Gastkommentar

Ulla Schmidts Mogelpackung

Ulla Schmidt hat die Gesundheitsreform auf den Weg gebracht. Doch statt die Agenda des Kanzlers umzusetzen, setzt die Ministerin auf Umfinanzierung und halbherzige Kostendämpfung. Das Gesetzespaket ist eine Mogelpackung.

Dr. Dorothea Siems
Wirtschaftskorrespondentin im Parlamentsbüro der „Welt“, Berlin

Bundessozialministerin Ulla Schmidt hat die Gesundheitsreform über die erste Hürde gebracht. Die Spitzen der rot-grünen Koalition segneten ihr Konzept ab. Gegen den erbitterten Widerstand des Finanzministers setzte sie eine drastische Erhöhung der Tabaksteuer durch. Mit den Mehreinnahmen will sie einen Großteil ihrer Reform finanzieren. Politisch kann Ulla Schmidt damit einen Erfolg verbuchen, den ihr noch vor wenigen Monaten kaum jemand zugetraut hätte. Inhaltlich jedoch verdient das Gesetzespaket kein Lob. Denn statt die drängendsten Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig zu lösen, wird die Flickschusterei fortgesetzt. Und statt zu sparen, geht die Koalition den vermeintlich leichteren Weg des Umfinanzierens.

Dabei hatte der Kanzler in seiner viel zitierten „Agenda 2010“ noch sehr vielversprechend geklungen. Der Beitragssatz sollte von derzeit 14,4 auf „unter 13 Prozent“ gedrückt werden. Die Versicherten und Patienten müssten mehr Eigenverantwortung übernehmen. Von einer neuen Praxisgebühr, von Selbstbehalten und mehr Wahlmöglichkeiten war die Rede. Außerdem kündigte Gerhard Schröder an, das Krankengeld zu privatisieren – starker Tobak für einen Sozialdemokraten. Frau Schmidt aber war keineswegs gewillt, die Agenda Eins zu Eins umzusetzen. Großzügig legte sie Schröders Devise aus: „Die Linie bleibt, über Details kann man reden“.

Entgegen der Ankündigung des Kanzlers entschied die Ministerin, das Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung zu belassen. Allerdings tragen künftig nur noch die Arbeitnehmer die Kosten. Anders als bei einer Privatisierung bleibt damit die Belastung des Faktors Arbeit die gleiche. Denn die paritätische Beitragsfinanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist von jeher Augenwischerei. Letztlich muss der Beschäftigte immer die gesamten Lohnkosten inklusive aller Sozialabgaben erwirtschaften. Die jetzt beschlossene Verschiebung innerhalb der Parität entlastet die Wirtschaft denn auch nur kurzfristig. Die Gewerkschaften können bereits in der nächsten Tarifrunde eine Kompensation erzwingen. Nur eine Abkopplung der Sozialabgaben von den Arbeitskosten wäre nachhaltig. Dazu jedoch müssten Leistungen tatsächlich ausgegliedert werden.

Auch die Umfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen ist eine Scheinlösung. 4,7 Milliarden Euro erhofft sich Schmidt von der Erhöhung der Tabaksteuern. Es mag Einiges dafür sprechen, familienpolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld von der gesamten Gesellschaft bezahlen zu lassen. Doch das Beispiel der Ökosteuer, die von der rot-grünen Koalition eingeführt wurde, um die Rentenbeiträge dauerhaft zu stabilisieren, zeigt, dass das frische Geld den Spareifer der Sozialpolitiker dämpft. Statt wie versprochen, die Beiträge entsprechend zu senken, wurden mit Ökosteuermitteln auch neue soziale Wohltaten verteilt. Am Ende klettern jetzt trotz hoher Ökosteuern die Beiträge kräftig weiter. Die Bundesregierung schickt sich an, diesen Fehler nun im Gesundheitswesen zu wiederholen. Es ist es unredlich, wenn die Ministerin von einem Einsparvolumen von 20 Milliarden Euro spricht. Denn den Löwenanteil bringen die Umfinanzierungen beim Krankengeld und den versicherungsfremden Leistungen. Die Kürzungen bei Brillen, nicht rezeptpflichtigen Medikamenten oder dem Sterbegeld sind im Verhältnis zu den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung Kleckerbeträge. Wer jedoch nicht sparen will, muss sich der Frage stellen, wie angesichts der Überalterung der Gesellschaft und des rasanten medizinischen Fortschritts die Finanzierung der Kassen gesichert werden kann. Die kurzatmige Kostendämpfung und einmalige Umfinanzierung, die Ulla Schmidt als Gesundheitsreform verkauft, sind eine Mogelpackung.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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