Ergebnisse einer IDZ-Untersuchung

Nacken- und Rückenschmerzen und was sie für den Zahnarzt bedeuten

Die zahnärztliche Berufsausübung in niedergelassener Praxis wurde schon immer als eine die Wirbelsäule belastende Tätigkeit angesehen. Stimmt diese Behauptung? Das Institut der Deutschen Zahnärzte ist dieser Frage nachgegangen und präsentiert hierzu aktuelle Zahlen. Weiterhin wird erstmals die Behauptung gestützt, dass Stress das Auftreten von Nacken- und Rückenschmerzen verstärkt. Ein Ergebnis vorab: Eine Vielzahl von Zahnärzten muss sogar wegen Nacken- und Rückenschmerzen die Behandlung unterbrechen.

Trotz enormer Fortschritte in den letzten Jahren bei der ergonomischen Gestaltung des zahnärztlichen Arbeitsplatzes kann aktuell festgestellt werden: Fast 90 Prozent aller Zahnärzte haben schon einmal Nacken- und Rückenschmerzen gehabt. Noch gravierender ist allerdings, dass bei fast 70 Prozent der Zahnärzte innerhalb einer Woche einmal Nacken- und Rückenschmerzen auftreten. Dies ist das Ergebnis einer bundesweiten repräsentativen Untersuchung unter niedergelassenen Zahnärzten, die das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) mit Wissenschaftlern aus dem universitären Bereich 1999 durchgeführt und 2001 veröffentlicht hat (Meyer et al., 2001).

Das Wissen über die enorme Belastung im Arbeitssystem Zahnarztpraxis ist nicht ganz neu. So hat Micheelis bereits vor 20 Jahren mit einer bundesweit durchgeführten repräsentativen Befragung unter Zahnärzten herausgefunden, dass zu den unangenehmen Seiten des Zahnarztberufes die gesundheitlichen Belastungen gehören (Micheelis, 1984). Diese wurden mit 43 Prozent der Antworten an herausragender Stelle genannt. An erster Stelle lagen bei 64 Prozent der Nennungen die Beschwerden und Erkrankungen des Stütz- und Halteapparates. Vornehmliche Anstrengungen des Berufes sind mit 76 Prozent die Wirbelsäulenbelastung, mit 55 Prozent die Belastung der Schultermuskulatur, mit 52 Prozent die anstrengende Kopfhaltung und mit 50 Prozent die Belastung der Augen. Andere nationale und internationale Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Dies alles erscheint plausibel, wenn man sich das stark eingegrenzte und schlecht einsehbare Arbeitsfeld des Zahnarztes, den Mundraum, vor Augen führt. Ist die Arbeitshaltung des Zahnarztes doch geprägt durch lang anhaltende, verdrehte und verkrampfte Sitz- und/oder Stehpositionen bei der Patientenbehandlung. Als Co-Faktor der Wirbelsäulenbelastung ist in diesem Zusammenhang der psychische Stress im Arbeitssystem Zahnarztpraxis anzusehen, unabhängig davon, wodurch er ausgelöst wird, ob durch die Patientenbehandlung oder durch Besonderheiten des Praxismanagements, unter denen die Zahnheilkunde in Deutschland stattfindet.

Kann mit der Untersuchung die These bestätigt werden, dass es sich bei dem Zahnarztberuf um einen stark die Wirbelsäule belastenden Beruf handelt? Welchen Einfluss spielt der psychosoziale Stress in diesem Zusammenhang? Weiterhin soll der Frage nachgegangen werden, wie sich auftretende Nacken- und Rückenschmerzen auf die Durchführung der Arbeit auswirken und welchen Einfluss die Nacken- und Rückenschmerzen über den Beruf hinaus auf den privaten Bereich haben.

Methodik

Im Rahmen des arbeitsmedizinischen Befragungsprojektes wurde jedem 50sten Zahnarzt in Deutschland ein Fragebogen zugesandt. Der Teil des Erhebungsinstrumentariums, welcher sich auf die Erfassung von Nacken- und Rückenschmerzen bezog, lehnte sich an den Fragebogen von Hermann und Castro an, die eine Untersuchung zu dieser Problematik im Kammerbereich Westfalen-Lippe durchgeführt hatten (Hermann und Castro, 1999). Neben den Fragen zur Wirbelsäulenproblematik wurden auch Fragen zur Person, der Praxissituation, zur Stressbelastung, Stressbewältigung, und mehr gestellt. Durch die Fragen zur Person war es unter anderem möglich, die Zielgruppe der Untersuchung, die in niedergelassener Praxis tätigen Zahnärzte, aus den insgesamt antwortenden Zahnärzten herauszufiltern. Insgesamt standen für die Ableitung der Ergebnisse 761 Fragebögen zur Verfügung. Das entsprach einer Ausschöpfungsquote von 65 Prozent, was für eine postalische Erhebung einen sehr guten Wert darstellt.

