Die Zukunft des Euro

Zitterpartie mit Langzeiteffekt

Vor drei Jahren wurde er eingeführt – jetzt haben wir den Euro im Portmonee. Das ist für Europa eine Wohltat ohnegleichen. Doch der Euro kam mit Geburtsfehlern auf die Welt. Für die Zukunft wird ihm viel zugemutet. Bleibt er trotzdem stark und stabil?

Nach dem 1. Januar 2002 kommt sich ganz Deutschland vor wie auf Urlaub. Das neue Geld, das die Bundesbürger gegen die vertraute Mark eintauschen müssen, sehen die meisten zum ersten Mal. Es mutet wie eine Fremdwährung an. Und um eine Vorstellung vom Wert der zu kaufenden Waren und Dienstleistungen zu bekommen, muss man umrechnen. Zum Glück haben es die Deutschen bequem. Der Euro-Preis mal zwei ergibt in etwa eine Vorstellung in Mark. Viele Europäer werden vorerst wohl mit dem Taschenrechner einkaufen gehen, um das neue Preisgefühl zu bekommen.

Dennoch: Für Reisende, für die produzierende Wirtschaft, für den Handel und für die Finanzwelt ist eine europäische Einheitswährung ein Segen. Der kostenträchtige Geldumtausch entfällt. Preise, Löhne, Gebühren oder auch Börsenkurse sind in ganz Europa bereits auf einen Blick vergleichbar. Dabei wird sich allerdings der portugiesische Bauarbeiter fragen, warum er einen Stundenlohn von nur drei Euro bekommt, während ein Niederländer mit gut 14 Euro rechnen kann. Ein deutsches Unternehmen des Maschinenbaus wird sich fragen, warum es seinen deutschen Arbeitnehmern den Spitzenstundenlohn von durchschnittlich 14,68 Euro zahlen soll, wenn in Irland 8,91 Euro, in Spanien 8,21 Euro, in Griechenland 4,67 Euro und in Portugal sogar nur 3,64 Euro Tarif sind. Fazit: Portugiesen oder Spanier liebäugeln mit Jobs in Deutschland oder den Niederlanden. Und Unternehmer aus europäischen Hochlohnländern lassen durchkalkulieren, wie viel preiswerter und damit Gewinn bringender sie in anderen EUStaaten produzieren könnten.

Druck auf die Preise

Mit anderen Worten: Der Euro bringt (noch mehr) Bewegung in die Wirtschaft des Kontinents. Wechselkursrisiken, die früher teuer abgesichert oder aber in Kauf genommen werden mussten, gibt es nicht mehr. Die Zeit der Währungsabwertungen, mit denen sich vor allem die europäischen Südstaaten gerne und oft aus Konjunkturkrisen befreiten, ist vorbei. Abwertung bedeutete für ausländische Unternehmer bei der Rückführung von Kapital ins Heimatland immer einen herben Verlust, der nicht selten alle anderen Produktivitätsvorteile auffraß. Nun lassen sich Gewinne, die etwa in Portugal oder Griechenland erwirtschaftet werden, ohne Währungsrisiko transferieren. Aber auch Sparer bekommen einen größeren Spielraum: Sie können sorglos ihr Geld in den Euro-Ländern anlegen, in denen die höchsten Zinsen gezahlt werden, derzeit etwa in Irland oder in Spanien. Das Wechselkursrisiko, das früher hohe Zinseinnahmen schnell wieder schrumpfen ließ, ist mit dem Euro eliminiert.

Ein politisch gewolltes Ziel der Währungsunion ist auch, das allgemeine Preisniveau auf eine breitere Basis zu stellen. Wenn nämlich die Preise für alle gängigen Güter und Dienstleistungen europaweit auf der Grundlage einer einheitlichen Währung vergleichbar sind, vergrößert sich der Wettbewerbsdruck. Dadurch werden die Preise sinken, zumindest aber in Schach gehalten. Denn die Bewohner von Euro-Land fragen sich demnächst, ob sie etwa ihr kostspieliges Konto weiterhin bei der angestammten Bank führen müssen, oder ob sie nicht besser, womöglich zum halben Preis, die Dienste eines niederländischen oder eines südspanischen Instituts in Anspruch nehmen sollten.

