Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates der Bundeszahnärztekammer

Hilfreicher Blick über den beruflichen Tellerrand

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Zur Vorbereitung einer kritisch-konstruktiven Begleitung deutscher Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl hat der wissenschaftliche Beirat der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) strategisch wichtige Themen erörtert und seine Empfehlungen für die standespolitische Arbeit ausgesprochen. Das Ergebnis: Überlegtes Vorgehen mit Beharrungsvermögen und Augenmaß vorausgesetzt, bieten auch vier weitere Jahre „Rot-Grün“ eine Chance für das,wenn auch mühsame, Voranbringen der zahnärztlichen Anliegen.

Seit Gründung des Consiliums am 12. Juni letzten Jahres (siehe zm 13/2001), so der Koordinator des wissenschaftlichen Beirates und geschäftsführende Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte Prof. Burkhard Tiemann, hat das interdisziplinär besetzte Gremium in vier Sitzungen zentrale Anliegen der zahnärztlichen Berufspolitik überprüft: „Entscheidend für uns ist dabei nicht die Reaktion auf das politische Tagesgeschäft, sondern der vorausschauende und aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Warten erfolgende analytische Blick über den beruflichen Tellerrand.“

Die Besetzung des Gremiums – neben Prof. Tiemann die Professores Johann Eekhoff (Wirtschaftliche Staatswissenschaft, Köln), Meinhard Heinze (Arbeits- und Sozialrecht, Bonn), Peter Tettinger (Öffentliches Recht und Verwaltungslehre, Bonn), Wilfried Wagner (Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Mainz) sowie der neue Vorsitzende des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Eberhard Wille (Volkswirtschaftslehre, Mannheim) – bündelt Sachkompetenz in allen Fragen gesellschafts-, rechts- und gesundheitspolitischer Relevanz.

Konkrete Ergebnisse

Das Gremium hilft nicht nur, die zahnärztlichen Denkmodelle auf ihre Tragbarkeit im Umgang mit politischen Entscheidern abzuklopfen, sondern stützt auch durch zusätzliche Argumente. BZÄK-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp: „Wir Zahnärzte führen in dieser Gesellschaft nun mal kein Insel-Dasein. Mit dem Consilium haben wir unseren Weg, die zahnärztlichen Konzepte aus unterschiedlichen Warten auf ihre Umsetzbarkeit im gesamtgesellschaftlichen Alltag zu prüfen, erfolgreich beschritten.“ Schon auf ihrer diesjährigen Bundesversammlung in Hamburg im November dieses Jahres werde die BZÄK durch Gastreferate einzelner Beiratsmitglieder aufzeigen, wo „die konkreten und praktikablen Ansatzpunkte für unsere konstruktiven Vorschläge zur Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens liegen.“

Also eine gute Chance für die – so seitens der Politik gewollte – Aufnahme von Gesprächen zur Umsetzung praktikabler Lösungen als Ausweg aus dem überstrapazierten Gesundheitssystem. Erste Ergebnisse der Beiratsarbeit waren bereits im Frühjahr dieses Jahres in das gemeinsame Positionspapier von BZÄK und KZBV zur präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde für die Verhandlungen am „Runden Tisch“ eingeflossen. Tiemann: „Das ist unterstützende Meinungsbildung der Politik in gesellschaftlichen und gesetzgebungsrelevanten Fragen, basiert auf wissenschaftlichkorrektem Fundament.“

Neue Aspekte lieferte das Consilium hinsichtlich der gesundheitspolitischen Entwicklung auf europäischer Ebene. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (Urteile zu den Rechtssachen Geraets- Smits, Peerbooms und Vanbraekel und Kohll/Decker) seien klare Hinweise, dass bei grenzüberschreitender Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im Sinne der europäischen Freizügigkeit auch für Sachleistungen die Dienstleistungsfreiheit gilt. Dazu der Beirat: „Eine Genehmigung der Sozialversicherungen für die Inanspruchnahme ambulanter Leistungen im Ausland ist nicht erforderlich.“ Darüber hinaus: „Bei Inanspruchnahme stationärer Leistungen im Ausland ist die Erstattung gemäß den sozialgesetzgeberischen Bedingungen des Versichertenlandes vorzunehmen, selbst wenn die Behandlungskosten im Ausland niedriger sind.“

Problematisch sei allerdings, dass auf Grund der EuGH-Urteile deutsche Ärzte und Patienten einer klaren Diskriminierung unterliegen: „Patienten aus Deutschland haben jenseits des GKV-Leistungskataloges keinen GKV-finanzierten Zugang zu Leistungen, die in anderen EU-Staaten angeboten werden.“ Und: „Die zweijährige Pflichtvorbereitungszeit deutscher Zahnärzte für den Erhalt der Kassenzulassung ist für EU-approbierte Zahnärzte nicht notwendig.“ Ergo: Hier „frisst“ das deutsche Sachleistungssystem „die eigenen Kinder“. Kein unerhebliches Argument gegen nationale Alleingänge.

