Gastkommentar

Politikum Beitragssatz

Die Leitung des Bundesgesundheitsministeriums (BMGS) versucht, durch Druck auf die GKV-Spitzenverbände doch noch deutliche Beitragssatzsenkungen zum 1. Januar 2004 durchzusetzen. Diese dürften den Kassen ausgesprochen schwer fallen.

Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer
Fachjournalist in Berlin

Die zu Beginn des Jahres 2004 in Kraft tretende Gesundheitsreform wird für die Versicherten und Patienten erhebliche Belastungen bringen. Um so wichtiger ist für die Politik, dass auch die versprochenen Beitragssatzsenkungen zeitnah vorgenommen werden. Immerhin sollen bereits im Jahre 2004 – errechnete – Einsparungen von rund zehn Milliarden Euro über sinkende Beitragssätze an die Versicherten und insbesondere ihre Arbeitgeber zurückfließen. Nach Maßgabe des GKV-Modernisierungsgesetzes soll der durchschnittliche Beitragssatz im Verlauf des nächsten Jahres von 14,3 auf 13,6 Prozent sinken – so wollten es die Konsensparteien, so steht es im Gesetz, und so sollen denn die Kassen – bitte schön – auch verfahren.

Diese zeigen sich aber gegenüber den Berechnungen der Politik ausgesprochen zurückhaltend bis skeptisch. In mehreren Befragungen im November haben nur einige wenige Kassen Beitragssatzsenkungen angekündigt, und selbst diese wollen ihre Beitragssätze auch nicht in dem Umfang absenken, wie dies die Politik gerne sähe. So hat die Leitung des Ministeriums die Vorstände der Spitzenverbände fast schon in wöchentlichem Rhythmus ins BMGS zitiert, um auf diesem Wege entsprechenden Druck auszuüben. Genutzt hat dies bislang wenig – die Kassen bleiben bezüglich ihrer Beitragssatzpolitik offensichtlich renitent.

Was steckt hinter dieser Unbotmäßigkeit? Wollen die Kassen tatsächlich, wie es ihnen etwa aus den Leitungskreisen des BMGS unterstellt wurde, Vermögen anhäufen, um die durch den Gesetzgeber ermöglichten Bonusprogramme zu finanzieren? Oder misstrauen sie gar dem Zahlenwerk des GMG bezüglich der zu erwartenden Einsparungen? Derartige Überlegungen scheinen an der Beitragssatzfront kaum eine Rolle zu spielen. Denn selbst, wenn man die Vorgaben der Politik ernst nimmt, lässt sich ein durchschnittlicher Beitragssatz von 13,6 Prozent im Jahr 2004 kaum erreichen. Immerhin schieben die Kassen aktuell ein Defizit von rund drei Milliarden Euro vor sich her, der eigentliche Finanzbedarf der GKV liegt somit nicht bei 14,3 Prozent, sondern realistischer bei 14,6 Prozent. Hinzu kommen Bankschulden in Höhe von rund sechs Milliarden Euro sowie die Verpflichtung, die Rücklagen und Betriebsmittel aufzufüllen, was einen zusätzlichen Finanzbedarf von drei Milliarden Euro bedeutet. Von diesen neun Milliarden Euro müssen die Kassen zwar nur ein Viertel im Jahr 2004 aufbringen, dies wären aber immerhin noch deutlich über zwei Milliarden Euro. Wird das Einsparvolumen des GMG von neun bis zehn Milliarden Euro tatsächlich in dieser Höhe realisiert, ergäbe sich bei einem Finanzbedarf Ende des Jahres 2003 von über 14,8 Prozent ein durchschnittlicher Beitragssatz im Jahr 2004 von nur knapp unter 14 Prozent.

Und dies sind nur die Zahlen, mit denen die Bundesregierung selbst rechnet, die Kassen sehen noch weitere Finanzrisiken – etwa Vorzieheffekte im Jahr 2003 oder die Nullrunde bei den Rentnern. Ulla Schmidt will den Kassen in all diesen Argumenten nicht folgen. Der durchschnittliche Beitragssatz ist und bleibt ein Politikum, an ihm wird auch die politische Leistungsfähigkeit des jeweiligen Ressortministers gemessen. So sollten die Vorstände der Spitzenverbände wenigstens ein Papier unterschreiben, dass sie das Einsparvolumen des GMG als realistisch ansehen, nur um die öffentliche Meinung zu beruhigen – eine beinahe rührende Geste der Hilflosigkeit.

Dass Ulla Schmidt unter Druck steht, ist offenkundig. Es fragt sich nur, warum ihr Reformmitstreiter Horst Seehofer so ruhig in der Deckung bleibt, wenn die Finanzwirkung seiner „größten Reform der jüngeren Sozialgeschichte“ einfach verpufft. Hatte er an dem Ganzen nicht eifrig mitgerechnet?

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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