10. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde

Prävention nach Maß

Am 26. und 27. September 2003 fand zum zehnten Mal die alljährliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGK) statt. Zum diesjährigen Kongress, welcher in Zusammenarbeit mit dem Interdisziplinären Arbeitskreis für Zahnärztliche Anästhesie und dem Verein zur Förderung von Lehre und Forschung in der Zahnmedizin am Universitätsklinikum der FSU Jena e.V. ausgerichtet wurde, fanden sich mehr als 400 Zahnärzte und Helferinnen aus dem gesamten Bundesgebiet zum Erfahrungsaustausch am Tagungsort in Jena ein.

Die Hauptvorträge, für welche namhafte Referenten gewonnen werden konnten, widmeten sich am ersten Tag vornehmlich den in naher Zukunft von den Fachgesellschaften zu verabschiedenden Leitlinien „Fluoridierungsmaßnahmen“ und „Fissurenversiegelung“ sowie dem Thema der Kariesrisikodiagnostik. Das Hauptthema des zweiten Kongresstages stand im Zeichen anästhesiologischer Fragestellungen.  

Das wissenschaftliche Programm eröffnete Prof. Ulrich Schiffner, Hamburg, mit einem Überblick zum Thema „Kariesrisikodiagnostik“. Der Referent stellte dem Publikum bedeutsame internationale und nationale Forschungsergebnisse vor und nahm anhand dessen eine kritische Standortbestimmung vor. So muss gegenwärtig, insbesondere unter Berücksichtigung der multifaktoriellen Einflussparameter auf eine zukünftige kariöse Entwicklung, die diagnostische Güte (Sensitivität bis 50 Prozent, Spezifität bis 80 Prozent) aller verfügbaren Prognoseansätze als nicht befriedigend eingeschätzt werden. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Fähigkeit des Hauszahnarztes an Bedeutung, bekannte und gezielt zu erfragende Risikofaktoren mit den klinischen Befunden einer individuellen Risikountersuchung zusammenzufassen. Die Einbeziehung initial kariöser Läsionen ist dabei ein wesentlicher Bestandteil, da Kariesvorstufen wie auch manifeste kariöse Läsionen gegenwärtig die aussagekräftigsten Prädiktoren für eine zukünftige kariöse Entwicklung sind. Ergebnisse der Erfurter Kariesrisikostudie bestätigten diesen Ansatz, in dem die Kombination aus klinischen und weiteren Parametern der Kariesätiologie, wie Mundhygieneund Ernährungsverhalten, Fluoridanwendung, Bildungsgrad und/oder soziale Faktoren, die Risikoprognose deutlich verbesserte. Dieser Ansatz dürfte auch die höchste praktische Relevanz haben, da die klinische Untersuchung ohnehin integraler Bestandteil der zahnärztlichen Betreuung ist. Viele weitere Parameter lassen sich einfach im Rahmen der Anamnese erheben. In diesem Zusammenhang ist die Indikation für die aufwändige mikrobiologische Speicheldiagnostik nur in Ausnahmefällen gegeben. Inwieweit zukünftig neue diagnostische Ansätze, wie das Laktatbildungspotential der oralen Flora, verstärkt an Bedeutung gewinnen werden, bleibt nach Prof. Schiffner abzuwarten. Die entscheidende Fragestellung entsprechender Studien wird daher sein, wie genau dieser eine Prädiktor in der Lage ist, das komplexe Geschehen in der Mundhöhle widerzuspiegeln.

Leitlinie Fluoridierung

Die folgenden beiden Hauptreferate widmeten sich der Darstellung des aktuellen Entwicklungsstandes der von der DGK maßgeblich miterarbeiteten Leitlinien „Fluoridierungsmaßnahmen“ und „Fissurenversiegelung“. Prof. Elmar Hellwig, Freiburg, stellte dazu Ziel, Probleme und Erfahrungen bei der Erstellung der Leitlinie zu Fluoridierungsmaßnahmen dar. Leitlinien sind grundsätzlich als systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für angemessenes (zahn)ärztliches Handeln und als Instrumente der Qualitätssicherung zur Verringerung einer möglichen Therapiebeliebigkeit zu verstehen und sollen keinesfalls der Beschränkung ärztlicher Therapiefreiheit dienen.

