Frühdefibrillation

Zahnärztliches Personal als Ersthelfer

Unser Nachbar verstarb erst kürzlich in einer Zahnarztpraxis im Bergischen Land. Der Zahnarzt und sein Team hätten dem herzkranken Mann unter Umständen sein Leben retten können. Aber die Hilfe des hinzugerufenen Notarztes kam leider zu spät.

„Tat“ort: Irgendwo in einer deutschen Zahnarztpraxis: Gerhard S. sitzt im Wartezimmer. Plötzlich fasst er sich an die Brust und sackt leblos zusammen. Die Anwesenden wissen glücklicherweise was zu tun ist: Einer beginnt unverzüglich mit der Überprüfung von Bewusstsein, Atmung und Kreislauf des Betroffenen. Und während ein anderer die Mitarbeiterinnen beauftragt, über den Notruf 112 Rettungsdienst und Notarzt zu alarmieren, nimmt der Zahnarzt den in unmittelbarer Nähe stationierten, öffentlich zugänglichen automatisierten externen Defibrillator (AED, auch „Defi“ genannt) und bringt ihn zum Notfallort. Weder Atmung noch Puls können festgestellt werden – es liegt ein klassischer Fall von Herz-Kreislauf-Stillstand vor. Der Zahnarzt schaltet den AED ein und klebt zwei Elektroden auf den entblößten Brustkorb des Betroffenen. Der Defibrillator analysiert den Herzrhythmus und stellt ein so genanntes Kammerflimmern fest. Das Gerät empfiehlt nun dem Zahnarzt, den Elektroschock auszulösen. Der Zahnarzt löst über die Schocktaste den lebensrettenden Impuls aus. Als der Rettungswagen zehn Minuten später eintrifft, ist Gerhard S. wieder bei Bewusstsein.

Notarzt und Rettungsfachpersonal versorgen den Patienten weiter und bringen ihn dann in eine geeignete Klinik. Nach wenigen Tagen kann Gerhard S. das Krankenhaus auf seinen eigenen Füßen stehend verlassen und den verpassten Termin bei seinem Zahnarzt nachholen.

Routine statt Horrorvision

Alltag in deutschen Zahnarztpraxen? Leider nein. In der Bundesrepublik Deutschland erliegen jährlich rund 130 000 Menschen dem plötzlichen Herztod. Das heißt, alle fünf Minuten stirbt ein Mensch an den Folgen des Herz-Kreislauf-Stillstandes. Damit ist der plötzliche Herztod die Todesursache Nummer eins außerhalb von Kliniken – und somit eine der größten gesundheits- und gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit.

Am plötzlichen Herztod versterben in Deutschland pro Jahr rund 130 000 Menschen – das sind rund 18-mal so viele wie im Straßenverkehr jährlich tödlich verunglücken

Plötzlicher Herztod kann jeden treffen

Der plötzliche Herztod kann jeden treffen, Frauen und Männer jeder Altersstufe, auch Jugendliche und Leistungssportler. Und er kann uns jederzeit und an jedem Ort ereilen – auch und gerade in der Freizeit. Die überwiegende Mehrzahl aller Betroffenen weist anfänglich ein Kammerflimmern auf. Dabei arbeitet die Muskulatur des Herzens so unkoordiniert, dass sich die einzelnen Herzmuskelfasern nicht mehr gleichzeitig zusammenziehen. Dadurch wird kein Blut mehr in die Gefäße gepumpt und der Kreislauf kommt zum Stillstand. Die einzige wirksame Behandlung im Rahmen der Wiederbelebungsmaßnahmen stellt die Defibrillation dar. Die manuelle Herz-Thorax-Kompression unterbricht zwar das so genannte therapiefreie Intervall, kann aber die Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstandes nicht bekämpfen. Je früher die Defibrillation erfolgt, desto größer ist die Überlebenswahrscheinlichkeit ohne bleibende körperliche Schäden. Unbehandelt führt das plötzliche Herzversagen spätestens nach zehn Minuten zum Tod. Die ersten irreparablen Hirnschäden treten dabei bereits nach fünf Minuten auf.

Kein Notarzt und kein Rettungsdienst der Welt ist schneller beim Betroffenen als ein anwesender Laie

Schnelles Handeln einüben

Zum schadenfreien Überleben bleibt somit nur ein Zeitfenster von drei bis fünf Minuten. Kein Notarzt und kein Rettungsdienst der Welt ist in der Lage, in dieser kurzen Zeit am Notfallort zu sein und dem Betroffenen zu helfen. Dies kann nur derjenige, der sich in unmittelbarer Nähe des Patienten aufhält. Daher fordert die Björn Steiger Stiftung die flächendeckende Aus- und Fortbildung von Laien und gesetzlichen Ersthelfern, aber insbesondere auch von Ärzten und Zahnärzten in Herz-Lungen-Wiederbelebung mit Frühdefibrillation (HLW-D).

