Society of Oral Physiology (Store Kro Club)

Rund um die Kiefergelenkbeschwerden

Das alle zwei Jahre stattfindende internationale Meeting der „Society of Oral Physiology“ wurde 2003 in Leuven / Belgien abgehalten. Die alte Universitätsstadt mit ihren zahlreichen historischen Gebäuden bildete einen besonders schönen Hintergrund für die traditionsreiche Tagung, welche sich in den Räumlichkeiten des Großen Begijnhofes abspielte.

An der Tagung nahmen zirka 100 Zahnärzte, Physiotherapeuten und Physiologen teil, die gemäß den Statuten der „Society of Oral Physiology“ jeweils dazu verpflichtet waren, entweder einen wissenschaftlichen Vortrag oder ein Poster zu präsentieren.

Eine Vielzahl der vorgestellten Studien behandelte das Thema der Kiefergelenkbeschwerden (temporomandibular dysfunction, TMD) und Kopfschmerzen, sowie die Auswirkungen von Bruxismus auf das stomatognathe System – eine Auswahl von interessanten Präsentationen wird im Folgenden zusammengefasst:

Dr. Mauro Farella, Neapel, untersuchte den Einfluss der vertikalen kraniofazialen Morphologie auf die Aktivität des Musculus masseter im EMG: Es war kein Unterschied in der Muskelaktivität zwischen „short-faced“ und „long-faced“ Personen zu erkennen.

Dr. Anders Johansson, Orebro, Schweden, stellte in einer Studie an 8 888 über 50-jährigen Schwedinnen fest, dass Bruxismus einen signifikanten Risikofaktor für Kiefergelenkbeschwerden darstellte. Ein reduzierter Zahnstatus und Kiefergelenkbeschwerden waren zudem signifikante Risikofaktoren für eine ungenügende Kaufähigkeit.

Ohrenschmerzen als Symptom

Professor Dr. Pentti Alanen, Turku, Finnland, fand bei jedem zweiten Patienten, der unter nicht entzündlichen Ohrenschmerzen (sekundären Otalgien) litt, gleichzeitig Kiefergelenkbeschwerden. In der anschließenden Diskussion gab Professor Alanen an, dass die Therapie mit okklusalen Schienen bei der Behandlung der sekundären Otalgien sinnvoll ist, wie sich in einer weiterführenden Studie herausstellte.

Dr. James Huddleston, Amsterdam, zeigte in einer Studie an 1 835 Kindern, dass die anteriore Diskusverlagerung und die kondyläre Hypermobilität ähnliche Prävalenzen aufwiesen, in den Risikofaktoren jedoch unterschiedlich waren. Es wurde die Vermutung geäußert, dass die anteriore Diskusverlagerung mit lokalen Wachstums- und Entwicklungsparametern im Gelenk während der Kindheit verknüpft sei. Bedingt durch die zeitlichen Unterschiede in der Körperentwicklung von Mädchen und Jungen könnte dadurch auch die erhöhte Rate von anterioren Diskusverlagerungen bei Frauen erklärt werden. Kondyläre Hypermobilitäten seien mit generellen Hypermobilitätsfaktoren assoziiert.

Botulinumtoxin bei Diskusverlagerung

Professor Dr. Merete Bakke, Copenhagen, berichtete über erste Ergebnisse bei der Behandlung von Patienten mit starken Beschwerden bedingt durch eine chronische anteriore Diskusverlagerung mittels Injektion von Botulinustoxin in die Musculi pterygoidei laterales. Kurzfristige, deutliche Symptomverbesserungen begründet durch eine Bewegungseinschränkung der Musculi pterygoidei laterales konnten bei den Patienten beobachtet werden. Diese Schmerzlinderung hielt jedoch nur für etwa ein halbes Jahr an und die Beschwerden hatten danach wieder das Ausgangsmaß erreicht. Dr. Hamayun Zafar, Umea, Schweden, verglich die Bewegungsabläufe bei der Nahrungsaufnahme zwischen Patienten mit und ohne Beschwerden in der Kopf- Hals-Region. In der Koordination der Bewegungen der Hände und des Kopf-Hals-Bereichs waren zwischen beiden Patientengruppen deutliche Unterschiede zu erkennen. Diese Studie zeigte, dass Beschwerden in der Kiefergelenksregion im täglichen Alltag starken Einfluss auf die Koordination der Bewegungen der Muskulatur der Hände, Arme, des Rückens und des Nackens ausüben und damit auch Beschwerden in anderen Körperbereichen bedingen können.

Die Existenz eines lingualen foramen incisivum in der Mandibula wurde von Professor Dr. Ivo Lambrichts, Limburg, Belgien, mittels MRT und Histologie nachgewiesen: Dieses foramen incisivum ist wie das foramen linguale paarig angelegt und enthält ein Nerven-Gefäßbündel. In 41 Prozent der untersuchten Fälle vereinigten sich die beiden foramina frontales. Lambrichts forderte, dass diese Erkenntnisse in die zukünftigen Operationsplanungen beziehungsweise Schnittführungen bei einer Implantat- Insertion einbezogen werden sollten.