In den Niederlanden ist nämlich der Kosten senkende Automatisierungsgrad sehr hoch. Und in Spanien verdienen Bankangestellte nur etwa halb soviel wie in Deutschland, was eine Preissenkung um die Hälfte rechtfertigen würde. Ähnliche Preis senkende Wettbewerbsbedingungen gelten für Versicherungen, für Lebens- und Genussmittel, für höherwertige Konsumgüter wie etwa Autos, für Investitionsgüter und auch für Medikamente. Warum müssen die autoverliebten Deutschen in Europa für die gleichen Modelle durchweg die höchsten Preise zahlen? Warum muss das Allerwelts-Schmerzmittel Aspirin in Deutschland doppelt so teuer sein wie in Frankreich?

Politische Probleme

Leider bilden zwölf souveräne Staaten die Währungsunion mit dem Euro. Das bedeutet: In jedem dieser Staaten gibt es einen anderen Mehrwertsteuersatz. Dadurch wird die Vergleichbarkeit der Preise erheblich erschwert. Immerhin konnte sich ganz Europa bei der Erfindung und Einführung der Mehrwertsteuer auf diese Art der Besteuerung von Waren und Dienstleistungen einigen. Man kann sich die fremde Mehrwertsteuer zwar sparen, wenn man bei der Einführung eines im Ausland gekauften Produkts die deutsche Mehrwertsteuer zahlt. Aber das ist eine bürokratische Bremse für den freien, innereuropäischen Warenverkehr, zumal für den privaten.

In der politischen Souveränität der zwölf Euro-Staaten sind auch die Probleme des Euros begründet. Politische Souveränität bedeutet nämlich auch und vor allem, dass jeder Euro-Staat sein eigenes Haushaltsbudget aufstellt. Damit bestimmt er den Verschuldungsgrad, und mit dem Grad der Staatsverschuldung mehr oder minder auch das Inflations- und nationale Zinsniveau. So darf es nicht wundern, dass jedes Euro-Land seine eigene Inflationsrate wie auch ein individuelles Zinsniveau hat. In Spanien und Irland etwa ist die Inflation etwa doppelt so hoch wie in Deutschland oder Frankreich. Entsprechend hoch fallen dort auch die Zinsen zumindest für kurzfristige Laufzeiten aus.

Fatal ist: Das schwächste Glied in der Euro-Kette, das mit besonders hoher Inflation und demgemäß mit entsprechend hohen Zinsen zu kämpfen hat, bestimmt das Zinsniveau für alle. Denn da es kein Währungsrisiko mehr gibt, wandert das Kapital automatisch dorthin, wo die höchsten Zinsen geboten werden. Will jedoch ein Staat verhindern, dass das Sparkapital seiner Bürger in fremde Regionen abwandert, muss er mit entsprechend hohen Zinsen gegenhalten und so versuchen, es zurückzulocken. Denn die heimische Wirtschaft ist auf dieses Sparkapital, etwa zur Finanzierung von Investitionen, angewiesen.

Missachtete Verträge

Zwar sieht der Vertrag von Maastricht, der dem Euro zumindest in der Anlaufphase eine Art Stützkorsett verschaffen soll, beim Grad der Staatsverschuldung und bei der Höhe der Inflation eine Grenze. Wenn die Grenzen überschritten werden, drohen theoretisch Strafen. Doch lassen sich stolze Nationen, wie Italien, Spanien oder auch Frankreich, von Bürokraten aus Brüssel eine hohe Geldstrafe aufbrummen? Selbst wenn eine Geldstrafe wegen unerlaubter Überschuldung akzeptiert würde – sie müsste bei den geforderten Milliarden mit neuen Schulden bezahlt werden.

Nach einer präzisen Einschätzung ist der Euro eigentlich gar keine Währung. Er ist eher als ein Währungsfonds einzustufen, in dem die zwölf Euro-Staaten ihre nationalen Währungen zu festen Wechselkursen eingebracht haben. Vier dieser Währungen waren relativ stark (die Mark, der österreichische Schilling, der französische Franc und der niederländische Gulden). Alle anderen Währungen waren seit eh und je, ziemlich schwach auf der Brust. Der Mix der Starken und der Schwachen ergab im Verhältnis zum US-Dollar bereits in relativ kurzer Zeit einen Kursverlust von rund 25 Prozent. Der Einführungspreis des Euro zu 1,18 für einen US-Dollar war wohl mehr an der (damals noch) starken Mark als an der Realität orientiert. Die Realität des Marktes taxiert den Euro derzeit auf rund 90 Cent.

