Forschungen weiter um Monate verzögert würden. Deshalb fordern die Bonner Forscher, jetzt pragmatisch vorzugehen und in einer Art Pilotprojekt in Bonn rasch den Startschuss für die Arbeiten mit embryonalen Stammzellen zu geben.

Forschungsschwerpunkt Nervengewebe

„Wir möchten nun gezielt untersuchen, was mit embryonalen Stammzellen in menschlichen Geweben möglich ist und ob mit Hilfe dieser Zellen neue Therapieverfahren entwickelt werden können“, skizzierte Brüstle das geplante Vorgehen. In Bonn sind die Arbeiten auf Nerven- und Stützgewebe konzentriert. Die bisherigen, an embryonalen Mauszellen gewonnenen Erkenntnisse sollen mit Hilfe von embryonalen Stammzelllinien, die zunächst aus Haifa importiert werden, bei humanen Zellen überprüft werden.

Dabei soll konkret analysiert werden, ob und wie es gelingt, aus den gereinigten embryonalen Stammzellen Vorläuferzellen für menschliches Nerven- und Stützgewebe differenzieren zu lassen. In einem zweiten Schritt könnten diese dann Nagetieren transplantiert werden, um zu klären, ob die so erhaltenen Zellen tatsächlich auswachsen und funktionstüchtiges Gewebe im lebenden Organismus ausbilden. Lässt sich der Nachweis erbringen, dass funktionstüchtiges Gewebe gebildet wird, so könnte man daran gehen, entsprechende Therapieverfahren des Gewebeersatzes beim Menschen zu entwickeln.

Denkbar wäre beispielsweise, erkranktes Gewebe bei Parkinson-Patienten oder bei Patienten mit Multipler Sklerose zu ersetzen. Selbstverständlich aber müsste dann zugleich die Sicherheit des Verfahrens peinlichst genau überprüft werden. Denn die embryonalen Stammzellen wachsen praktisch als unsterbliche Zelllinien. Sie besitzen ein ungeahntes Potenzial sich zu vermehren und das könnte möglicherweise Risiken bei der Anwendung beim Menschen implizieren. „Noch sind wir im Stadium der reinen Grundlagenforschung“, bekräftigte Brüstle. „Ehe wir über Anwendungen beim Menschen konkret nachdenken können, werden sicher fünf bis zehn Jahre vergehen.“

Andererseits sind die Chancen, die sich durch die embryonale Stammzellforschung eröffnen, weit größer, als derzeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Sie liegen keinesfalls nur im gezielten Gewebeersatz. Vielmehr bieten embryonale Stammzellen wahrscheinlich erheblich erweiterte Möglichkeiten für pharmakologische und auch toxikologische Untersuchungen. Sie könnten möglicherweise gentherapeutische Verfahren vorantreiben, beispielsweise wenn es gelingt, mit Hilfe embyronaler Stammzellen den Gentransfer in erkranktes Gewebe zu erleichtern.

Chancen über den Zellersatz hinaus

Durch einen zellvermittelten Gentransfer könnten dann eines Tages via Stammzellen gezielt defekte Gene in erkrankten Geweben ausgetauscht, das Erbgut dieser Zelle damit quasi „repariert“ werden. Nicht zu unterschätzen ist nach Brüstle ferner der theoretische Wissensgewinn solcher Forschungen, die quasi erstmals die Möglichkeit eröffnen, die molekularen Grundlagen bestimmter Erkrankungen zu eruieren.

Allerdings sehen auch die Bonner Wissenschaftler enge Grenzen ihres Tuns und stellen sich ihrer ethischen Verpflichtung: „Auch in Zukunft dürfen Embryonen keinesfalls zu Forschungszwecken hergestellt werden“, fordert Brüstle. Er gab zusammen mit seinem Kollegen Wiestler ferner bekannt, keine Manipulationen an der Keimbahn zu planen und sich auch nicht um das Klonen zu bemühen.

Beim Klonen geht es darum, genetisch identische Lebewesen zu erzeugen. Dabei wird der Zellkern aus der Eizelle einer Frau entfernt (Eizellspende) und mit einer Körperzelle des zu klonenden Lebewesens fusioniert. Zu unterscheiden sind das reproduktive Klonen sowie das therapeutische Klonen. Beim reproduktiven Klonen würde der entstehende geklonte Embryo in die Gebärmutter einer Frau eingesetzt und zu einem Kind heranwachsen, ein Verfahren, das nach einem allgemeinen Konsens auch unter den Forschern ethisch als nicht vertretbar gilt. Ziel beim therapeutischen Klonen ist es, aus dem entstehenden Embryo Stammzellen gewinnen zu können, mit deren Hilfe sich gezielt Ersatzzellen für defekte Organe des Zellspenders entwickeln lassen. Reproduktives wie auch therapeutisches Klonen sind in Deutschland nicht erlaubt. Auch mit dem therapeutischen Klonen, also der Züchtung von Gewebe durch Eizellspende und der Erzeugung von Embryonen, wollen die Wissenschaftler sich nicht befassen: „Wir glauben, dass die Möglichkeiten dieses Verfahrens allgemein überschätzt werden und dass es nicht gelingen wird, damit grundsätzlich neue Therapieformen zu entwickeln“, so Wiestler.

