Zahnpflege in der Behindertenbetreuung

Rein in den Lehrplan

„Die Mundgesundheit behinderter Menschen ist immer noch deutlich schlechter als die der übrigen Bevölkerung.“ – Das besorgte Fazit einer Zahnärztin, die sich seit Jahren für die Versorgung Behinderter einsetzt. Um das Problem in den Griff zu bekommen, forderte Gastreferentin Dr. Imke Kaschke auf der Jahresversammlung der Konrad Morgenroth-Fördergesellschaft (KMFG) in Münster vor allem eins: die Mundhygiene endlich in der Ausbildung der Pflegeberufe zu verankern.

Als behindert gelten Personen, die „infolge einer Schädigung ihrer körperlichen, seelischen oder geistigen Funktionen soweit beeinträchtigt sind, dass ihre unmittelbaren Lebensverrichtungen oder die Teilnahme am Leben der Gesellschaft erschwert werden“. Soweit die Definition der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde aus dem Jahr 2004. Die dazugehörige Zahl für Deutschland lautet 6,6 Millionen. So viele Menschen leben bundesweit mit einem Handicap. Jeder Dritte von ihnen kann sich aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Behinderung nicht optimal um die eigene Zahngesundheit kümmern.

„Multimorbide Menschen bedürfen einer ganz besonders intensiven Zuwendung“, erklärte Dr. Imke Kaschke, Spezialistin für zahnmedizinische Prophylaxe bei Menschen mit Behinderung. Aus ihrer Arbeit als Oberärztin im Zentrum für Zahnmedizin der Berliner Charité weiß sie, was das oberste Ziel auf diesem Behandlungsfeld sein muss: hoher Zahnerhalt durch Prophylaxe.

Vertrauen ist das A und O

„Früh übt sich, wer ein Meister werden will“ trifft auf die Zahnhygiene in der Behindertenbetreuung in besonderem Maße zu. Momentan liegt die Mundgesundheit nach Aussage der Berliner Wissenschaftlerin hier immer noch deutlich unter den erwarteten Standards. Vor allem die Kariesanfälligkeit sei deutlich höher. Das habe eine Studie der Charité mit erwachsenen Behinderten im Alter von 35 bis 44 Jahren bestätigt.

Um die Mundgesundheit dieser Hochrisikogruppe zu verbessern, müssten Pflegepersonal und Angehörige ihre Schützlinge daher schon in jungen Jahren an zahnmedizinische Untersuchungen und Geräte gewöhnen. „Ängste ab- und Vertrauen aufbauen ist das A und O“, war ein Schlagwort im Vortrag der Ärztin. Eine Schwierigkeit dabei sei das häufig wechselnde Personal: „An neue Betreuer müssen sich die Behinderten erst gewöhnen. Das kostet viel Zeit und Geduld.“

Der sich verstärkende Trend zu Wohngemeinschaften erschwere die Situation zusätzlich: „In einer WG wird weniger intensiv betreut. Auch die Gruppenprophylaxe ist unter diesen Umständen kaum noch möglich.“ Behindertenpädagogik und Zahnmedizin verfolgen laut Kaschke in diesem Punkt unterschiedliche Ziele: „Die Pädagogen wollen die größtmögliche Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Behinderten. Natürlich ist das sehr wichtig. Es stellt sich aber die Frage, ob die Zahngesundheit ohne Kontrolle garantiert werden kann.“

Füße ja, Zähne nein

Die optimale Versorgung behinderter Menschen erfordert eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Kaschke fordert daher vor allem eins von der Betreuung: „Zahnmedizinische Lerninhalte müssen endlich in den Ausbildungen der Pflegeberufe verankert werden. Momentan steht dort zwar die richtige Fußpflege auf dem Lehrplan, Mittel und Methoden der Mundhygiene aber nicht.“ Durch Fortbildungskurse allein lasse sich dieses Manko nicht dauerhaft beheben.

Die Zeit für Veränderungen drängt, war die einhellige Meinung in Münster. Denn in naher Zukunft wird sich aufgrund der Überalterung der Bevölkerung das Verständnis von Behinderung ändern müssen. Kaschke: „Die Zahl der Demenz- und zerebralen Erkrankungen wird immer stärker zunehmen. Und damit auch der Kreis der Behinderten.“ 

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