Die Auswertung wichtiger sozioökonomischer Variablen aus den Fragebögen und der Vergleich mit der Grundgesamtheit der niedergelassenen Zahnärzte bestätigte, dass es sich bei der Stichprobe um einen repräsentativen Ausschnitt der Grundgesamtheit in Deutschland handelt. Die im Folgenden abgeleiteten Ergebnisse lassen sich also auf die Gesamtheit der niedergelassenen Zahnärzte übertragen.

Ergebnisse

Bei 87 Prozent aller niedergelassenen Zahnärzte sind irgendwann schon einmal Nacken- und Rückenschmerzen aufgetreten. Fragt man danach, ob innerhalb der vergangenen Woche schon einmal Nackenund Rückenschmerzen aufgetreten waren, so gaben 69 Prozent eine positive Antwort. Am Tag der Befragung hatten 38 Prozent Nacken- und Rückenschmerzen (so genannte Punktprävalenz), Frauen mit 44 Prozent wesentlich häufiger als Männer mit 35 Prozent.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, wann die Schmerzen auftraten, ob am Ende eines ganzen Arbeitstages oder bereits während der Arbeitszeit. Die Untersuchung ergab, dass bei 50 Prozent der Befragten, die Schmerzen hatten, diese bereits innerhalb einer vierstündigen Tätigkeit auftraten. Als weitere Konsequenz führte dies bei 23 Prozent innerhalb der Woche vor der Befragung zu Behandlungsunterbrechungen. Auf die Frage nach der Schmerzintensität gaben zirka ein Fünftel der Befragten einen Wert von größer fünf an. Das entspricht auf einer Skala von null bis zehn klinisch bereits einer hohen Schmerzintensität.

Am Tag der Befragung fühlten sich 16 Prozent der Studienteilnehmer in der Berufsausübung beeinträchtigt und 19 Prozent außerhalb des Berufes. Betrachtet man allerdings nur die Gruppe der Teilnehmer, die an dem Tag der Befragung auch Nackenund Rückenschmerzen angaben, so sieht das Bild anders aus: Es fühlten sich 42 Prozent bei der Berufsausübung beeinträchtigt und 50 Prozent außerhalb des Berufes, also im privaten Leben. Wenn also Nacken- und Rückenschmerzen auftreten, dann fühlt sich fast jeder zweite auch im Beruf beeinträchtigt. Betrachtet man die Nacken- und Rückenschmerzen im Zusammenhang mit der Dauer der Berufsausübung nach der Approbation so kann man sagen, dass mit zunehmender Berufsausübung die Punktprävalenz zunimmt und auch die Intensität der Schmerzen ansteigt.

Von den Studienteilnehmern trieben etwa drei Viertel der Zahnärzte Sport, und zwar im Mittel vier Stunden pro Woche. Dies mag ein Grund dafür sein, dass trotz der insgesamt unphysiologischen Arbeitshaltung nicht noch höhere Prävalenzwerte ermittelt wurden, können die sportlichen Aktivitäten doch als Primärprävention von Nacken- und Rückenschmerzen angesehen werden. Ebenfalls im Sinne einer Primärprävention kann die vorbeugende Teilnahme von zirka einem Siebentel der Studienteilnehmer an einer Rückenschule angesehen werden. Wurde aus therapeutischen Gründen an einer Rückenschule teilgenommen, also nachdem bereits Nacken- und Rückenschmerzen aufgetreten waren, so stellte sich bei zirka drei Viertel der Zahnärzte eine Besserung ein. Der Wechsel der Arbeitsposition zwischen Sitzen und Stehen hatte übrigens in unserer Studie keinen gesicherten Einfluss auf die Häufigkeit des Auftretens von Nacken- und Rückenschmerzen.

Weiterhin wurde der Frage nachgegangen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der beruflichen Situation und dem Auftreten von Nacken- und Rückenschmerzen gibt. Hierbei konnte festgestellt werden, dass mit steigender Berufszufriedenheit auch das Auftreten von Beschwerden abnahm; gerade dieses Ergebnis deutet auf nicht unerhebliche psychophysiologische Einflüsse auf die Rückenproblematik hin.

Stress, gemeint ist hier der belastende und krankheitsverursachende Stress, so wird postuliert, stellt einen Co-Faktor für das Auftreten von Beschwerden dar. Auch dieser These wurde nachgegangen. Die Studienteilnehmer wurden zwei Gruppen zugeordnet, in eine Gruppe mit niedriger und eine mit hoher Stressbelastung. Die Aufteilung erfolgte anhand einer Fragenbatterie bestehend aus 13 Items in dem Fragebogen. Im Ergebnis konnte bei der Auswertung der Daten festgestellt werden, dass bei steigender Stressbelastung auch die Prävalenzen für Nacken- und Rückenschmerzen zunahmen und ebenfalls auch die Schmerzintensität. Die Steigerungen waren teils erheblich, so nahm die Punktprävalenz um 46 Prozent zu und die Schmerzintensität sogar um 125 Prozent (!).