Das Pferd von hinten aufgezäumt

Eine echte Währung verlangt indessen eine einheitliche, übergeordnete und wohl überlegte Budgetpolitik – das heißt, auf breiter Ebene ausgeglichene Ausgaben und Steuereinnahmen. Dann nämlich hätte eine unabhängige Notenbank einen konkreten Ansatzpunkt für die enorme Hebelkraft des zinsbestimmenden Diskontsatzes (zu dem sich Großbanken bei der Staatsbank Kredit genehmigen können). Doch die Europäische Zentralbank kann gegenwärtig mit ihrer Zinspolitik nur Wegweiser aufstellen. Ob sich die Nationalstaaten an diese Vorgaben halten, unterliegt ihrem Goodwill als Mitspieler in der Euro-Mannschaft. Sanktionen für „Ungehorsam“ sind nicht vorgesehen. Kurzum: Der Euro als Währung setzt eigentlich ein politisch geeintes Europa voraus. Zittern müssen die Euro-Inhaber auch um die zukünftige politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB). Analog zur Deutschen Bundesbank und zur US-Notenbank soll die EZB gemäß dem Maastricht- Vertrag völlig unabhängig von politischen Einflüssen und Zielsetzungen schalten und walten können. Nur so, das hatten die Amerikaner und die Deutschen überzeugend bewiesen, bleibt eine Währung in der Substanz stabil. Haben jedoch Politiker freie Hand, an den Stellschrauben einer Währung zu drehen, dann erlauben sie es sich durchaus, aus machtpolitischen und wahltaktischen Überlegungen eine Abwertung durchzusetzen oder auf Kredit ein Konjunkturförderungsprogramm zu inszenieren. Das jedenfalls sind schnell wirkende Methoden, eine kränkelnde Wirtschaft aufzupäppeln. Frankreich, Italien oder auch Spanien kennen das gar nicht anders. Hier ist ein starker politischer Einfluss auf die Währung geradezu Tradition.

Nun droht der Europäischen Zentralbank, auf dem Vertragspapier eine honorige, politische völlig unabhängige Institution, leider doch die Politisierung. Der tapfere Wim Duisenberg, als Holländer eine neutrale Notenbank gewohnt, ist womöglich nur – dank einer politischen Mauschelei mit Frankreich – auf Abruf gewählt. Hätte der amtierende Präsident der französischen Nationalbank derzeit kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren am Hals, würden die Franzosen womöglich jetzt schon Druck machen, um in der Halbzeit des Wim Duisenberg, also im Jahr 2003, ihren Monsieur Trichet als EZB-Präsidenten zu inthronisieren. Auch wenn ein anderer Franzose dieses Amt übernehmen sollte, steht die Neutralität der EZB auf dem Spiel. Ein massiver Vertrauensverlust für den Euro.

Auch die Brüsseler Eurokratie ist eine Gefahr für die Stabilität des Euro. Hier regiert zunächst mehr Bürokratie als Demokratie. Die „Regierung“ Europas leistet sich zwei überaus kostspielige Parlamentssitze (neben Brüssel zur Prestigebefriedigung der Franzosen auch einen neu erbauten in Straßburg). Doch das Europa- Parlament hat nicht viel zu sagen und wird, vor allem aus Deutschland, mit überwiegend abgehalfterten Kandidaten beschickt. Die Brüsseler Europa-Bürokratie beschäftigt sich überwiegend mit der Ausarbeitung von oft lebensfeindlichen Vorschriften sowie der Verteilung von Subventionen. In der Hauptsache aber verwaltet sie (zum Zorn und Schaden der Dritten Welt) eine landwirtschaftliche Zollunion. Doch jetzt wollen ehrgeizige EUKommissare, allen voran der deutsche Günter Verheugen, „echte“ Politik machen. Sie betreiben die Integration Osteuropas in die Europäische Wirtschaftsunion.

