Arzneimittelkosten explodieren

Reformeffekt verpufft

In diesem Jahr werden die Ausgaben für Pillen voraussichtlich auf satte 25 Milliarden Euro klettern. Auf sinnvolle Steuerungsinstrumente konnten sich Ärzte, Kassen und Pharmafirmen bisher nicht einigen – stattdessen schieben sie sich gegenseitig die Schuld zu. Fakt ist: Der Effekt der Gesundheitsreform ist verpufft. Und: Wenn es nicht gelingt, die Kosten in den Griff zu bekommen, drohen den 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten 2006 höhere Beiträge.

Ärzte verschreiben zu teure Präparate und zücken zu schnell den Rezeptblock, Apotheker stellen den Kassen geschenkte Medikamente in Rechnung, diese wiederum bezahlen ihre Chefs wie Manager und die Pharma-Industrie pusht am laufenden Band neue Arzneien ohne neuen Nutzen auf den Markt. Die Liste der gegenseitigen Beschuldigungen ist lang, eine Lösung nicht in Sicht. Im Gegenteil: Ärzte und Kassen schafften es bislang nicht, sich auf Sparmaßnahmen für Medikamente zu verständigen, das Spitzentreffen Ende Juli scheiterte kläglich.

Dabei lassen die Zahlen aufhorchen: Auf insgesamt 11,1 Milliarden Euro beliefen sich die Ausgaben für Arzneimittel in der ersten Jahreshälfte. Das ist ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum, teilt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände mit. Wolfgang Schmeinck, Chef des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen, vermutet, dass die Kosten für Arzneien 2005 insgesamt um vier Milliarden Euro, also um 19 Prozent, steigen werden. Auch dürften die Klinikausgaben um 1,1 Milliarden Euro zulegen. Der Haushalt der Kassen sieht aber nur 1,2 Milliarden Euro an Mehrkosten für Medikamente vor. Nur ein Teil davon kann ausgeglichen werden: Rund 1,5 Milliarden Euro kommen aus der Tabaksteuer, eine Milliarde aus Kostensenkungen und 1,1 Milliarden Euro fließen aus Einsparungen beim Zahnersatz und Krankengeld in den Pillentopf. Eigentlich sollte die Gesundheitsreform die Arzneimittelkosten auf lange Sicht dämpfen. Doch die Atempause währte nur kurz. Konnte Ulla Schmidt die Ausgaben für Tabletten vergangenes Jahr gewaltig drücken, prophezeien die Kassen jetzt erneut einen immensen Ausgabensprung.

Gründe dafür sieht die GKV in den Mehrkosten durch echte Innovationen, dem Ende des Preismoratoriums und dem von 16 auf sechs Prozent gesenkten Herstellerrabatt an die Kassen. Eine Erhöhung des Zwangsrabatts lehnt das Gesundheitsministerium aber kategorisch ab: Im Gegenzug seien Höchstpreise vereinbart worden, die die Kassen für Medikamente zahlen. „Bevor man nach einer Rabatterhöhung schreit, sollte man das, was das Gesetz bietet, in den eigenen Reihen anwenden und nutzen“, kritisiert Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder.

Eine „Verweigerungshaltung“ halten GKV und Ministerium indes den Ärzten vor. Ulla Schmidt bescheinigte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit Blick auf die geplatzten Gespräche eine „Bankrotterklärung“ und stellte das ärztliche Selbstverwaltungssystem in Frage. Die Kassen kritisieren, dass die Mediziner von Januar bis Juni acht Prozent mehr verordnet hätten als im Vorjahreszeitraum – und damit ihr Versprechen brachen, den Pillenanstieg zu begrenzen. Zudem verschrieben die Ärzte oft neue, teure Mittel, die gegenüber älteren keinen Vorteil bieten. „Die Ärzte haben mit dem Rezeptblock den Schlüssel für die Arzneiausgaben in der Hand“, so Schmeinck.

„Die billigste Therapie ist nicht immer auch die wirtschaftlichste“, kontert KBV-Sprecher Roland Stahl. Schließlich verspreche nur eine optimale Therapie auch langfristige Heilung. „Bei einem billigen Arzneimittel erbricht der Patient zweimal am Tag, bei einem teurerem überhaupt nicht“, bestätigt Ärztechef Prof. Dr. Jörg- Dietrich Hoppe und verweist auf die Schmerztherapie bei Tumorkranken.

SPD-Experte Prof. Karl Lauterbach macht dagegen hauptsächlich die Pharmabranche für den Kostengau verantwortlich: Es sei nicht hinnehmbar, dass die Industrie die Vorteile der Gesundheitsreform auffresse.

Rabattdschungel lichten

„Der Rabattdschungel muss konsequent durchforstet werden“, fordert auch DAKChef Herbert Rebscher. Abhilfe brächten nur ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Medikamente und die Abschaffung der Naturalrabatte. Denn für jede verkaufte Pillenpackung würden den Apothekern üblicherweise bis zu drei Packungen geschenkt, die dann der GKV in Rechnung gestellt werden. Den Vorwurf wiesen die Apotheker zurück: Von den rund 450 Millionen Euro Rabatten machten die Naturalrabatte nur vier Prozent aus.

In dem Gezänk werden selbst Lösungsansätze sofort wieder verworfen: Die Ärzte wollten mit einem Arzneimittel-Beratungsdienst und dem Ausbau des Netzportals „Arzneimittel“ die Ausgaben steuern. Sie plädieren für ein Bonussystem – die Kassen halten hingegen an einem Bonus-Malus- System fest, mit dem sparsames Verordnen belohnt und Kostentreiberei bestraft wird. Im Gegenzug hätten die Kassen eine Ausgabensteigerung von zwei Milliarden statt der vereinbarten 1,2 Milliarden Euro akzeptiert.

Das Schwarzer-Peter-Spiel geht also munter weiter. Nur eins steht fest: Laufen die Kosten weiter aus dem Ruder, ist die DAK nicht die einzige Kasse, die 2006 mit einer „Welle von Beitragserhöhungen“ rechnet.

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