Leitartikel

Der Sozialstaat - offen für den Umbau

Sehr verehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,

eines ist jetzt schon gewiss: Der Deutsche Zahnärztetag 2005 hat mit seinen klaren standespolitischen Aussagen maßgebliche Botschaften in die Öffentlichkeit gesendet. Wir haben als Berufsstand unsere Positionen dargelegt und unsere Konzepte zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens deutlich gemacht. Und das bedeutet in diesen unsicheren Zeiten im Hinblick auf die Große Koalition eine ganze Menge. All das, was wir gefordert haben, wird das Maß sein, an dem wir die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen messen werden. Der zahnärztliche Berufsstand jedenfalls wird seinen Part dazu beitragen, dass das Erfolgsrezept Deutschland wiederbelebt werden könnte.

Es tut einem Berufsstand gut, wenn Redner hochkarätiger Provenienz, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jürgen Papier, bereit sind, sich am Deutschen Zahnärztetag an herausragender Stelle zu beteiligen. Der höchste deutsche Richter hat bei der Zentralveranstaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht Perspektiven für einen Umbau des Sozialstaats aufgezeigt, die zukunftsorientiert sind. Die Quintessenz: Das Grundgesetz steht einer Reform des deutschen Sozialwesens nicht im Wege.

„Das Grundgesetz steht einer Reform des deutschen Sozialwesens nicht im Wege.

Die mangelnde Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zeigt sich am unmittelbarsten in der permanenten Überlastung des Sozialstaats. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf: Ich denke, eine Neuorientierung setzt neue ordnungspolitische Rahmenbedingungen des gesundheitlichen Versorgungssystems voraus. Dazu ist es notwendig, sich wieder auf die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen und sich selbst ständiger Eingriffe in alle Lebenszusammenhänge enthalten, denn sonst wird jegliche Initiative im Keim erstickt. Das Subsidiaritätsprinzip darf nicht nur Lippenbekenntnis sein und allenfalls für die Abgrenzung von Zuständigkeiten in Europa bemüht werden. Ohne Privatinitiative wird sich auch der Sozialstaat nicht annähernd auf dem Niveau halten lassen, wie wir ihn uns vorstellen. Ludwig Erhard hat immer besonderen Wert darauf gelegt, dass nur der Fleiß und die Initiative der Bürger das erwirtschaften können, was der Staat umverteilen kann, um Not zu lindern und sozialer Verantwortung nachzukommen.

Das Sozialstaatsprinzip versteht sich aus verfassungsrechtlicher Sicht als Gestaltungsauftrag. Mit anderen Worten: Es handelt sich dabei nicht um ein gesetzlich vorgeschriebenes Modell, sondern es ist das Resultat politischer Ausgestaltung und Rechtsprechung. Es kann fortentwickelt, geändert, angepasst und auch grundsätzlich wieder zurückgebaut werden, wie Prof. Papier in Berlin dargelegt hat. Der Sozialstaat ist keine Vollversicherung und kann auch keinen Lebensplan bieten. Er kann zwar dem einzelnen diejenigen Risiken abnehmen, die er allein nicht tragen kann. Aber er muss auch seine Grenzen erkennen, denn Überregulierung ist kontraproduktiv und kann lähmend oder bevormundend wirken.

Prof. Papier hat sehr anschaulich dargestellt, dass sich Sozialstaatlichkeit und Eigenverantwortung sehr gut verbinden lassen, und zwar im Prinzip der Chancengleichheit auf freiheitlicher Grundlage. An diesem Punkt sind wir bei den drei Maximen, die sowohl bei der Weiterentwicklung des zahnärztlichen Berufsstandes wie auch bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens insgesamt eine herausragende Rolle spielen: Wettbewerb, Deregulierung und Subsidiarität. Die Delegierten auf der Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer haben dies sehr deutlich herausgearbeitet.

Diese drei Maximen legen aus Sicht der Zahnärzteschaft die Grundlagen fest, nach denen eine neue Systematik für den Umbau unseres Sozialstaates erfolgen sollte. Fest steht: Der Reformbedarf ist dringend, und die Zahnärzteschaft wird sich gestalterisch in den Reformprozess einbringen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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