Berufsständische Versorgungseinrichtungen

Alterssicherung der freien Berufe — Tabu für die Politik

193186-flexible-1900
Die berufsständischen Alterssicherungseinrichtungen der klassischen verkammerten freien Berufe sind grundgesetzlich geschützt. Nach übereinstimmender Meinung von Verfassungsrechtlern ist es deshalb dem Bundesgesetzgeber verwehrt, die ohne Staatszuschüsse funktionierenden Versorgungswerke in eine gesetzliche Rentenversicherung überzuleiten.

Es ist für den Gesetzgeber und die Politik ein Tabu, das seit langem geltende Befreiungsrecht für als Angestellte Tätige der freien Berufe gemäß § 6 Absatz l, Satz l Nr. l SGB VI ersatzlos zu streichen. Diese Quintessenz ziehen Verfassungsrechtler wie Prof. Dr. jur. Dr. Detlef Merten, Verwaltungshochschule Speyer, Prof. Dr. jur. Dr. jur. h. c. Hans-Peter Schneider, Universität Hannover, und Prof. Dr. jur. Rupert Scholz, früherer Verteidigungsminister in einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung, Berlin. Die Argumente:

Blutauffrischung notwendig

Die berufsständischen Versorgungseinrichtungen der klassischen freien Berufe sind „auf einen ewigen Neuzugang“ an Mitgliedern angewiesen, um zu funktionieren. Bei einer Volksversicherung und einem Kippen des Befreiungsrechts von angestellten Freiberuflern würde damit den Versorgungswerken die Grundlage und damit deren Existenz entzogen.

Die Versorgungswerke und deren Mitglieder würden in ihrem Bestand durch Artikel 14 des Grundgesetzes (Eigentumsschutz), durch Artikel 12 (Berufsfreiheit) in Verbindung mit Artikel 3 (Gleichbehandlungsgrundsatz) geschützt. Zudem würde es einer generellen Kompetenz des Bundes fehlen, um die berufsständische Versorgung der Freiberufler gesetzlich zu regeln. Nach Artikel 70 des Grundgesetzes (GG) steht nämlich ausschließlich dem Landesgesetzgeber dieses Recht zu. Die 80 berufsständischen Versorgungswerke der freien Berufe beruhen ausschließlich auf Landesgesetzen. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich, wenn die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse oder die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in Deutschland bedroht werde. Davon könne jedoch der Bund im Hinblick auf die Versorgungswerke der Freiberufler nicht ausgehen.

Eine zwangsweise Eingliederung von Angehörigen der klassischen freien Berufe in die soziale Rentenversicherung sei ein Eingriff in die Freiheitsrechte, der in einem freiheitlichen Verfassungsstaat legitimiert werden müsse. Deshalb dürfe der Staat die Altersvorsorge auch nicht zu einer Vollkaskoeinrichtung „mutieren“. Eine freie Entscheidung des Bürgers für oder gegen eine bestimmte Form der Altersversorgung sei für diesen um so risikoloser, als der Staat verpflichtet sei, dem Einzelnen im Falle einer Notlage die Mittel für die Daseinsvorsorge zur Verfügung zu stellen. Dies sei die eigentliche Legitimation für die Aufrechterhaltung der Sozialversicherung in Form einer gesetzlich verankerten Zwangsversicherung. Es bedeute jedoch – im Umkehrschluss – keine ausschließliche Festlegung auf das heutige System der solidarisch finanzierten Sozialversicherung. Es seien auch andere Versorgungsreformen realisierbar, wie dies mit der Riester-Rente belegt würde.

Deutliche Grenzen

 Der sozialstaatlichen Für- und Vorsorge der Bürger im Interesse der Freiheit des Einzelnen seien deutliche Grenzen seitens des Verfassungsrechts gezogen. Die Sicherung eines erreichten Lebensstandards im Alter sei kein Verfassungsgebot. Prof. Merten misst der Beitragsbemessungsgrenze eine verfassungsrechtliche Rolle für die Begrenzung der Sozialversicherung zu. Die Festlegung der Höhe bemesse den wirtschaftlichen Spielraum der Versicherten. Die jährliche dynamische Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung auf jetzt 5 100 Euro Bruttomonatsverdienst sei verfassungsrechtlich „sehr bedenklich“ und „sozialpolitisch verfehlt“. Dadurch verbleibe den Betroffenen wenig Spielraum, eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung und Altersvorsorge aufzubauen.

Eine Einbeziehung der Angehörigen der Versorgungswerke und deren Mitglieder in eine die gesamte Bevölkerung umfassende Sozialversicherung stünde nicht nur im Gegensatz zum Freiheitsgebot, der Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Selbstständigen und freien Berufe, sondern würde auch an dem Verfassungsgebot der Geeignetheit und der Erforderlichkeit scheitern. Vor allem stieße die Ersetzung der berufsständischen Versorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung auf rechtsstaatliche Bedenken. Die freien Berufe müssten sich bei ihrer Altersversorgung auf die Eigentumsgarantie gemäß Artikel 14 GG berufen können. Dies sei für die Politik ein fast unüberwindbares Bollwerk zu Gunsten der Freiberufler. Entschädigungslose Enteignungen seien ohnedies generell verfassungswidrig. Dies gelte auch für öffentlich-rechtliche Forderungen und Anwartschaften. Rentenanwartschaften seien als Eigentum geschützt, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung stets betont hat. Der Schutz bezieht sich auch auf den Schuldner. Dieser dürfe nicht gegen Willen des Gläubigers ausgewechselt werden.

Vertrauensschutz

Die Mitglieder von Versorgungswerken müssten sich auch künftig auf den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz verlassen können. Dispositionen von Einkommen der Bürger aufgrund einer früher geltenden Rechtslage seien grundsätzlich schützenswert. Der Gesetzgeber habe solche Belastungen zu mindern und für einen gleitenden Übergang zu sorgen. Den Versorgungswerken der Freien Berufe dürfe ein Grundrechtsschutz nicht verweigert werden. Die Länder seien Garanten für den Erhalt der Versorgungswerke.

Nach Rupert Scholz ist das Berufsbild des freien Berufes vom Grundrecht des Artikel 12 Absatz 1 GG verfassungsrechtlich geschützt. Damit verbiete sich jeder Eingriff, der die gewachsene Homogenität der Berufsbilder des freien Berufs ohne sachliche Rechtfertigung verändere oder gar umstürze. Nur dann, wenn Versorgungswerke funktionsunfähig würden, dürfe an eine Revision der Systeme durch den Staat gedacht werden. Die Versorgungswerke seien jedoch voll funktionsfähig, bekämen seit jeher keine Staatszuschüsse, würden ausschließlich durch ihre Mitglieder finanziert. Der Bund hat nach Scholz keine allgemeine Gesetzgebungskompetenz nach Artikel 74 Nr. 12 GG zur Regelung der berufsständischen Altersversorgung. Dies sei ausschließlich den Ländern vorbehalten.

Dr. Harald CladeDieselstr. 250859 Köln

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.