Grünes Licht für Festzuschüsse

Auch in ihrer Bewertung des befundorientierten Festzuschussmodells gaben die Fachleute „grünes Licht“. Es sei „kompatibel mit der aktuellen deutschen Sozialgesetzgebung“ und erlaube „eine konsistente Kalkulation der GKV-Ausgabenentwicklung.“ Zudem gewähre „die Flexibilität des Modells eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip“. Interessant ist auch der wettbewerberische Aspekt: „Die Krankenkassen könnten im Sinne des Wettbewerbes untereinander unterschiedlich hohe Festzuschüsse für die einzelnen Befunde anbieten.“

Die Empfehlung des BZÄK-Beirates: Um eine vorurteilsfreie Vermittlung des Modells in der Öffentlichkeit voranzubringen, sei es sinnvoll, praktische Beispiele zur Illustration anzuführen und „seitens Politik und Krankenkassen bestehende offene Fragen zu beantworten“. Zweckmäßig wäre die Erarbeitung eines so genannten „Sicherheitspaketes“, um die zum Teil restriktive Haltung gegen das Konzept abzubauen. Angeregt wurde auch, die Vermittlung des Modells befundorientierter Festzuschüsse mit Kostenerstattung „durch Formulierung positiv besetzter Begriffe“ zu erleichtern. So könnten Vorurteile und Ängste abgebaut, das als zukunftsfähig eingeschätzte Modell positiv kommuniziert werden.

Höhere Pflichtgrenze ist keine Lösung

In der aus politischem Anlass durchgeführten Erörterung der geplanten Anhebung der Versicherungspflichtgrenze warnte das Consilium, dass dieses Vorhaben den Markt privater Krankenversicherungen einengen und der erhöhten Pflichtgrenze auch eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze folgen werde. Beitragssatzstabilität sei, so die Wissenschaftler, für die langfristige soziale Sicherung „völlig unzureichend“: „Hierdurch würde eine zahlenmäßige Verschiebung der Versicherten von der risikoäquivalenten, kapitalgedeckten Finanzierung der PKV zur umlagefinanzierten GKV erfolgen“. Eine Argumentation, die auch der PKV-Verband – allerdings erst nach der Bundestagswahl – als entscheidendes Monitum des SPD-originären Vorhabens gebrandmarkt hat.

Das Fazit der Experten: Die geplante Anhebung der Pflichtgrenze ist kein geeignetes fiskalisches Konzept, um kurzfristig Einnahmenzuwächse für die GKV zu erzielen. Verfassungsrechtlich problematisch sei neben der Beschneidung des PKV-Marktes, dass diese Maßnahme Auswirkungen auf die Berufsausübung der Leistungerbringer nach sich ziehe.

In Sachen Rezertifizierung von Ärzten und Zahnärzten – in der Öffentlichkeit als „Zwangsfortbildung“ oder auch „Ärzte- TÜV“ diskutiert – unterstützt das Consilium die Auffassung, dass Fortbildung bei den Kammern angesiedelt bleiben muss. Ausreichende Alternativen zu den diskutierten staatlichen Kontrollinstanzen sieht der Beirat in Wettbewerbsstrukturen. Diese könnten die Qualität der Berufsausübung zur Genüge gewährleisten. Unstrittig sei aber, dass Fortbildung im Berufsstand differenzierter betrachtet und offensiv diskutiert werden sollte. Eine Aufgabe, die auch auf der kommenden BZÄK-Bundesversammlung breiten Raum einnehmen wird.

Wettbewerb statt mehr Staat

Ausgiebig befasste sich das Berater-Gremium auch mit der zukünftigen Rolle der zahnärztlichen Körperschaften im europäischen Wettbewerbsmodell. Eine Lockerung des Vertragsmonopols der Körperschaften sei parteiübergreifender Konsens und – so bestätigte sich nach der Bundestagswahl – auch Absicht der rot-grünen Bundesregierung. Sie seien mit einer Fülle ungelöster Wettbewerbsrechtlicher und ordnungspolitischer Probleme verbunden. Für KVen und KZVen bedeute das langfristig eine Schwächung ihrer Position. Solange das Sachleistungssystem bestehen bleibe, sei allerdings eine Abschaffung nicht möglich. Die Körperschaften seien „ein bedeutender Puffer in der Auseinandersetzung zwischen Krankenkassen und Ärzten“. Die GKVen, so die Auffassung des Beirates, könnten und wollen zum Teil den Sicherstellungsauftrag nicht erfüllen. Eine Abschaffung der Berufskammern, stellte der Beirat ergänzend fest, werde in Deutschland nicht diskutiert. Berufliche Selbstverwaltung bleibe, so das Resümee der Berater, auch zukünftig „ein bedeutendes Regulativ im Unterschied zur Staatsverwaltung“.

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