Gefahr einer Deflation in Deutschland

Die Luft ist raus

Deflation ist das Gegenteil von Inflation. Was Inflation bedeutet, wissen die meisten, vor allem die Kriegsgeneration. Doch eine richtige Deflation ist weitaus grausamer. Denn in letzter Konsequenz mündet sie – wie einst 1929 – in einer Massenverelendung.

Erst schemenhaft und mit vielen Fragezeichen geistert ein Gespenst durch die Wirtschaftspublikationen, ein Gespenst namens „Deflation“. Zunächst kündigt sich Deflation mit einem erfreulichen Vorzeichen an: Die Preise sinken, weil die Verbraucher sich mit Ausgaben zurück halten. Doch wenn das Preisniveau unter die Null-Linie sinkt, fängt es an, gefährlich zu werden. Dann nämlich sinken auch die Gewinne von Handel, Herstellern und Dienstleistern. Sinkende Gewinne werden zunächst aufgefangen durch Kosteneinsparungen. Aber in letzter Konsequenz müssen als größte Kostenverursacher Arbeitskräfte entlassen werden – massenhaft.   

Geschieht dies allerorten quer durch alle Branchen, sinkt die Kaufkraft einer ganzen Volkswirtschaft. Zugleich nistet sich eine weit verbreitete Angst vor der Zukunft ein. Geld wird nur noch für das Allernotwendigste ausgegeben. Wer noch Geld hat, spart für die Not, die ihn alsbald treffen könnte. Oder die Verbraucher gleichen massive Erhöhungen von Steuer- und Sozialabgaben durch Sparen aus. Denn auch der Staat und seine Sozialkassen darben in deflationären Zeiten. Eine extreme Konsumzurückhaltung verschärft die allgemeine Not. Die Preise und damit die Gewinne der Warenanbieter sinken immer weiter – bis zu einer sich immer höher auftürmenden Pleitewelle. Diese spült erst recht Arbeitslose ins Elend, wenn die Hilfskassen sie nicht mehr auffangen können. So mündet eine Deflation im Laufe von Jahren in einer Massenverelendung, wie wir sie zuletzt in voller Ausprägung in den Jahren nach 1929 gesehen haben.

Die japanische Krankheit

Um unter aktuellen Verhältnissen zu veranschaulichen, wie sich Deflation allmählich einschleicht, verweisen viele Volkswirte auf die „japanische Krankheit“. Sie lähmt seit mittlerweile zwölf Jahren die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Der als Krankheit definierte Status einer großen, ehedem äußerst dynamischen Volkswirtschaft nimmt bereits einen chronischen Verlauf. Die heute hervorstechenden Symptome: Bei Soll- und Habenzinsen knapp über dem Nullpunkt verspüren die Verbraucher keine Lust zum Sparen. Aber auch nicht zum Konsumieren, obwohl die jährlichen Inflationsraten nicht nur minimal, sondern neuerdings sogar negativ sind, die Preise somit im Allgemeinen sinken. Und das bereits, mit wachsender Tendenz, seit drei Jahren. So reduzierte sich von Ende 2001 bis zum Herbst 2002 das Preisniveau von minus 0,7 auf minus 1,2 Prozent. Eine strategisch entscheidende Krisenfront verläuft in Japan durch das Finanzgewerbe. Die Banken sitzen auf einem Berg notleidender Kredite. Viele von ihnen wären längst pleite, würde man sie zwingen, alle Darlehen, die nicht mehr mit Zins und Tilgung bedient werden, auf der Habenseite ihrer Bilanzen zu löschen.  

Um die trostlose Lage an der Kreditfront nicht weiter zu verschlimmern, geben japanische Banken nur noch zögerlich Kredite aus. Dadurch aber fehlt der japanischen Wirtschaft Geld zum Investieren und Expandieren. So gibt es seit einem Jahrzehnt schon kaum oder auch gar kein Wirtschaftswachstum mehr. Die Arbeitslosenquote stieg und steigt.

Zwar versuchte die Regierung schon mehrfach, durch groß angelegte, auf Schuldenbasis finanzierte Investitionsprogramme seiner Volkswirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen. Doch bislang vergeblich. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt hat Japan mehr als doppelt so viel Schulden wie das inzwischen hoch verschuldete Deutschland.  

Joachim Kirchmann

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