Jahrestagung der AG für Funktionsdiagnostik und Therapie (AFDT) 2004

Der „Biss“ in Bytes

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Die Digitalisierung erobert zunehmend auch die Diagnostik cranio-mandibulärer Dysfunktionen. Mittlerweile haben verschiedene Verfahren einen solchen Reifegrad erreicht, dass sie in der Routinediagnostik und -therapie in der entsprechend ausgerichteten zahnärztlichen Praxis anwendbar sind. Das veranlasste die AFDT, „Instrumentelle, bildgebende und computergestützte Verfahren in der Funktionsdiagnostik und -therapie“ zum Generalthema der 37. Jahrestagung 2004 im Bad Homburg zu machen.

UK-Bewegung elektronisch und Computer gestützt

In einem Hauptvortrag berichtete Priv.- Doz. Dr. Alfons Hugger, Universität Düsseldorf, über instrumentelle Analyseverfahren in der Funktionsdiagnostik. Hier waren zuletzt Irritationen aufgekommen, weil einzelne Autoren in Bezug auf die Diagnostik und Therapie bereits chronifizierter Schmerzzustände den Wert instrumenteller Untersuchungverfahren pauschal in Frage gestellt hatten. PD Dr. Hugger legte daher einen Schwerpunkt in die Differenzierung der verschiedenen instrumentellen Untersuchungsverfahren, die zwingend erforderlich seien, damit nicht pauschalisierende Aussagen für die gesamte Gruppe jener Verfahren getroffen würden.  

Im Hinblick auf die elektronischen beziehungsweise computergestützten Verfahren zur Bewegungsaufzeichnung des Unterkiefers stellte der Referent die Grundprinzipien jener Techniken vor und erläuterte die nach aktuellem Stand gegebenen Möglichkeiten der Interpretation derartiger Aufzeichnungen (siehe Abbildung 1).

Im Hinblick auf mittlerweile vorliegende Studien konnte der Referent zeigen, dass die Sensitivität und Spezifität der elektronischen computergestützten Bewegungsaufzeichnungsverfahren heute den geforderten Größenordnungen entsprechen. So konnte beispielsweise Gidre Kobs aus der Greifswalder Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Georg Meyer in einem Projekt auf Basis der SHIP-Studie an 307 Probanden zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Achsiographie und MRT-Auswertung Sensitivitäten von 75 Prozent und 80 Prozent bei Spezifitäten von 88 Prozent und 90 Prozent erreichte. Die elektronische Achsiographie ist damit zwar nicht als Screening-Verfahren einsetzbar, wohl aber als hoch spezifisches Untersuchungsverfahren auf Basis der klinischen Funktionsanalyse (FA).  

Die mithin belegte Reliabilität jener Verfahren ermöglicht daher ihren Einsatz in der zahnärztlichen Praxis. Stand der Technik ist dabei, zwischen den verschiedenen Untersuchungsverfahren genau zu unterscheiden und je nach Ergebnis der klinischen Funktionsanalyse (sic!) individuell zu entscheiden, welche zusätzlichen instrumentellen Verfahren im Einzelfall indiziert sind.

EDV-gestützte bildgebende Diagnostik per MRT

Im Hauptvortrag zur computergestützten bildgebenden Diagnostik berichteten Prof. Dr. Thomas J. Vogel, Direktor für Diagnostische Radiologie an der Universität Frankfurt, sowie sein zahnärztlicher Kollege, Priv.-Doz. Dr. Peter Ottl, über die radiologischen und zahnärztlichen Aspekte der Magnetresonanztomographie bei CMD-Patienten. Die Referenten zeigten dabei die verschiedenen Untersuchungsverfahren und ihre Indikation auf. Anhand von Beispielen konnte Prof. Vogel dem Auditorium zeigen, worin die verschiedenen Aufnahmetechniken sich unterscheiden und worin die Aussagekraft der entsprechenden Darstellungsvarianten liegt. Der Hauptvorteil des MRT liegt dabei in der Möglichkeit, ohne die Einspritzung von Kontrastmitteln die Position des Discus articularis darzustellen. In der Praxis zu berücksichtigen ist dabei, dass die dreidimensionale Position des Diskus nur dann vollständig erfassbar ist, wenn Aufnahmen in verschiedenen Schichtebenen vorliegen, in der Regel in modifiziert frontaler sowie in parasagittaler Ausrichtung. Die Beurteilung der morphologischen Situation und insbesondere der Lagebeziehungen zwischen Kondylus, Diskus und Fossa lassen sich dabei am besten in der T1-gewichteten Aufnahme beurteilen. Andererseits ermöglicht eine Protonendichte- beziehungsweise eine T2-Wichtung mit Fettunterdrückung einen Nachweis entzündlicher Veränderungen als Ursache von Schmerzen. Zudem ermöglicht die magnetresonanztomographische Untersuchung einen Ausschluss raumfordernder Prozesse und erfüllt diese Aufgabe mindestens genauso gut wie traditionelles Röntgen.  