Adult und embryonal – kein Widerspruch

Dennoch wird die Freigabe des Importes embryonaler Stammzellen von vielen Kritikern als eine Art Dammbruch gesehen. Sie fürchten, dass weitere Entscheidungen zu weiteren Liberalisierungen bei der Embryonenforschung führen könnten. Viele Kritiker halten zudem die Forschung an embryonalen Stammzellen für nicht notwendig, solange das Potenzial der adulten Stammzellen nicht ausgereizt ist.

Die Diskussionen haben in der jüngsten Vergangenheit den Eindruck entstehen lassen, zwischen der adulten und der embyronalen Stammzellforschung bestünden direkte Gegensätze. Das aber ist falsch, so Brüstle.

Die beiden Verfahren stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich gegenseitig. Und Brüstle fordert sogar, die adulte Stammzellforschung in Deutschland zu forcieren. Schwierigkeiten aber macht die Tatsache, dass adulte Stammzellen anders als die Zellen embryonalen Ursprungs in Kultur nur schwer wachsen. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass die Forscher noch nicht genau wissen, durch welches Milieu und durch welche Signale das Wachstum und die Differenzierung dieser Zellen gesteuert werden können. „Genau dies aber können wir möglicherweise bei den embryonalen Stammzellen erforschen“, sagte der Bonner Wissenschaftler.

Dann aber könnte durchaus die Situation entstehen, dass die embryonale Stammzellforschung sich selbst eines Tages überflüssig macht und die Forscher erkennen werden, dass sie mit dem neuen Wissen ebenso gut mit adulten Stammzellen arbeiten können. Dazu Brüstle: „Die beiden Richtungen sind keine konkurrierenden Verfahren. Im Gegenteil, sie bewegen sich derzeit massiv aufeinander zu“.

Stammzellen bleiben aktuell

Die Bonner Forscher hoffen, dass nun etwas Beruhigung in die zum Teil hitzige Debatte um die Chancen und Risiken der Stammzellforschung einkehrt. Dass diese noch auf absehbare Zeit die Gemüter bewegen wird, dafür sprechen die vielen Presseberichte in den vergangenen Tagen. Denn nach dem Bundestagsvotum melden sich nun mehr und mehr Forscher, die ebenfalls Projekte in der Stammzellforschung planen.

Aus den USA kommt derweil die Meldung, dass die in die Stammzelltherapie gesetzten Hoffnungen möglicherweise überzogen sind. Zumindest hat die Hoffnung, Multiple-Sklerose-Kranken durch eine Transplantation von Stammzellen, die myelinhaltige Nervenfasern wieder aufbauen, helfen zu können, einen drastischen Dämpfer bekommen. Denn die Versuche, die bei Ratten durchaus hoffnungsvoll verliefen, lassen sich offenbar nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. So ließen sich in den Gehirnen verstorbener MS-Patienten durchaus Zellen finden, die in der Lage gewesen wären, den Defekt vor Ort zu beheben. Dies geschieht aber offensichtlich nicht, ein Phänomen, an dem die Forscher nun noch rätseln.

Andere amerikanische Wissenschaftler gaben in der vergangenen Woche bekannt, einen neuen Zelltyp gefunden zu haben und zwar die „multipotenten adulten Vorläuferzellen“. Es handelt sich um Zellen des Erwachsenen, die wahrscheinlich vielseitiger sind als die bisher bekannten adulten Stammzellen. Die Forscher gehen davon aus, dass diese Zellen sich nahezu ebenso gut wie embryonale Stammzellen in eines der rund 200 verschiedenen Gewebe des menschlichen Körpers verwandeln können.

Doch auch aus dem Lager der embryonalen Stammzellforscher kommen aufregende Neuigkeiten: So haben Wissenschaftler des Max-Delbrück-Zentrums für Molekulare Medizin in Berlin-Buch zusammen mit ihren Kollegen an den Universitäten in Kiel und Iowa/USA zeigen können, dass eine Behandlung mit embryonalen Stammzellen möglicherweise Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen verhindern kann. Damit zeichnet sich ab, dass durch die neuen Entwicklungen eines Tages eventuell eines der zentralen Probleme in der Transplantationsmedizin gelöst werden könnte.

Christine VetterMerkenicherstraße 22450735 Köln

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