VI. Kongress für Gesundheitspsychologie

Gesundheit – Risiko, Chancen und Herausforderung

Zum Thema Krankheitsprävention mit Einbezug aller psychologischen, psychosozialen und gesundheitswissenschaftlichen Aspekte fand der Kongress für Gesundheitspsychologie in Leipzig statt. Unter der Leitung von Professor Dr. Harry Schröder, Leipzig, und Privatdozent Dr. Konrad Reschke, Leipzig, wurde Themen behandelt, die interdisziplinär der Zahnmedizin angehören und für den Praxisalltag unbedingt relevant sind.

Mit der sowohl gesundheitswissenschaftlichen als auch gesundheitspolitischen Betonung von Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung ist die Gesundheitspsychologie in den modernen Industrieländern zu einem wichtigen Einflussfaktor für die Sicherung der individuellen Persönlichkeits-, Leistungs- und Gesundheitsentwicklung geworden (Professor Dr. Martin Schlegel, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs Universität Leipzig).

Die relativ junge Wissenschaft zielt auf die Genese und Prävention von körperlichen Erkrankungen sowie ganz besonders auf die Risiko- und Gesundheitsverhaltensweisen. Der gesundheits-psychologische Ansatz geht davon aus, dass dem Verhalten eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Bewältigung von Krankheiten zukommt. Das weit gespannte Kongressthema bot eine innovative Themenvielfalt. So wurde auch erstmals der „Gesundheitspsychologie und Zahnmedizin” ein Workshop gewidmet, der unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Almut Makuch, Leipzig, stand. Denn auch die Entstehung und Prävention von Zahnerkrankungen wird bekanntermaßen durch Verhalten mitbestimmt.

Korrelation: Erfolg und Attraktivität

Zum Thema „Schöne Zähne – psychisches Wohlbefinden?” sprach Dr. Jutta Margraf-Stiksrud, Marburg. Sie ging der Frage nach, ob attraktive Menschen mehr Vorteile im Leben haben als weniger attraktive. Das wiederum hängt mit Attraktivitätsstereotypen zusammen, die Erwartungen dahingehend auslösen, dass Attraktive liebenswertere, positivere Charaktereigenschaften haben und klüger seien als weniger Attraktive und deshalb Vorteile genießen. Tatsächlich unterscheiden sie sich nur in der sozialen Kompetenz und sozialen Ängstlichkeit. Bezüglich psychischer Gesundheit, Selbstwertgefühl, Intelligenz, Geselligkeit gab es keine Unterschiede. Werden die Zähne in die Attraktivitätsbewertung einbezogen, zeigt sich, dass diese eher selten als besonderes Merkmal des Gesichts genannt werden. Zähne können allerdings ein wichtiger Bestandteil des Selbstbildes werden. „Ich bin attraktiv” ist das Ergebnis häufig entsprechender Rückmeldungen und damit für Persönlichkeit, Verhalten und Befinden relevanter als die objektive Attraktivität. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass ein durchschnittliches Aussehen für soziale Zuwendung am bedeutendsten ist.

Ausgewählte Ergebnisse zur Weiterentwicklung und Evaluation von Rehabilitationsmaßnahmen bei onkologischen, kiefergesichtsversehrten Patienten stellte Diplompsychologin Jasmina Al Khazraji, Leipzig, vor. Ziel der psychologischen Untersuchung war die Abbildung der psychischen und sozialen Belastung der Patienten und ihrer Angehörigen. Im Vordergrund des ersten Rehabilitationsschrittes stand die Behandlung mit prothetischen Therapiematerialien (Epithese und Resektionsprothese).

Der interventive Akzent der zweiten Rehabilitationsphase lag auf der psychosozialen Betreuung. Das zentrale Ziel war, die Patienten bei der Wiederaufnahme und Gestaltung ihres Lebens in Familie, Beruf und Gesellschaft zu unterstützen und dabei die bestmögliche Lebensqualität zu erlangen. Erstaunlicherweise ist die subjektive Rehabilitationsbedürftigkeit mit 24,5 Prozent gegenüber dem objektiven Rehabilitationsbedarf von 45 Prozent als eher gering einzuschätzen.

Gesundheitspsychologische Aspekte nicht unterschätzen

Dr. Hans-Joachim Demmel, Berlin, sieht eine große gesundheitspsychologische Bedeutung darin, dass psychosomatisch orientierte Konzepte in der wissenschaftlichen Zahnmedizin Eingang gefunden haben. Es werden sowohl orofaziale Manifestationen allgemeiner Störungen beziehungsweise Krankheiten, die Rückwirkung orofazialer Erkrankungen auf die Person als auch die psychosozialen Wechselwirkungen aus zahnärztlicher Sicht beachtet. Die Integration des biopsychosozialen Modells der Psychosomatischen Medizin in die Praxis bedeutet auch für den Zahnarzt die Umsetzung der Erkenntnis, nicht Krankheiten, sondern Kranke zu behandeln. „Am Zahn hängt noch ein ganzer Mensch.” Die frühzeitige Erkennung von psychosomatischen Zusammenhängen verhindert die unsinnige Häufung aufwändiger Untersuchungen und die Aggravierung der Symptomatik durch somatische Fixierung.

