Fallpauschalengesetz 2003

Ein neuer Ruck

Heftarchiv Gesellschaft
Seit dem 1. Januar 2003 können die Krankenhäuser nach dem diagnosebasierten Fallpauschalensystem abrechnen. Nach den recht fruchtlosen Versuchen der letzten Jahre, die Kluft zwischen stationärem und ambulantem Sektor zu schließen, soll das Gesetz die integrierte Versorgung nun ein Stück weit nach vorn bringen. Eine Analyse des Deutschen Ärzteblatts (DÄ) in gestraffter Form.

Wie das DÄ (Titelgeschichte vom 18. April 2003, S. 818 ff.) berichtete, machen viele niedergelassene Ärzte wieder und wieder dieselbe trübe Erfahrung: Zur Weiterbehandlung müssen sie den Patienten an der Krankenhauspforte abgeben – und stehen in der Folgetherapie außen vor. Ähnlich ergeht es den Krankenhausärzten, die über die weitere Genesung eines entlassenen Patienten nicht auf dem Laufenden gehalten werden. In dieses Bild passt, dass die meisten Patienten die medizinische Qualität der Behandlungen nicht monieren, wohl aber die Störungen beim Wechsel zwischen Krankenhaus und Hausarzt. Ein unbefriedigender Ablauf für alle Beteiligten, zurückzuführen auf die in Deutschland fast vollständige Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor. Die Folgen, schreibt das DÄ, sind Informationsverluste, Doppeluntersuchungen und Konflikte.

Erfolgsbilanz bisher mau

Bereits in der Vergangenheit haben Politiker unterschiedlichster Couleur versucht, das Problem in den Griff zu bekommen – ohne Erfolg. So brachte der damalige CDU-Gesundheitsminister Horst Seehofer 1997 zwei Neuordnungsgesetze auf den Weg, um für zeitlich befristete Modellvorhaben den Weg frei zu machen und damit den Aufbau alternativer Versorgungsstrukturen zu stärken. Seither können die Krankenkassen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) – einzelne Arztgruppen sind ausgenommen – Verträge über neue Modellvorhaben abschließen. Außerdem erhielten die KVen und die Krankenkassen durch die „Strukturverträge“ das Recht, dem vom Versicherten gewählten Hausarzt die vertragsärztliche Versorgung zu übertragen. Dass die ehrgeizigen Modelle Schiffbruch erlitten, lag letzten Endes am Interessenkonflikt der Vertragspartner.

Finanzieller Anreiz fehlt

Auch die im Jahr 2000 von der damaligen Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) in Gang gebrachten Modelle zur integrierten Versorgung – Stichwort „GKV-Gesundheitsreformgesetz“ – wurden bisher nur selten umgesetzt. Der Haken hier: Es gab keine finanziellen Anreize für die Beteiligten.

Dieser „Schwarze Peter“ wurde an die Selbstverwaltung weitergeschoben. Zwar einigten sich Ärzteschaft und Krankenkassen nach zähem Ringen auf eine Rahmenvereinbarung zur integrierten Versorgung, von einer Lösung war man freilich weit entfernt, bilanziert das DÄ. Weil die Einkaufsmodelle der Krankenkassen und die damit verbundene Aushöhlung des Sicherstellungsauftrags nur mit einem Vetorecht zu verhindern waren, erkämpfte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), dass Einzelverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen nur mit Zustimmung der KVen abgeschlossen werden durften.Das Problem aller Konzepte bleibt aber, analysiert das DÄ, dass es sich weder für die Ärzte noch für die Krankenkassen in Euro und Cent lohnt, bei den integrierten Versorgungsmodellen einzusteigen.

Schub durch Fallpauschale

Auch die amtierende Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat vor, die integrierten Versorgungsformen voranzutreiben. Beispiel dafür sind die zum 1. Juli 2002 verabschiedeten strukturierten Behandlungsprogramme bei chronischen Krankheiten. Durch die Anbindung an den Risikostrukturausgleich setzen die „Disease-Management-Programme“ (DMP) starke Impulse für sektorübergreifende Versorgungsformen – wenngleich sie hinsichtlich ihrer zielgenauen Wirkung umstritten sind, wie das DÄ anmerkt.

