Weitere Steuererhöhungen in Sicht

Notopfer Berlin

Die rot-grüne Regierung fühlte sich nur kurz verpflichtet, mit Steuersenkungen ein Wahlversprechen einzuhalten. Weil aber in diesem Jahr der Verschuldungsgrad über die erlaubte EU-Norm zu steigen droht, sind weitere trickreiche Steuererhöhungen angesagt.

Nicht nur beim Wirtschaftswachstum hat sich innerhalb der Europäischen Union die ehemalige Konjunkturlokomotive Deutschland als Schlusslicht etabliert. Auch beim Schuldenstand hat die deutsche Bundesregierung ihren alten Soliditäts-Nimbus längst verloren. Sie rangiert auch hier, bei derzeit zweieinhalb Prozent Schulden gemessen am gesamten Volkseinkommen (Bruttoinlandsprodukt), als Schlusslaterne. Sie ist damit hinter so kecke Schuldenmacher wie Italien, Belgien oder Griechenland zurückgefallen.

Dieser Rückfall in die Unsolidität ist nicht ohne Ironie: Als die Stabilitätskriterien für den Euro festgelegt wurden, bestanden ausgerechnet die Deutschen darauf, enge Grenzen für das Schuldenmachen zu setzen. Andernfalls hagelt es hohe Strafen von Seiten der EU. Heute droht ausgerechnet dem Stabilitätsvorreiter von damals als Erstem diese selbst verordnete Strafe.

Die Gründe für die notorische Geldknappheit in den Kassen der amtierenden Regierung werden gerne verschleiert. So dienen das global gebremste Wirtschaftswachstum, die daraus resultierende Arbeitslosigkeit und andere, gleichsam schicksalhafte Schikanen gegen den Bundeshaushalt als Ausrede. Berlin gibt natürlich nicht zu, zur Unzeit falsche Signale gesetzt zu haben. Hier sei ein Beispiel dafür genannt, weshalb die gerade in Deutschland so zahlreich vertretene mittelständische Wirtschaft vor Wachstum und der damit zumeist verbundenen Neueinstellung von Arbeitskräften zurückschreckt.

Teurer Betriebsrat

Betriebe, die mehr als 200 Mitarbeiter beschäftigen, müssen neuerdings einen Betriebsrat von der Arbeit freistellen. Zum einen produziert dieser Mitarbeiter für den Betrieb unproduktive Kosten zwischen 50000 und 150 000 Euro. Zum anderen muss er sich in Frontstellung zur Betriebsleitung nützlich machen. Also verzichten wohl die meisten Mittelständler darauf, über 200 Beschäftigte hinauszuwachsen. Oder sie versuchen, nicht zuletzt durch Entlassungen, auf unter 200 Beschäftige zu schrumpfen. Dieses Geschenk an den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Form einer verstärkten, direkten Einflussnahme auch auf Kleinbetriebe dürfte der Kanzler schon bitter bereut haben. Aber es handelte sich um ein versprochenes Gegengeschenk zur finanziellen Wahlkampfunterstützung von Seiten des DGB.

Auch die Dogmatisierung und Bürokratisierung der 325-Euro-Jobs durch den ehemaligen IGMetall- Gewerkschafter Walter Riester wirkte wie ein Herbizid auf den legalen Arbeitsmarkt. Statt steuerrelevantem Wachstum erlebten wir ein Neuerblühen des Schwarzmarktes. Diesen will nun nicht mehr der Staat allein bekämpfen. Er zwingt unbeteiligte Bürger, ihm dabei in der Funktion von Steuereintreibern zu helfen. So müssen ab Januar 2002 Immobilieneigner mit mehr als zwei Objekten bei einem Bauauftrag von mehr als 5 000 Euro bei den von ihnen engagierten Handwerkern für den Staat eine „Bauabzugssteuer“ in Höhe von 15 Prozent einbehalten und an den Fiskus abführen.