Welche Möglichkeiten gibt es nun, um Stress zu bewältigen? Hier können so genannte Coping-Strategien zur Stressbewältigung beziehungsweise Stressreduzierung eingesetzt werden. Die Auswertung des Datenmaterials zeigt im Ergebnis, dass Personen, die über ein hohes Maß an Stressbewältigungsstrategien verfügen, auch weniger unter der Stressbelastung leiden. Dies führt dann logischerweise auch zu geringeren Werten bei den Prävalenzen für Nackenund Rückenschmerzen und der Schmerzintensität als bei Personen, die über weniger Bewältigungsstrategien verfügen.

Wie wichtig die Reduktion der Schmerzintensität ist, zeigt sich dadurch, dass die Gruppe der Zahnärzte mit hoher Schmerzintensität zirka doppelt so stark durch Beeinträchtigungen bei der Berufsausübung und im Privatleben betroffen ist als die Gruppe mit geringerer Schmerzintensität.

Diskussion

Die Prävalenzen für Nacken- und Rückenschmerzen liegen bei niedergelassenen Zahnärzten in der gleichen Größenordnung wie in der Normalbevölkerung (vergleiche Türp und Werner 1990; Deck, Kohlmann und Raspe 1993). Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass es sich bei der vorliegenden Studie um eine bundesweite repräsentative Befragung unter in niedergelassener Praxis tätigen Zahnärzten handelte, während sich die allgemeinen Bevölkerungsdaten auf repräsentative Studien in unterschiedlichen Regionen beziehen. Die Vergleichbarkeit der Daten ist daher nur eingeschränkt möglich. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass von etwa 75 Prozent der Studienteilnehmer ein hohes Maß an sportlichen Aktivitäten durchgeführt wird.

Dies kann eine Erklärung dafür sein, dass sich die Prävalenzen in dieser Studie nicht nennenswert von den Werten der Allgemeinbevölkerung unterscheiden, obwohl der Stütz- und Halteapparat des Zahnarztes während der Berufsausübung in charakteristischer Weise durch unphysiologische Körperhaltung starken Beanspruchungen ausgesetzt ist. Die Freizeitaktivitätswerte der Allgemeinbevölkerung sind nach dem Bundes- Gesundheitssurvey 1998 wesentlich geringer anzusetzen (vergleiche Mensink, 1999).

Was die Schmerzintensität betrifft, so wurde in dieser Studie ein um zirka 30 Prozent bis 50 Prozent höherer Wert gemessen als in der internationalen Literatur angegeben. Eine Vergleichbarkeit ist aber aufgrund der unterschiedlichen Messkriterien nur eingeschränkt möglich.

Bei der Hälfte der Zahnärzte, bei denen schon einmal Nacken- und Rückenschmerzen aufgetreten waren, traten diese dann innerhalb der ersten vier Stunden der Behandlung auf. Zirka ein Sechstel aller Befragten fühlte sich durch die Schmerzen in der Berufsausübung beeinträchtigt und zirka ein Fünftel im privaten Bereich. Grundsätzlich nahm das Auftreten von Nacken- und Rückenschmerzen mit der Dauer der zahnärztlichen Berufsausübung zu.

Die emotionale Zufriedenheit mit dem Beruf und die Anwendung von geeigneten Coping-Strategien stellen eine Prävention von Nacken- und Rückenschmerzen dar. Sind Nacken- und Rückenschmerzen aufgetreten, so stellt die Rückenschule eine sinnvolle Maßnahme dar, die in drei Viertel der Fälle mit einer Verbesserung des Zustandes verbunden war.

Fazit

Welche Antworten können auf die eingangs gestellten Fragen gegeben werden? Dass es sich bei der Ausübung des zahnärztlichen Berufes um eine die Wirbelsäule belastende Tätigkeit handelt, kann bestätigt werden, auch wenn die Prävalenzen für Nackenund Rückenschmerzen nicht stark von denen der Allgemeinbevölkerung abweichen. Hier spielen möglicherweise die gezielten Sportaktivitäten der Zahnärzte, die mit einem hohen Zeitbudget angegeben werden, im Sinne einer Primärprävention eine Rolle. Stress verstärkt das Auftreten von Nacken- und Rückenschmerzen, Stressbewältigung wirkt dem entgegen. Schmerz ist ein Symptom und führt nicht zwangsläufig auch zu einer Beeinträchtigung. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigung im privaten Bereich einen um etwa 20 Prozent höheren Wert erreicht als die Beeinträchtigung im Beruf. Warum das so ist, darüber kann an dieser Stelle nur spekuliert werden.

William H. M. Castro,Orthopädisches Forschungsinstitut Düsseldorf,Hamburg, MünsterHafenstr. 3-548153 Münster

Dr. Victor Paul MeyerDr. Wolfgang MicheelisInstitut der Deutschen ZahnärzteUniversitätsstraße 7350931 KölnE-Mail:v.meyer@kzbv.de

Diese Arbeit ist Prof. Dr. Christian G. Nentwig, Psychologe und psychologischer Psychotherapeut, Leiter der Abteilung für Prävention und Rehabilitation der orthopädischen Universitätsklinik Bochum, gewidmet, der an der Studie beteiligt war und kurz nach der Beendigung der Auswertungsarbeiten durch einen tragischen Unfall verstarb.

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