Vor der somatischen Fixierung eingreifen

Der psychosomatisch ausgebildete Zahnarzt bietet durch das fachgerechte Vorgehen dem Patienten die Möglichkeit, den Desomatisierungsprozess einzuleiten und damit den Teufelskreis der somatischen Fixierung aufzulösen. Erst die neu gewonnene Einsicht in die Krankheitsentwicklung ermöglicht dem Patienten seine Symptome anders zu bewerten. Am Beispiel des Zusammenhanges von Stress, Gesundheitsverhalten und Parodontalerkrankungen konnten psychosomatische Zusammenhänge eindrucksvoll belegt werden. Privatdozentin Dr. Renate Deinzer, Düsseldorf, zeigte, dass Stress das Parodontitisrisiko nicht direkt beeinflusst, sondern vielmehr zunächst physiologische, behaviorale und psychosoziale Veränderungen hervorruft. Die wiederum beeinflussen ihrerseits bestimmte parodontitisrelevante Faktoren, zum Beispiel das Zahn- und Mundpflegeverhalten oder die lokale Immunabwehr. Die Daten zeigen aber auch, dass differentielle Effekte, etwa durch das Geschlecht, zu berücksichtigen sind.

Diplompsychologin Nicole Granrath und Privatdozentin Dr. Renate Deinzer, beide Düsseldorf, beschäftigten sich mit der Wissensvermittlung als grundlegende Bedingung für ein adäquates Gesundheitsverhalten am Beispiel der Parodontalerkrankungen. Alle Interventionsmodi – schriftlich, mündlich standardisiert, mündlich individualisiert – der Aufklärungsarbeit verbesserten das gesundheitsrelevante Wissen signifikant, wobei die mündlichen Interventionen der schriftlichen überlegen sind, sich aber nicht voneinander unterscheiden. Der Mundhygieneindex verbesserte sich allerdings nur tendenziell.

Bei einem einwöchigen Post-Interventionsintervall zeigten sich bezüglich der Selbstwirksamkeitserwartung der Probanden deutliche Effekte in der Gruppe der mündlich-individualisierten Intervention.

Wie beeinflussen Einstellungen des Zahnarztes dessen Prophylaxeangebot? Dr. Thomas Schneller, Hannover, ging unter dieser Fragestellung dem Sachverhalt nach, ob, wie viele und welche präventiven Angebote ein Zahnarzt seinen Patienten darbietet. Der Referent unternahm dabei den Versuch, einige von der Gesundheitspsychologie entwickelte Modelle zur Erklärung heranzuziehen. Für die Theorie der Handlungsveranlassung konnte er aufzeigen, dass Intensionsbildung und Verhalten durch persönliche und normative Überzeugungen sowie persönliche Bedeutsamkeit beeinflusst werden. Die Theorie der Handlungsund Selbstwirksamkeit erweitert die Beeinflussung der Intensionsbildung und des Verhaltens um das Ausmaß der erlebten Kontrollierbarkeit und die eigene Kompetenzerwartung. Es hängt allerdings von der erlebten Compliance des Patienten ab, inwieweit der Zahnarzt künftig bereit sein wird, Prophylaxemaßnahmen anzubieten. Kompetenzen, die sich der Zahnarzt zutrauen muss, wenn er erfolgreich Prophylaxe anbieten will, sind unter anderem folgende:

• den Patienten als Partner anzuerkennen, ihn sachgerecht,

• aber nicht bloß auf seine Mundpflegedefizite und deren Folgen hinzuweisen,

• ihn zu motivieren und überzeugen zu können,

• ihn letztlich zu einer Einstellungs- und Verhaltensumstellung führen zu können.

Prophylaxe-Motivation muss altersgerecht sein

Erwünschtes oralpräventives Gesundheitsverhalten durch altersgerechte Motivation stand im Mittelpunkt des Vortrages von Privatdozentin Dr. Almut Makuch, Leipzig. Die Entwicklung solcher Verhaltensweisen muss so früh wie möglich in der Ontogenese beginnen. Das setzt die Akzeptanz und Bereitschaft junger Eltern voraus, Zahn- und Mundpflege ab dem ersten Milchzahn bei ihren Kindern durchzuführen und unter Nutzung sozialer Verstärker – Lob und Zuwendung – Gewöhnung und Aufbau kognitiver Strukturen zu erlangen.

Da das Fernziel „Zahngesundheit“ vor allem bei Kindern nicht verhaltensregulierend ist, muss die objektive Bedeutung der Normanforderung nach sauberen Zähnen zunächst extern verstärkt werden, bis sie durch positiv emotional bewertete Erfahrungen, wie im kindlichen Spiel, subjektiv bedeutsam wird. Dieser Forschungsansatz konnte mit evaluierten Spielprogrammen für Vorschulkinder bereits 1990 als relevant bestätigt werden.

Unter Nutzung der Entwicklung ästhetischer Werte und Zielvorstellungen im Jugendalter konnte festgestellt werden, dass „orale Ästhetik“ als „Mitgrundlage“ für ein Selbstwirksamwerden von eher geringer Bedeutung ist.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann resümiert werden, dass auch in der Zahnmedizin der gesundheitspsychologische Ansatz, der sich mit den Entstehungsbedingungen und der Prävention von gesundheitlichen Störungen und Risikofaktoren befasst, volle Berechtigung hat. Dies geschieht unter Einbeziehung verschiedener psychologischer Fachgebiete und unter Berücksichtigung protektiver Faktoren von Gesundheit.

PD Dr. med. Dipl. psych. Dr. Almuth MakuchZentrum für ZMKNürnberger Straße 5704103 Leipzig

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