Presseforum der KZBV

Wettbewerb und Solidarität sind machbar

„Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung – ein Widerspruch in sich?“ Diese Grundsatzfrage diskutierten Pressevertreter und Experten aus Politik und Wissenschaft auf einem Presseforum der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) am 3. und 4. Dezember in Berlin. Das Ergebnis: Wettbewerb und Solidarität, so waren sich die geladenen Diskutanten bis auf den SPDVertreter Prof. Martin Pfaff weitgehend einig, sind kein Widerspruch, ihre Gemeinsamkeit erfordert aber grundlegend neue Ansätze im Gesundheitssystem

In einer Woche, die sich als bisheriger Höhepunkt der gesundheitspolitischen Auseinandersetzung in der Ära der Bundesgesundheitsministerin darstellte, bildete die KZBVVeranstaltung einen besonderen Auftakt. Was geboten wurde, war sachorientierte Diskussion zu einem dann einsetzenden politischen Grundsatzstreit, der die Dringlichkeit einer Lösung erneut verdeutlichte.

Der KZBV-Vorsitzende Dr. Karl Horst Schirbort betonte vor Pressevertretern die Notwendigkeit des von der Zahnärzteschaft seit Jahren geforderten Systemwechsels: „Wir müssen uns jetzt den Herausforderungen stellen, denen die gesetzliche Krankenversicherung langfristig durch den demografischen Wandel und den medizinischen Fortschritt ausgesetzt ist.“ Erforderlich sei eine grundlegende Reform und „kein Herumdoktern an Symptomen“, um den „bis zum Jahre 2040 prognostizierten Beitragssatz von mindestens 23 Prozent“ zu verhindern. Wettbewerb müsse sich zwischen den Leistungsträgern auf der einen und Kostenträgern auf der anderen Seite abspielen.

Quittung ist keine Lösung

Der Patient, so forderte Schirbort, müsse Nutznießer des Wettbewerbs sein. Er bestimme „entscheidend den Wettbewerbsprozess“: „Seine Souveränität und Eigenverantwortung muss in unserem Gesundheitswesen weiter ausgebaut und gestärkt werden.“ Deshalb plädiere die Zahnärzteschaft für die Einführung der Kostenerstattung in Verbindung mit befundorientierten Festzuschüssen. Patientenquittungen, ein Vorschlag der Bundesgesundheitsministerin, seien keine Lösung, weil der Patient keinerlei Verantwortung für die Quittung und deren Begleichung trage. Problematisch sei, dass „auf der einen Seite dem Versicherten die Kassenwahlfreiheit“ auf der Grundlage eines hoch komplexen Risikostrukturausgleichs gegeben werde, man aber gleichzeitig darüber nachdenke, die freie Arztwahl durch Netze, Einkaufsmodelle und Einzelverträge einzuschränken.

Notwendig seien auch Entscheidungsspielräume und Wahlmöglichkeiten, die sich auf den Leistungskatalog beziehen: „Für den zahnmedizinischen Versorgungsbereich setzen wir uns für solidarisch finanzierte Vertragsleistungen und individuell finanzierte Wahlleistungen ein.“

Mit Blick auf die aktuell diskutierte Einführung von Einkaufsmodellen warnte Schirbort, dass Einzelverträge zwischen einzelnen der rund 55000 deutschen Zahnärzte und den etwa 400 Krankenkassen zwangsläufig „einen Flickenteppich in der medizinischen Versorgung“ schaffen würden: „Es kann nicht angehen, dass auf der einen Seite ‘Monopole’ zerschlagen werden und auf der anderen Seite ‘Kartelle’ bestehen bleiben,“ monierte der KZBV-Chef. Preisdumping mit entsprechend negativen Folgen für die Versorgung und Qualität wäre die zwangsläufige Folge.

In einem Grundsatzvortrag stellte der Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik an der Universität der Bundeswehr München ein Modell wettbewerblicher Orientierung in der Krankenversicherung vor. Nach gegenwärtigem Prinzip einer Umverteilung der Krankheitslasten zwischen Gesunden und Kranken, Ein- und Mehrpersonenhaushalten sowie niedrigen und hohen Einkommen bliebe das Äquivalenzprinzip nicht erhalten. Das Resultat: Der verantwortungsbewusste Umgang mit den knappen Ressourcen gehe verloren. Erwerbstätige seien überfordert, mit negativen Folgen für Leistungswillen und Regenerationsverhalten. Um in diesem System die Gefahr der Unterversicherung für einkommensschwache Hochrisikogruppen zu vermeiden, sei eine staatliche Regulierung erforderlich.

Eine Erfolg versprechende Alternative sieht der Ökonom in einer solidarischen Grundabsicherung mit geregeltem Wettbewerb und privater, wettbewerblicher Zusatzversicherung. Zur Absicherung des demographischen Risikos empfiehlt Neubauer, eine Kapitaldeckung auf der Beitragsseite aufzubauen, den Arbeitgeberanteil auszuzahlen und pro Versichertem Pauschalbeiträge zu erheben. Einer Überforderung wird durch die Reduktion auf eine Grundsicherung Rechnung getragen. Ein geregelter Wettbewerb, so stellte Neubauer den Journalisten dar, werde durch eine Vielzahl von Deregulierungen im derzeit bestehenden System der GKV intensiviert und sorge somit für mehr Effizienz und Effektivität.