Keinen Schimmer

Eine Absurdität, die sich nur Berufspolitiker ausdenken können, ohne dabei einen auch nur blassen Schimmer vom praktischen Wirtschaftsleben zu haben. Es wurde nämlich übersehen, dass die Kontrolle dieses Gesetzes durch den Fiskus, der eigentlich entlastet werden sollte, letztlich wohl mehr kosten wird, als es eigentlich einbringt. Erfahrene Wirtschaftspraktiker hingegen sind der Meinung, so etwa der renommierte Unternehmensberater Roland Berger, dass statt einer Restriktion der 630-Mark-Jobs im Boomjahr 1999 eine Expansion auf einen steuer- und abgabenfreien Monatsverdienst auf 1200 oder gar 1500 Mark nicht nur mutiger, sondern auch sinnvoller gewesen wäre. Das nämlich hätte einen gewaltigen Schub beim Wirtschaftswachstum und eine große Entlastung bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe gebracht. Man hätte nur in den Niederlanden oder in Dänemark nachschauen müssen, wie diese beiden Nachbarstaaten wieder zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand gelangt sind.

Doch die größte Finanzlast, die Gesamtdeutschland an den Schuldenabgrund getrieben hat, wird wie ein Tabu verschwiegen. Es sind die so genannten Transferleistungen an die ehemalige DDR. Die neuen Bundesländer können auch elf Jahre nach der Wirtschafts- und Währungsunion immer noch nicht aus eigener Kraft existieren. Die Arbeitslosenquote ist mit zuletzt 17,5 Prozent in etwa so hoch wie die im wirtschaftlich ruinierten Argentinien. Daher fließt ein Großteil der jährlich rund 70 Milliarden Euro in die Versorgung der Arbeitslosen, also in den Konsum. Aber nicht nur die Arbeitslosen wollen ernährt werden. Auch eine Millionenschar von Ex-DDR-Rentnern bekommt ihr Geld direkt aus dem Bundeshaushalt. Die Ökosteuer hilft, diesen Sollposten erheblich aufzupolstern.

Die Sparmanie des Bundesfinanzministers wird verständlich und nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass bei einem Bundeshaushalt, der im Jahr 2001 mit 245 Milliarden Euro dotiert war, Transferleistungen in Höhe von 70 Milliarden Euro kein Pappenstiel sind. Denn knapp 30 Prozent der Steuereinnahmen, auf die der Bund im weitesten Sinne hätte zählen können, werden gebraucht, um weiterhin die deutsche Wiedervereinigung zu finanzieren. Nichts gegen die deutsche Wiedervereinigung – aber die volkswirtschaftlichen Fehler, die dabei gemacht wurden, indem die meisten der vorhandenen Betriebe geradezu ausradiert wurden, sind leider nicht mehr rückgängig zu machen.

Kahlschlag

Hätte man, statt einer Bundesbehörde namens „Treuhand“ eine Axt in die Hand zu geben, das „Volkseigentum“ in Aktiengesellschaften umgewandelt und den Arbeitnehmern Aktien übereignet, hätte es womöglich keinen so extremen Kahlschlag gegeben. Aber es regierte die fixe Idee, aus dem Verkauf von DDR-Betrieben an kapitalistische Unternehmer die Wiedervereinigung zu finanzieren. Dieses Fiasko, das finanztechnisch in einem Schuldenloch von rund 120 Milliarden Euro mündete, wirkt heute noch nach und wird wohl auch die Steuerbelastung aller Bundesbürger für die kommenden zehn und mehr Jahre bestimmen.

Die angefangene Steuerreform, die aus reiner Finanznot auf zunächst fünf Jahre gestreckt wurde, wird die Bundesdeutschen nur zum Schein entlasten. Wie im vergangenen Jahr, so müssen auch 2002 die Steuerbürger letztlich mehr zahlen, als ihnen angeblich erspart bleibt. So erhalten die meisten Beschäftigten als Lohnerhöhung den Inflationsausgleich von zwei Prozent. Zusammen mit einer Lohnsteuer in höchster Progression, dem Solidaritätszuschlag und den neuen Steuererhöhungen für Energie, Versicherungen und Rauchwaren kassiert der Staat etwa zwei Drittel vom Inflationsausgleich wieder ab.