Die Erstellung von Leitlinien setzt immer ein systematisches Literaturstudium voraus. Umfang und Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Literatur zur Zielvariable „Kariesreduktion“ mittels fluoridierter Zahnpasten, fluoridiertem Speisesalz, Fluoridtabletten, Fluoridgelen, Fluoridlacken und fluoridierter Mundspüllösungen unterbreitete der Referent eingangs in seinem Vortrag. Bei der Auswertung der letztlich vorliegenden Literatur stellte sich heraus, dass eine Ableitung entsprechender Empfehlungen schwierig ist, da eine Reihe von Störfaktoren nicht zu eliminieren ist: Die Bevölkerung unterliegt heute einer multiplen Fluoridexposition – die Wirksamkeit einer einzelnen Fluoridierungsmaßnahme ist dabei quantitativ nahezu nicht zu erfassen. Als weitere Probleme sind ältere klinische Studien, deren Studiendesign heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt, das ethisch bedingte Fehlen neuerer plazebo-kontrollierter Untersuchungen sowie methodisch sehr unterschiedlich gestaltete Untersuchungen zu nennen. Aus den letztlich als evidenz-basiert eingestuften Publikationen fasste Prof. Hellwig folgende Ergebnisse zusammen: Alle genannten Fluoridierungsmaßnahmen sind kariesprotektiv wirksam, wobei mit zunehmender Kariesaktivität die relative Wirksamkeit abnahm. Aufgrund der fehlenden Evidenz zu etlichen Detailfragen sind Verallgemeinerungen und Übertragungen nicht statthaft. Vor diesem Hintergrund werden Leitlinien auch zukünftig in regelmäßigen Abständen geprüft und überarbeitet werden, um deren Aktualität zu gewährleisten. Letztlich wird die demnächst zu veröffentlichende Leitlinie „Fluoridierungsmaßnahmen“ sich nur unwesentlich von der gegenwärtigen DGZMK-Empfehlung „Kariesprophylaxe mit Fluoriden“ unterscheiden.

Leitlinie Fissurenversiegelung

Zur zweiten vorgestellten Leitlinie „Fissurenversiegelung“ referierte Prof. Reinhard Hickel, München, sowohl zur Problematik des systematischen Literaturstudiums als auch zu den Detailergebnissen. So liegt grundsätzlich für die kariesprotektive Wirksamkeit von Versiegelungen an Fissuren und Grübchen das höchste Evidenzniveau anhand von Metaanalysen vor. Die Fissurenversiegelung kann somit als bewährte zahnärztliche Präventionsmaßnahme charakterisiert werden. Als Materialgruppen sollten methcrylat-basierte Versiegelungskunststoffe Verwendung finden, da diese gegenüber Glas-Ionomer-Zementen signifikante Vorteile bezüglich des Retentionsverhaltens aufwiesen. In Bezug auf die jeweiligen Behandlungsschritte liegt anhand der gesichteten Literatur eine ausreichende Evidenz (Evidenzstärke B) für die folgenden Arbeitsschritte vor: Fissurenreinigung, relative Trockenlegung bei vierhändigem Arbeiten, Säurekonditionierung für 60 Sekunden, grazile Applikation des Versiegelungskunststoffes im Fissurenrelief, Polymerisation, Okklusionskontrolle und abschließende Fluoridierung. Prof. Hickel verwies aber auch auf die zu verkürzenden Konditionierungszeiten an exponiertem Schmelz (30 Sekunden) und Dentin (15 Sekunden) bei der erweiterten Fissurenversiegelung. Zudem sollten hierbei auch verstärkt fließfähige Kompositmaterialien zum Einsatz kommen. Da prinzipiell mit zunehmender Liegedauer abnehmende Retentionsraten zu beobachten sind, bedürfen Versiegelungen der konsequenten Nachkontrolle und der Reapplikation von Versiegelungsmaterial im Fall eines partiellen Materialverlustes.  