Vorkontakt und Muskel

Professor Dr. Ambra Michelotti, Neapel, zeigte in ihrer Studie bei Probanden, welchen ein künstlicher okklusaler Vorkontakt in Höhe von 250 Mikrometern im Molarenbereich eingebracht worden war, dass in einer achttägigen EMG Kontrollphase am Musculus masseter keine erhöhte Muskelaktivität registriert werden konnte. Vielmehr nahm die Muskelaktivität ab. Diese Studie stellte den Zusammenhang zwischen erhöhter Muskelaktivität der Kaumuskulatur und okklusalen Frühkontakten in Frage.

Dr. Jacques van der Zaag (Amsterdam, Niederlande) konnte bei einem nur kleinen Studienkollektiv von zehn Probanden zeigen, dass sowohl unter der Therapie mit einer Stabilisierungsschiene als auch unter der mit einer Placeboschiene das nächtliche Bruxieren zunahm. In dieser Studie konnte kein positiver Effekt der Bruxismustherapie über eine Aufbissschiene ausgemacht werden.

Schnarchschiene

Dr. Aarnoud Hoekema, Jönköping, Niederlande, gab einen systematischen Überblick über die Behandlung des nächtlichen Schnarchens: Insbesondere wurde der chirurgische Therapieansatz der Uvulaplastik mit der anterioren Positionierungsschiene verglichen. Die anteriore Positionierungsschiene hatte einen deutlich besseren Effekt auf die Reduzierung des Schnarchens als die invasivere Methode der Uvulaplastik. Im Gegensatz zum Ausmaß der eingestellten Protrusion zeigte der Grad der Mundöffnung durch die Schiene keinen positiven Einfluss. Bei der retrospektiven Auswertung der Nebenwirkungen der Schienentherapie konnten keine arthrogenen, jedoch kieferorthopädische Veränderungen, in Form einer Reduzierung des Overbite und Overjet festgestellt werden.

Zusammengefasst wurden die Indikation und der Sinn von okklusalen Aufbissbehelfen kontrovers dargestellt und diskutiert. In den Diskussionbeiträgen von Professor Dr. Pentti Kirveskari, Turku, Finnland, der seine eigenen langjährigen Untersuchungen zitierte, wurde jedoch die Bedeutung der Okklusion für Kranio-Mandibuäre-Dysfunktionen eindrucksvoll unterstrichen und der protektive Charakter einer gut eingestellten zentrischen Okklusion in Bezug auf Myopathien betont.

Kauphysiologie und orales Tastempfinden

Professor Dr. Shogo Minagi, Okayama, Japan, untersuchte das passive Tastvermögen von Patienten mit und ohne Bruxismus. Dabei stellte sich heraus, dass die Patienten ohne Bruxismus ein signifikant besseres Tastvermögen, 2,5fach feiner, als Patienten mit Bruxismus aufwiesen.

Professor Dr. Frauke Müller, Genf, konnte zeigen, dass kein Unterschied im aktiven Tastempfinden von Implantaten, welche in augmentierten Knochen und Implantaten die in lokalen Knochen inseriert worden waren, nachzuweisen war. Die Theorie, die 1998 von Professor Lambrichts aufgestellt worden war, dass das Phänomen der Osseoperception ankylosierter Implantate auf verbliebene parodontale Strukturen der extrahierten Zähne zurückgeführt werden könnte, wurde durch die nun vorgestellte Studie widerlegt.

Mittels einem Split-mouth-Versuchsaufbau hatte Dr. Norbert Enkling, Bonn, intraindividuell das aktive Tastempfinden der Kombination Einzelzahnimplantat und antagonistischer natürlicher Zahn mit dem Tastempfinden der Kombination zweier natürlicher Zähne auf der kontralateralen Seite in Beziehung gesetzt. Bei der statistischen Auswertung wurde ermittelt, dass das Tastempfinden eines Einzelzahnimplantates mit natürlichem Antagonisten intraindividuell dem aktiven Tastempfinden natürlicher Zähne entsprach. Im Anschluss wurde über den Aspekt diskutiert, welche physiologischen Grundlagen zu dem exzellenten interokklusalen Tastempfinden der Implantatregion führen konnten. Neben dem sicherlich starken Einfluss des natürlichen Antagonisten wurde zudem das Phänomen der Osseoperception als Begründung einbezogen. Zudem wurde die klinische Relevanz der Studie, dass bei der okklusalen Anpassung der prothetischen Arbeiten auf Implantaten das subjektive Empfinden der Patienten nun ein valides Hilfsmittel für den Zahnarzt darstellt, betont.

Nahrung und Kiefergelenk

Den Einfluss der Nahrungsbeschaffenheit auf die Ausformung des Kiefergelenkes untersuchte Professor Dr. Tomas Magnusson, Jönköping, Schweden, an 17 Hausschweinen. Dabei stellte sich heraus, dass stärker abrasive Nahrung zwar zu einer stärkeren Abnutzung der Zähne führte, dass jedoch das Kiefergelenk weder in seiner Größe noch in seiner Oberflächenbeschaffenheit irgendwelche Veränderungen zeigte.

Dr. Norbert EnklingKortumstraße 4544787 BochumE-Mail:enking@gmx.de

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