Gastkommentar

Sozialpolitischer Aschermittwoch

„3 x 40“: Diese Grenze will Edmund Stoiber für Staatsquote, Spitzensteuersatz und Sozialabgaben ziehen. Sein Berater Horst Seehofer vermittelt klare Perspektiven für die Gesundheitspolitik. Aber, wagt der Kanzlerkandidat Stoiber den Sprung über die Schatten der Landespolitik zu einer unpopulären Operation?

Am Aschermittwoch zeigt sich, was Edmund Stoiber von manchen Vorgängern im Freistaat unterscheidet: „Er raucht nicht, trinkt nicht, spielt nicht!“ Für kämpferische Biertrinker ist seine gesundheitsbewusste Lebensweise provozierend. Im Wahlkampf zählt nicht nur die Lufthoheit über den Stammtischen, sondern auch der wirtschaftliche Erfolg.

Amtsinhaber Gerhard Schröder muss den Herausforderer mit dem Laptop in Lederhose ernst nehmen. Bayern kann sich von der Schlusslichtposition der Bundesrepublik in der Europäischen Union abheben. Rückschläge in der New Economy oder Probleme mit alten Industrien in Nordbayern stellen den Gesamterfolg der Landespolitik nicht in Frage. Vor allem Oberbayern profitiert von der Ansiedlung hoch qualifizierter Dienstleister. Die Politik hat Privatisierungserlöse für den Strukturwandel genutzt und den Unternehmen viel Gestaltungsspielraum überlassen. Erfolgreiche Konzepte aus der Landespolitik lassen sich aber nicht einfach auf die Bundesebene übertragen. Zwar ist Schröder mit seinen Zielen gescheitert, die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen und die Sozialabgabenquote unter 40 Prozent zu drücken. Aber, hatte nicht schon Helmut Kohl eine „Halbierung der Arbeitslosen“ versprochen? Langjährige Versäumnisse der Wirtschaftspolitik, eine niedrige Investitionsquote und strukturelle Fehlentwicklungen lassen sich nicht ein halbes Jahr vor der Wahl durch arbeitsmarktpolitische Pflaster zukleben.

„3 x 40“ lautet die neue Zielvorgabe der Union. Das Konzept steht für Staatsquote, Sozialabgaben und einen Spitzensteuersatz, die auf jeweils 40 Prozent reduziert werden sollen. Während Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel mit Blick auf den internationalen Wettbewerb zuerst große Kapitalgesellschaften entlastet haben, will Stoiber Investitionen über den Mittelstand anschieben. So lobenswert das ist, so unklar bleibt die Finanzierung. Schließlich wird auch Stoiber an der Grenze von drei Prozent gemessen, die Parteifreund Theo Waigel im Stabilitätspakt für neue Schulden festgeschrieben hat. Der Verzicht auf die letzte Stufe der Ökosteuer wirft die Frage nach den Rentenfinanzen auf. Stoiber wolle „Schulden machen wie Märchenkönig Ludwig“ – spottet die weiß-blaue Opposition. Die Alternativen in der Gesundheitspolitik lassen sich vorerst nur in groben Zügen abschätzen. Ob Schröder oder Stoiber – wer die Sozialversicherungsbeiträge in Summe auf vierzig Prozent begrenzen will, kann nicht allen eine Freude machen, wie es Gesundheitsministerin Ulla Schmidt versucht. Mit dem derzeit erkrankten Horst Seehofer verfügt die CSU über einen profilierten Gesundheitspolitiker. Er steht für mehr Transparenz und Wettbewerb, sowie angemessene Selbstbehalte im Gesundheitswesen.

Aber, werden die Sozialausschüsse der CDU und die Parteifreunde zuhause das zulassen? Schon als Bundesgesundheitsminister in Bonn konnte sich Seehofer gegen die Planwirtschaft in Bayerischen Krankenhäusern nicht durchsetzen. Im gesundheitspolitischen Arbeitskreis seiner Partei hat der öffentliche Dienst Vorfahrt. Die Kurdirektoren im Freistaat wehren sich gegen neue Tiefschläge. Das Sozialministerium behütet die unantastbaren fünf Landesversicherungsanstalten. Für Reformen gilt im Zweifel der Grundsatz: „Es muss was gschehn, aber es darf nichts passiern“.

Ohne Konsens mit den Ländern über einen notwendigen Strukturwandel muss jeder Bundesgesundheitsminister scheitern, weil die Kliniken den entscheidenden Kostenblock darstellen. Auf eine konsequente Ausschöpfung des Sparpotentials ambulanter Behandlungsformen vor allem durch freiberufliche Mediziner kann in einem modernen System nicht verzichtet werden.

Gegen den notwendigen Abbau von Überkapazitäten in den Kliniken formieren sich aber nicht nur deren Träger, sondern auch die Gewerkschaft ver.di. Obwohl die Mehrheit der Arbeitnehmer im Zweifel an günstigen Beiträgen interessiert sein müsste, setzen in der Gesundheitspolitik die Funktionäre Gruppeninteressen durch, wie zuletzt die der Pharmaindustrie. Mit ihrem Gewerkschaftsvorsitzenden Hubertus Schmoldt intervenierte die Branche beim Kanzler gegen die Arzneimittelsparpläne von Ulla Schmidt.

Ob Schröder oder Stoiber – wer im September gewinnt, sollte rasch handeln. Beide sind nach der Wahl nicht mehr darauf angewiesen, sich bei jedermann beliebt zu machen. Gefordert ist eine Operation mit klaren Schnitten – geführt von der ruhigen Hand eines mutigen Reformers.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.