Doch auch unabhängig von DMP erhält die integrierte Versorgung – ausgehend von den Akutkrankenhäusern – zurzeit einen deutlichen Schub. Auslöser dafür ist die Umstellung auf das diagnosebasierte Fallpauschalensystem im stationären Sektor ab 2003/2004. Mit Einführung der „Diagnosis Related Groups“ (DRG) will der Gesetzgeber eine Vielzahl unterschiedlicher Diagnosen und Krankheitsarten zu einer überschaubaren Anzahl von Abrechnungspositionen mit vergleichbarem Aufwand zusammenfassen. Nächstes Jahr wird das Modell implementiert, dieses Jahr können die rund 2 200 Krankenhäuser zur Vorbereitung nutzen – geht es ihnen doch jetzt mehr denn je darum, die stationäre Liegezeit der Patienten zu verkürzen. Dementsprechend viel Wert legen die Krankenhäuser darauf, dass die Patienten möglichst gut vordiagnostiziert sind und so schnell wie möglich weiterbetreut werden.

Ziel müsse es deshalb sein, eine durchgehende Versorgungskette zwischen allen Beteiligten aufzubauen. In dieser Situation erinnern sich viele Krankenhausmanager an das ambulante Operieren – eine Form der integrierten Versorgung, die im Jahr 1992 von der liberal-konservativen Regierung eingebracht wurde. Dabei operieren Kassenärzte im Krankenhaus und rechnen über ihre KVen ab. Dem „Krankenhaus-Barometer“ zufolge, einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts vom Herbst 2002, will nahezu die Hälfte der auskunftsbereiten Krankenhäuser das ambulante Operieren einführen oder gar ausweiten. Mehr als 30 Prozent planen, zusätzliche Fachärzte an die Kliniken zu holen – ob angesichts des Fachärztemangels dafür überhaupt genügend ausgebildete Kräfte zur Verfügung stehen, ist nach Meinung des Deutschen Ärzteblatts indes fraglich.

Damit die Patienten frühzeitig entlassen und dennoch kompetent weiterbetreut werden können, spricht hingegen einiges dafür, dass die Krankenhäuser die nachbehandelnden niedergelassenen Ärzte künftig an der Pauschalvergütung beteiligen – die kooperierenden Ärzte könnten dann sogar gleichzeitig die Patienten für die stationäre Behandlung einweisen und so den Nachschub sicherstellen, spekulieren die Krankenhaus-Manager. Der Vertragsarzt hätte somit die Möglichkeit zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Allerdings: Die strikte Trennung zwischen beiden Sektoren würde aufgeweicht.

Langfristig führt nach Ansicht des DÄ an einer umfassenden Vergütungsstruktur kein Weg vorbei. Der Trend geht zu sektorübergreifenden (zunächst fallbezogenen) Pauschalvergütungen – die KBV befürwortet auf lange Sicht eine Umstellung auf morbiditätsorientierte Kopfpauschalen. Trotzdem: Der „Selbstläufer“ integrierte Versorgung lahmt; bislang hat das Modell keine Reformperspektive aufgezeigt, kritisiert das DÄ .

Lösung: Kopfpauschale?

Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales (BGMS) will das ärztliche Vergütungssystem demnach „weiterentwickeln“. Im Rohentwurf für das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz steht, dass für fachärztliche Leistungen und ambulante Operationen Komplexgebühren und Fallpauschalen eingeführt werden sollen: Hausärzte und Praxisnetze, die die hausärztliche Versorgung der Patienten übernehmen, werden also künftig nach Kopfpauschalen bezahlt. Zugleich plant die Bundesregierung, die Krankenhäuser im Rahmen von Disease-Manangement-Verträgen und die Gesundheitszentren generell für die ambulante Pflege zu öffnen und in das neue System der Einzelverträge aufzunehmen. Um die integrierte Versorgung zu fördern, sieht der Rohentwurf außerdem vor, bürokratische Hürden abzubauen.

Ob es aber langfristig gelingt, die beiden Sektoren intensiv zu verzahnen, bleibt eine Frage der gerechten Leistungsvergütung, meinte das DÄ. Relativ unbestritten sei dagegen, dass durch integrierte Versorgungsformen die Behandlungsprozesse und -ergebnisse verbessert, darüber hinaus die Kosten reduziert werden können.

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