Virtual Reality mit CT-Daten

Eine völlig andere, ebenfalls sehr beeindruckende technische Möglichkeit stellte Dr. Friedrich Henk, Privatzahnarzt aus Wien, vor. Mittels eines aus der Filmindustrie bekannten 3D-Computerprogrammes und Computertomogrammen in Dateiform rekonstruierte er die Schädel seiner Patienten dreidimensional. Hierzu müssen Schädel- CTs im DICOM-Format auf Datenträgern (CD) vorliegen. Anschließend werden alle Schichtaufnahmen eines Patienten gleichzeitig in die 3D-Software „Maya“ (www.alias.com) eingelesen und dort wieder zu einem dreidimensionalen Ganzen zusammengefügt. Für Lehrzwecke lassen sich diese dreidimensionalen Objekte anschließend mit weiteren räumlichen Objekten, beispielsweise Gesichtsbögen und Artikulatoren, kombinieren. Dies setzt allerdings voraus, dass jene Objekte ebenfalls als dreidimensionale Datensätze vorliegen, etwa im AutoCAD®-Format. Der Autor zeigte verschiedene praktische Beispiele dieser Anwendung, darunter eine Simulation der Funktionsweise instrumenteller Aufzeichnungsverfahren sowie der späteren Wiedergabe der Unterkieferbewegung mittels Artikulatoren (Abbildung 2). Die Jury verlieh hierfür Dr. Henk den Tagungsbestpreis für den besten Vortrag eines nicht habilitierten Zahnarztes.

EDV-gestützte klinische FA und Therapieplanung

Neue Erkenntnisse brachte die Tagung auch im Hinblick auf die Funktionstherapie. Priv.-Doz. Dr. M. Oliver Ahlers, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, sowie Prof. Dr. Holger A. Jakstat, Universität Leipzig, stellten ein neues System zur Bewertung verschiedener Therapieverfahren in Abhängigkeit von den gestellten Initialdiagnosen vor. Das System erfasst die Bewertung der Eignung eines Therapieverfahrens durch verschiedene Experten schriftlich, bei Bedarf aber anonym. Die Übereinstimmung jener Bewertungen wird anschließend statistisch ausgewertet. Dieses System ermöglicht es künftig, auch die praktischen Erfahrungen niedergelassener Spezialisten in der Bewährung verschiedener Behandlungsmaßnahmen zu erfassen und mit den Ergebnissen klinischer Studien zu vergleichen. Dies schließt eine Lücke zwischen der Bewertung durch Expertenmeinungen und klinischen Studien. Für die zahnärztliche Praxis bringt das Verfahren die Perspektive, Übereinstimmungen in spezieller Software zur Dokumentation von Befunden und Diagnosen zu hinterlegen. Die Voraussetzung ist, dass die Diagnosen befundorientiert aus dem einem definierten Diagnoseschema ausgewählt werden. Eine erste Umsetzung wird diese Technik in Form des CMDfact „Therapie-Planers“ in Software zur Auswertung der klinischen Funktionsanalyse finden (www.dentaConcept.de).

Schienentherapie: Ober- oder Unterkiefer

Zur Bewährung verschiedener Formen der Okklusionsschienen stellte Dr. Wolf-Dieter Seeher, München, eine in seiner Praxis durchgeführte klinische Studie vor. Dabei konnte er zeigen, dass in einer größeren Anzahl von im Unterkiefer eingegliederten Schienen auch nach längerer Tragedauer keine Zunahme des Lockerungsgrades der antagonistischen Oberkieferzähne erfolgte. Das häufig vorgebrachte Argument, im Unterkiefer eingegliederte Aufbissschienen trügen das Risiko einer Antagonistenlockerung in sich, kann damit als widerlegt gelten.

Eine interessante Perspektive zur chirurgischen Therapie konnte darüber hinaus die Arbeitsgruppe W. Kaduk et al. aus der Universität Greifswald präsentieren. Die Untersucher konnten zeigen, dass die Idee einer arthroskopischen dorsalen Kiefergelenkplastik mit einem Wasserstrahlskalpell im Tierversuch realisierbar ist. Voraussetzung ist, dass der Operateur über Arthroskopie-Erfahrungen verfügt. Perspektivisch könnte diese Methode zur moderaten Straffung des dorsalen Kiefergelenkbandes eingesetzt werden. Damit es gar nicht so weit kommt, ist es ein Anliegen aller mit CMD befassten Zahnärzte, die Entstehung der Erkrankung möglichst gut zu verstehen – um sie nach Möglichkeit zu verhindern. Eine in jüngster Zeit häufiger gestellte Frage ist die, inwieweit auch Kinder und Jugendliche hiervon betroffen sind. Tanja Krizmanic et al., Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, konnten nun in einer Untersuchung an 507 Schulkindern im Alter von zehn bis 16 Jahren zeigen, dass fast 40 Prozent der Untersuchten Schmerzen im Bereich der Kiefergelenk- oder Kaumuskulatur angaben. Nach dem Helkimo-Index zeigten sogar 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen klinische Symptome von Dysfunktionen, wobei allerdings die Gewichtungen des Index eine Rolle spielen. Diskutiert wurde natürlich, worin die Ursachen dieser hohen Prävalenzwerte liegen.  

Bestens aufgenommen wurde auch im Rahmen der diesjährigen Tagung wieder das Praxis-Forum.

Priv.-Doz. Dr. M. Oliver AhlersSchriftführer der AFDTOberarzt, Poliklinik für Zahnerhaltung undPräventive ZahnheilkundeUniversitätsklinikum Hamburg-EppendorfMartinistraße 5220251 HamburgE-Mail:ahlers@uke.uni-hamburg.de

 

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