Anästhesiemethoden in der Kinderbehandlung

Die Hauptvorträge des zweiten Veranstaltungstages beschäftigten sich mit anästhesiologischen Fragestellungen auf dem Fachgebiet der Kinderzahnheilkunde. PD Dr. Dr. Monika Daubländer, Mainz, wertete in ihrem Überblick Möglichkeiten zur zahnärztlichen Lokalanästhesie. Insbesondere im Zusammenhang mit der nicht zu vernachlässigenden psychologischen Situation des Kindes muss neben der Aufklärung und Akzeptanz der Lokalanästhesie die sichere lokale und zeitlich begrenzte Schmerzausschaltung prinzipiell gefordert werden. Vorrangig sollten in der Kinderzahnheilkunde vasokonstriktorische Lokalanästhesielösungen benutzt und eine gewichtsbezogene Dosierung vorgenommen werden. Als Vasokonstriktor ist Adrenalin in einer Konzentration von 1:200 000 zu befürworten. Weitere Aufmerksamkeit verdient der referierenden Kieferchirurgin nach eine schonende Anästhesietechnik. Hierdurch werden sowohl der aktuelle Behandlungsverlauf als auch die Kooperation des Kindes bei zukünftigen Therapiemaßnahmen maßgeblich beeinflusst. Neuere computerassistierte Applikationstechniken können dabei durchaus sinnvoll eingesetzt werden.  

Prof. Hartmut Hagemann, Hannover, verwies auf vielfältige Probleme mit der Prämedikation bei der Behindertenbehandlung und berichtete über seine Erfahrungen. So lassen sich einerseits aus medizinischer Sicht Prämedikation, Sedierung, Analgosedierung nicht exakt definieren und haben pharmakologisch fließende Übergänge. Andererseits steht der Anästhesist häufig einem unbekannten Kind sowie unaufgeklärten Eltern gegenüber, woraus Probleme hinsichtlich fehlender Vorbefunde oder Nüchternheit nicht unüblich sind. Auch verwies der Referent auf das Problempotential eines unerfahrenen Anästhesisten oder Zahnarztes. Unter Berücksichtigung physiologischer und pathophysiologischer Hintergründe sowie arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen ist aus anästhesiologischer Blickrichtung die Lachgas-Analgesie heute obsolet. Stattdessen steht mit dem Benzodiazepin Midazolam ein Präparat mit nahezu idealen Eigenschaften zur Anxiolyse und Sedierung zur Verfügung. Unter Berücksichtigung von Indikation, Kontraindikation und möglichen Nebenwirkungen ist damit eine akzeptable Behandlung von Kindern möglich. Um das Behandlungsrisiko zu minimieren, sollten zudem folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Kind bekannt, Physiologie berücksichtigt, Pharmaka differenziert angewendet, Ablauforganisation mit Klärung von Nüchternheit, Pünktlichkeit, Prämedikation, Anwesenheit der Eltern und Berücksichtigung einer perioperativen Analgesie.  

Die Vormittags-Session wurde von Dr. Christian Lang, Mainz, zum Notfallmanagement abgerundet. Da es sich dabei glücklicherweise um seltene Zwischenfälle in der zahnärztlichen Praxis handelt, war für die Mehrzahl der Zuhörer dies sicher eine willkommene Möglichkeit notfallmedizinisches Wissen aufzufrischen. Neben der anschaulichen Darlegung, dass Zwischenfälle sich in der Regel durch eine Aneinanderkettung von Ereignissen anbahnen, nicht aus „heiterem Himmel“ eintreten und oftmals durch richtiges Handeln verhindert werden können, legte der Referent auch einige Neuerungen anhand der geltenden Leitlinien dar. Die 11. Jahrestagung wird am 7./8.Oktober 2004 in Mainz stattfinden.  

Dr. Jan KühnischFriedrich-Schiller-Universität JenaPoliklinik für Präventive ZHKNordhäuser Straße 7899089 Erfurt

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