Die ersten Beitritte werden bereits im Jahr 2004 angestrebt. Auf dem EU-Gipfel 1999 in Berlin sollte eigentlich eine Reform zumindest des überaus kostspieligen Agrarwesens auf den Weg gebracht werden. Frankreich als größter Nutznießer dieser Subventionsmaschinerie blockierte. Und Spanien sprach die Erpressung aus, alle fälligen Beschlüsse zu sabotieren, wenn zu Gunsten Osteuropas der Geldstrom nach Spanien weniger üppig als bislang fließen sollte. Also wurde (wieder einmal) keine der dringend erforderlichen Reformen, vor allem des Agrarwesens, beschlossen. Jetzt sollen, mit massiver Unterstützung der Deutschen, die ersten Osteuropa- Kandidaten der EU und damit auch dem Euro beitreten, bevor eine entsprechende Finanzplanung ausgearbeitet ist. Die soll erst in der Zeit zwischen 2007 bis 2013 unter Dach und Fach gebracht werden.

Das aber bedeutet: Die EU zäumt wieder einmal, weil man sich nicht einigen kann, das politische Pferd von hinten auf: Zuerst der Beitritt Osteuropas, dann eine Neuregelung der Mitbestimmung und der Finanzen. Damit rast Europa, ohne aus der deutschen Wiedervereinigung gelernt zu haben, einer Finanzkatastrophe entgegen. So belastet der Beitritt der beitrittsfähigen Osteuropa-Kandidaten nach einer Studie der Dresdner Bank den EU-Haushalt sofort mit jährlich rund 44 Milliarden Euro. Da Deutschland etwa die Hälfte dieses Haushalts zu finanzieren hat, fließen rund 30 Milliarden Euro mehr als bisher (9,3 Milliarden Euro) nach Brüssel. Das entspricht in etwa dem Mammutetat des deutschen Arbeits- und Sozialministeriums.

Schlusslicht Deutschland

Mit einem Verschuldungsgrad von 2,5 Prozent (gemessen am Bruttoinlandsprodukt, dem gesamten Volkseinkommen) ist Deutschland derzeit, der größte Schuldenmacher im Konzert der zwölf EU-Staaten. Über die wahren Gründe dieser hohen Schuldenlast wird ungern öffentlich gesprochen. Sie liegen aber auf der Hand: Die Renten wie auch die Arbeitslosenhilfe für etwa zehn Millionen Bürger der ehemaligen DDR werden – direkt oder indirekt – aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Genaue Zahlen bleiben geheim. Die Bezieher dieser Gelder haben in der Regel nie in eine westdeutsche Sozialkasse Geld eingezahlt. Sie werden jetzt aber – und das ist der Staat der Wiedervereinigung auch schuldig – aus der Staatskasse alimentiert.

Der Euro wäre eine wunderbare Sache, wenn die Politik nicht wäre. Die Europa-Politiker betrachten den Euro lediglich als Ersatz für einen gravierenden Mangel an politischer Einmütigkeit. Für sie ist er der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sie sich bislang verständigen konnten. Und er dient, vor allem für Osteuropa, als Magnet, den Machteinflussbereich der EU zu vergrößern. In Wirklichkeit aber wollen die meisten EU-Staaten gar kein vereintes Europa. Sie wollen aus einer Geldquelle schöpfen, die primär andere speisen. Sie wollen aus den EUKassen möglichst viel mehr herausbekommen, als sie einzahlen müssen, notfalls mit Erpressung. Auch Osteuropa will, darüber wird nicht nur debattiert, sondern bereits heftig gestritten, in erster Linie Geld aus Brüssel sehen. Wenn sich demnächst auch die EU im Verein mit ihren Mitgliedsstaaten hoch verschulden muss, um völkerrechtlich relevante Verträge zu erfüllen, blüht im Euro wahrscheinlich die Inflation auf. Denn im Keim ist sie im neuen Geld bereits enthalten. Inflation aber ist ein Gift, das alle wirtschaftlichen Tugenden absterben lässt. Das Engagement, vernünftig zu wirtschaften, ist dahin. Der Wohlstand schwindet.

Und so ist nicht ausgeschlossen, dass auch die Europäische Währungsunion in einigen Jahren enden könnte wie Mitte des 19. Jahrhunderts die „Lateinische Münzunion“ (aus Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz und Griechenland) oder auch die „Skandinavischen Münzunion“ (zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden). Auf dem Vertragspapier waren sie „auf ewig“ begründet. In der Praxis wurden sie alsbald zum Zankapfel und deshalb wieder abgeschafft. 

Der langjährige Autor unserer Rubrik „Finanzen“ ist gerne bereit, unter der Telefon-Nr. 089/64 28 91 50Fragen zu seinen Berichten zu beantworten.Dr. Joachim KirchmannHarthauser Straße 2581545 München

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