Diese Steuerabzüge summieren sich auf schätzungsweise zwölf Milliarden Euro. Unterm Strich bleibt für die Bevölkerung inflationsbereinigt wieder einmal ein massiver Kaufkraftverlust, der durch Sparen oder Verzichten ausgeglichen werden muss. Dadurch aber wird die Rezession weiter genährt. Den ersehnten Aufschwung blockiert die Regierung selbst. Der Staat hat offenbar nicht einmal mehr die finanzielle Freiheit, rational zu regieren. Er muss stattdessen wünschen und hoffen, dass es irgendwie nicht schlimmer, sondern nur besser wird.

So gesehen waren die hinterlistig arrangierten Steuererhöhungen für das neue Jahr 2002 wiederum ein falsches Signal. Wenn es nur dabei bleiben würde. Um letztlich nicht in der selbst aufgestellten Schuldenfalle zu landen, wird die amtierende Regierung – Wahljahr hin, Wahljahr her – weiterhin gezwungen sein, an der Steuerschraube zu drehen, um den Bürgern Geld abzupressen. Im Planspiel sind:

EineErhöhung der Mehrwertsteuervon derzeit 16 auf mindestens 18 Prozent. Als maßgeblicher Grund wird ins Spiel gebracht, dass sich Deutschland mit seiner Verbrauchssteuer für die Konsumenten in der EU am unteren Ende befindet und im Zug der Währungsunion eine Angleichung an europäisches Mittelmaß nur angebracht sei. Ein Mehrwertsteuer-Punkt bringt immerhin acht Milliarden Euro; 16 Milliarden wären schön, zumal die Steuereinnahmen für 2002 mit etwa 20 Milliarden Euro wohl unter der ursprünglichen Schätzung bleiben werden und damit der verabschiedete Haushalt zur Makulatur werden könnte.

EineWiedereinführung der Vermögensteuervon einem Prozent ab einem Gesamtvermögen von 250 000 Euro. Rechtzeitig zum Jahreswechsel machte sich der ver.di-Chefgewerkschafter zum Herold dieser Steueridee, die eigentlich schon unter der Regentschaft des abgedankten Bundesfinanzministers Oskar Lafontaine hätte verwirklicht werden sollen. Diese Steuer verfassungskonform zu schmieden, daran haben schon erprobte Gesetzestexter gearbeitet. Womöglich sind sie bereits wieder aktiviert.

EineModifizierung des Ehegatten-Splittingwird von den Grünen seit langem gefordert. Die Bundesfamilienministerin Christine Bergmann machte mit diesem brisanten Steuerthema (ganz sicher nicht im Alleingang) am 9. Januar einen ersten Vorstoß in die Öffentlichkeit. Das Dementi des Bundesfinanzministers gehört zum Ritual und ist eigentlich als Bestätigung dafür zu werten, dass Änderungen geplant sind. Auch beim Ehegatten-Splitting steht, wie bei der Vermögensteuer, das Grundgesetz im Wege. Doch wenn das entsprechende Gesetz komplex und kompliziert genug ist, dürfte es viele Jahre dauern, ehe das Bundesverfassungsgericht ein Machtwort wird sprechen können. Und danach bleibt ein zeitlicher Spielraum, bis das womöglich nicht verfassungskonforme Gesetz zu ändern ist. Schließlich brachen auch die 1999 über Nacht von Lafontaine nachträglich eingeführten Spekulationsfristen (vor allem bei Immobilienbesitz) ganz offenkundig den von der Verfassung garantierten Vertrauensschutz im Hinblick auf geltende Gesetze.