Wichtig sei, in allen Bereichen die Entscheidungsfreiheit der Versicherten und Patienten möglichst weit zu halten. Notwendig sei vor allem Leistungs- und Preistransparenz. Neubauer: „Dadurch wird die derzeitige Ausrichtung unserer GKV auf Verbände, Körperschaft und Experten durch die Verlagerung der Entscheidungen auf die Versicherten und Patienten neu justiert.“ Das Fazit: Nicht der geregelte Wettbewerb ist das Ende der solidarischen Krankenversicherung, sondern die solidarische Krankenversicherung ist ohne Wettbewerb am Ende. Neubauer ist überzeugt, dass das derzeitige System ohne einen grundsätzlichen Wechsel die nächsten 15 Jahre nicht überstehen wird.

Ein ideales Feld

Als ideales Feld für einen Reformansatz bezeichnete der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Peter Kuttruff den Bereich der Zahnmedizin. Denn: „Der heute von der Politik eingeforderte Paradigmenwechsel in der Zahnheilkunde – weg von der Spätbehandlung hin zur Frühversorgung – hat auch ohne gesetzliche Zwänge stattgefunden.“ Hier sei der Beweis getroffen, „dass Eigenverantwortungskonzepte den Nachfragebedarf erheblich steuern würden“. Eine Kostenexplosion im zahnärztlichen Bereich habe es, anders als oft behauptet, nie gegeben.

Nur der sich selbst verantwortliche, motivierte, freiberuflich tätige Arzt und Zahnarzt werde in einem durch soziale Marktwirtschaft erzwungenen Wettbewerb alles tun, um seinen Patienten optimale Leistung zukommen zu lassen, weil er dafür belohnt und nicht bestraft werde. Kuttruff: „Die in meinen Augen künstlich hochgespielte Schutzbedürftigkeit der deutschen Bevölkerung vor den massenhaft abzockenden raffgierigen Zahnärzten ist abwegig, weil der abzockende Zahnarzt Gefahr läuft, ein über Jahre hinweg mühsam aufgebautes Vertrauensverhältnis zu seinen Lasten viel schneller zu zerstören, als er es aufgebaut hat.“ Mittelpunkt aller Bestrebungen, so Kuttruff, sei der Patient: „Nur wenn er Diagnose und Therapie kennt, nur wenn er an der Abrechnung beteiligt wird, kann er beurteilen, ob das, was an ihm gemacht wird, wirklich gut, angemessen und erfolgreich ist.“

Budget: Der Patient im Weg

Für eine stringentere Fassung des Leistungskataloges plädierte auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV), Dr. Manfred Richter-Reichhelm. Versicherungsfremde Leistungen müssten steuerfinanziert, Leistungen, die der Verantwortung des Einzelnen unterliegen, privat abgesichert werden. Auch die KBV plädiere für eine Trennung in Solidar- und Individualleistungen. Richter Reichhelm: „Die Selbstverwaltung ist zu beauftragen, Vorschläge zur leistungsspezifischen Bereinigung des Leistungskatalogs vorzulegen.“ Allerdings fordert die KBV, anders als die KZBV, die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten neben dem Erwerbseinkommen, auch aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit.

Wettbewerb, so schränkte das Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD) ein, sei „nicht zwingender Weise mit Markt verbunden“. Auch Eigenverantwortung heiße nicht „zwangsläufig Regel- und Wahlleistungen“. Die erforderliche Trennung der Leistungen hält der SPD-Mann „in der Praxis für sehr problematisch“.

Als grundsätzlich verkehrt bezeichnete der stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Wolfgang Zöller (CSU) den ausschließlichen Sparansatz der rot-grünen Bundesregierung. Während bei der Budgetierung der Patient nicht im Mittelpunkt, „eher im Weg“ stehe, biete die höhere Eigenverantwortlichkeit andere Möglichkeiten. Gerade im Bereich der Zahnmedizin sei die Differenzierung in Kern- und Wahlleistungen kein Problem. In anderen Bereichen könne durch ein so genanntes „Opting out“ – eine Abwahl von Leistungen – und einer damit verbundenen Beitragsrückgewähr, ein Anfang gemacht werden. Mehr Eigenverantwortung, so warnte der CSU-Politiker, sei nur möglich, wenn der Staat wesentlich stärker die gesellschaftspolitische Verantwortung trage und „erzieherisch“ wirke.

Als massives Problem versteht der Gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Dieter Thomae, die anstehende Erhöhung der GKV-Beiträge. Im Sachleistungssystem würden die Heilberufe bestraft: „Rot-Grün vernichtet die Freiberuflichkeit in der Bundesrepublik Deutschland.“ Thomae forderte die Einführung der Kostenerstattung, den Abbau des Risikostrukturausgleichs und mehr Möglichkeiten des Wettbewerbs unter den Kassen „mit dem Risiko, dass auch Krankenkassen pleite gehen können“.

Insgesamt präsentierte das KZBV-Presseforum nicht nur Ansätze für alternative Wege aus der GKV-Misere. Es machte – direkt vor der GKV-Pressebilanzkonferenz der Bundesgesundheitsministerin – den Journalisten auch deutlich, dass inzwischen alle bis auf die rot-grüne Regierung eine grundlegende Reform fast einhellig für überfällig halten.

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