Die „Guidelines 2000 for Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care. An International Consensus on Science.“ empfehlen Folgendes: „AEDs sollen in öffentlichen Orten („Public Access Defibrillation“) dort verfügbar sein, wo eine Wahrscheinlichkeit von einer AED-Anwendung innerhalb von fünf Jahren gegeben ist beziehungsweise dort, wo ein Notruf-Defibrillations-Intervall von weniger als fünf Minuten durch den Rettungsdienst nicht zuverlässig gewährleistet werden kann.“

Und weiter heißt es dort: „Bestimmte Berufsgruppen, wie Polizei, Feuerwehr, Flugbegleiter, Sicherheitsdienste, Sportstättenpersonal und mehr, sollen in CPR inklusive AED-Anwendung ausgebildet werden.“ Die Industrie hat dieser Forderung Rechnung getragen, indem sie automatisierte externe Defibrillatoren entwickelt hat, die von Laien zu bedienen sind. Diese Geräte verfügen über ein Analysesystem, welches das EKG des Betroffenen auswertet und bei Kammerflimmern und pulsloser ventrikulärer Tachykardie eine Defibrillation empfiehlt.

Erfahrungsberichte aus aller Welt, vor allem aus den Vereinigten Staaten, haben gezeigt, dass medizinische Laien nach einer entsprechenden Unterweisung im Rahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung die automatisierte externe Defibrillation sicher und erfolgreich durchführen können und die Überlebensrate dadurch signifikant gesteigert werden kann.

Zwar ersetzt die Defibrillation durch Laien nicht die Aufgaben des Notarzt- und Rettungsdienstes, doch die frühestmögliche Defibrillation verkürzt die Zeitspanne zwischen Auftreten des Kammerflimmerns und der Defibrillation und erhöht dadurch die Überlebenswahrscheinlichkeit.

Trotz der einfachen Bedienung der neuen Generation der automatisierten externen Defibrillatoren ist eine verantwortliche Ausund Fortbildung der mit dem Gerät ausgestatteten Ersthelfer erforderlich. Die Hilfsorganisationen bieten diese Aus- und Fortbildung an. Neben den Maßnahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung muss die Ausbildung in HLW-D die Gewähr für eine sachgerechte Handhabung des automatisierten externen Defibrillators bieten.

Frühdefibrillation als betriebliche Erstmaßnahme

Eine wachsende Zahl von deutschen Unternehmen beschäftigt sich bereits mit dieser Thematik. So stattet zum Beispiel der Siemens-Konzern derzeit alle Betriebsstätten mit AEDs aus und schult die Mitarbeiter in Herz-Lungen-Wiederbelebung mit Frühdefibrillation. Die Entscheidung, ob die Frühdefibrillation im Rahmen der betrieblichen ersten Hilfe in Zahnarztpraxen angewendet werden sollte, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Im Nachfolgenden sind einige davon zusammengestellt, die als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden können: Eintreffzeit des Rettungsdienstes, Verfügbarkeit von geschulten Ersthelfern, Wartungsaufwand der AEDGeräte, Besucherfrequenz, Bereiche mit erhöhtem Risiko von Zwischenfällen, Zeitlimit/ Wegstrecke Patient – AED sowie innerbetriebliche Alarmierungsmöglichkeiten.

„Automatisierte externe Defibrillatoren sollten so selbstverständlich werden wie Feuerlöscher“

Automatisierte externe Defibrillation

So läuft seit dem Jahr 2001 in der bayerischen Landeshauptstadt München ein europaweit einzigartiges Projekt zur Laiendefibrillation. An zunächst drei U-Bahn-Stationen wurden AEDs installiert, auf die im Bedarfsfall – ähnlich wie bei einem Feuerlöscher – jedermann, der sich in der Nähe aufhält, Zugriff hat. Inzwischen sind acht weitere hinzugekommen. Und es bestehen konkrete Pläne, die Laiendefibrillation in München flächendeckend auszudehnen. In deutschen Zahnarztpraxen befinden sich zwar Feuerlöscher zur schnellen Brandbekämpfung, aber bei einem internistischen Notfall beginnt die qualifizierte Erstversorgung leider noch viel zu oft erst mit Eintreffen des Rettungsdienstes. Und dann ist es oft zu spät!

Jörn FriesRettungsdienst-StiftungBjörn Steiger e.V.Petristraße 12, 71364 Winnenden

Weitere Informationen:www.Steiger-Stiftung.dewww.kampfdemherztod.de

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