Die Einführung einerGewerbesteuer für Freiberufler.Ärzte, Rechtsanwälte, Übersetzer, Berater, Sachverständige, freie Autoren oder Künstler waren als Freiberufler bislang von der Gewerbesteuer befreit. Sie wird von den Gemeinden nach deren Hebesatz erhoben und ist am ausgewiesenen Gewinn bemessen. International agierende Großunternehmen haben die Möglichkeit, Verluste im Ausland mit Gewinnen im Inland zu verrechnen. So zahlen etwa DaimlerChrysler oder auch der Allianz-Konzern an ihren Stammsitzen Stuttgart und München kaum oder keine Gewerbesteuern. Die Stadtkämmerer allerorten können wegen der unvorhersehbaren Gewinnkalkulation der in ihren Kommunen angesiedelten Unternehmen das Steueraufkommen kaum noch kalkulieren. Um so schlimmer für sie, da sie die vom Gesetzgeber Bund aufgebürdeten Sozialkosten (vor allem das Wohngeld und die Sozialhilfe) aus dem Stadtsäckel aufbringen müssen. Um die stark schwankenden Einnahmen zu stabilisieren, liebäugelt der Gesetzgeber mit der Einführung der Gewerbesteuer auch für freiberuflich Selbständige. Allerdings hat diese Steuer für den Bund einen Schönheitsfehler: Sie kann mit der Einkommensteuer verrechnet werden. Und der Verlust an dieser Steuer geht primär zu Lasten des Bundes.

Erhöhung der Erbschaftssteuerauf Immobilienbesitz und Unternehmensanteile. Immer noch versteuern die Erben von Immobilien nur etwa 50 Prozent des Marktpreises. Daraus resultiert eine krasse Benachteiligung von vererbtem Geldvermögen. Das ist nicht verfassungskonform. Deshalb wird die auf die kommende Legislaturperiode verschobene Reform des Erbrechts womöglich noch im laufenden Jahr durchgepeitscht. Die Mehreinnahmen bekommen zwar die Länder – wie auch die Vermögensteuer. Doch durch die Hintertür schachert der Bund, wie gehabt, den Ländern die Mehreinnahmen wieder ab.

Zu alledem droht dem Bund auch noch aus anderer Richtung ein Steuerdebakel: Vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird im Frühjahr 2002 ein Urteil erwartet, das die künftigen Steuerkalkulationen des Bundes stark belasten könnte. Ein Beamter fühlte sich im Vergleich zu Rentnern benachteiligt, weil er seine Pension voll versteuern muss, der Rentner aber nur den Ertragsanteil und somit praktisch von Steuern verschont bleibt.

Altersvorsorge

Das höchste deutsche Gericht wird wahrscheinlich, so die Erwartungen der Fachleute, dem Kläger recht geben und vom Gesetzgeber verlangen, Rentner und Staatspensionäre steuerlich gleich zu stellen, also auch die Renten zu besteuern. Das aber hätte zur Folge, dass andererseits die Aufwendungen der Arbeitnehmer für die gesetzliche Altersvorsorge voll von der Steuer abzusetzen sind. Die derzeit gültige Pauschale reicht dafür bei weitem nicht aus.

In der Praxis würde ein solches Urteil bedeuten, dass zunächst die Einzahler in die gesetzlichen Rentenkassen ihre Beiträge voll von der Steuer absetzen könnten. Das kostet den Staat Multi-Milliarden. Aber erst ganz allmählich könnte er die Rentner zur Steuerkasse bitten, denn die derzeitigen Rentenbezieher blieben verschont. Sie genießen Vertrauensschutz.

Bleibt für den Finanzminister nur die Hoffnung, dass ihm die Verfassungsrichter gnädig gestimmt sind und dem Gesetzgeber eine lange Frist zur Umsetzung des erwarteten Urteils einräumen.

Der langjährige Autor unserer Rubrik „Finanzen“ ist gerne bereit, unter der Telefon-Nr. 089/64 28 91 50Fragen zu seinen Berichten zu beantworten.Dr. Joachim KirchmannHarthauser Straße 2581545 München

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