Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit

Ein Urteil mit Konsequenzen

Für Ärzte in deutschen Kliniken war es ein Schlag ins Gesicht – und gleichzeitig ein Sieg durch das Hintertürchen. Bereitschaftsdienste werden vorerst weiterhin nicht als Arbeitszeit anerkannt. Das Bundesarbeitsgericht hat die Klagen von Krankenhausärzten abgewiesen, die sich auf ein Urteil des europäischen Gerichtshofes gestützt hatten. Doch die Richter stellten fest, dass das deutsche Recht nicht EU-kompatibel ist.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil einen Widerspruch zwischen deutschem und europäischem Recht festgestellt. Eine europarechtskonforme Auslegung des deutschen Arbeitszeitgesetzes sei nicht möglich, so das BAG. Dementsprechend musste die Klage nach deutschem Recht abgewiesen werden. Gleichzeitig sehen die Richter jetzt aber die Politik am Zug: Gesetzgeberische Maßnahmen liegen nicht in der Kompetenz des Gerichts, stellte BAG-Präsident Hellmut Wissmann klar und forderte die Regierung zum Handeln auf.

Grundlage der beiden Klagen von Medizinern aus Hamburg und Baden-Württemberg war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Oktober 2000, wonach der Bereitschaftsdienst spanischer Ärzte in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung insgesamt als Arbeitszeit anzusehen ist. Deutsche Kliniken hatten die EU-Entscheidung bisher als nicht übertragbar bezeichnet.

Doch nach dem BAGUrteil ist eine Neuregelung in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit. Unklar ist, welche Kosten die Umsetzung der EU-Richtlinie verursachen wird. „Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement muss nun sofort das Arbeitszeitgesetz ändern und den Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit werten“, wetterte Dr. Frank Ulrich Montgomery vom Marburger Bund nach der Urteilsverkündigung. Diese Gesetzesänderung führe zwangsläufig zur Einstellung 15 000 zusätzlicher Ärzte und zur Erhöhung des Krankenhausbudgets um eine Milliarde Euro. Und die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht noch weiter: Nach ihren Berechnungen wären 27 000 neue Stellen im ärztlichen und pflegerischen Bereich nötig. Kostenpunkt: 1,7 Milliarden Euro zusätzliche Kosten im Jahr.

Entsprechend fällt die Reaktion der Krankenkassen aus: Ausgeruhte Ärzte sind gut. Aber bitte ohne Mehrbelastung für die GKV. Eine organisatorische Neuordnung führe schließlich nicht per se zu Mehrausgaben der Krankenhäuser. In einer Pressemitteilung verwiesen die Spitzenverbände der Kassen auf das Beispiel der Landesbetriebskrankenhäuser (LBK) in Hamburg, die zeitgemäße Arbeitszeitmodelle ohne Bereitschaftsdienst und ohne Mehrkosten entwickelt hätten.

Und tatsächlich: Der LBK Hamburg sieht Bereitschaftsdienst als „Relikte vergangener Zeit und überholter Klinikstrukturen“ und bietet seinen Arbeitnehmern die Wahl zwischen einem 38,5-Stunden- oder einem 48-Stunden-Vertrag. So können die Beschäftigten aus dem Bereitschaftsdienst aussteigen und haben trotzdem die Wahl, größere Einkommenseinbußen gegenüber der Bereitschaftsdienstregelung zu vermeiden. Denn genau daran scheiterten in der Vergangenheit verschiedene Krankenhäuser – die Ärzte wollten auf die lukrative Geldquelle durch den Bereitschaftsdienst nicht verzichten.

Diese Schwachstelle nutzte Ulla Schmidt in ihrer Reaktion auf das Urteil. Den schwarzen Peter, den ihr das BAG vor die Nase hielt, reichte sie gleich an die Kliniken weiter. Die Krankenhäuser seien jetzt in der Pflicht, die Arbeitszeiten im Interesse der Patienten und der Beschäftigten entsprechend neu zu gestalten. Über ihre Sprecherin ließ sie mitteilen, dass bereits mit dem Fallpauschalengesetz im vergangenen Jahr 100 Millionen Euro bereitgestellt worden seien, um die Arbeitszeit neu zu gestalten. Bisher seien hier aber keine Mittel abgerufen worden, so die Sprecherin.

Eine Reaktion, die Montgomery die Zornesröte ins Gesicht trieb: „Wie kann man nur so hinter dem Mond leben“, erregte sich der Chef des Marburger Bundes. Die Reaktion der Gesundheitsministerin, das Urteil zunächst einmal zu ignorieren und zum Tagesgeschäft überzugehen, hinterließ ihn schlicht „fassungslos“.

Kurze Atempause

Klappern gehört zum Handwerk – auch Montgomery weiß, dass 15 000 Ärzte nicht auf der Straße stehen und auf Anstellung warten. Doch die Ärzte wollen den Druck auf den Gesetzgeber verstärken: Das Erfurter Urteil bedeute einen Aufschub der Problematik, „eine kurze Atempause“, so Ärztekammer- Präsident Dr. Jörg-Dietrich Hoppe. Wie schnell das deutsche Arbeitszeitgesetz der europäischen Richtlinie tatsächlich angepasst werden kann, ist schwer einschätzbar. Der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Dr. Franz-Joseph Bartmann geht von einer Übergangsfrist von mindestens sechs Jahren aus.

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