Gastkommentar

Kasse macht sinnlich

Nach dem gelungenen Coup von Bund und Ländern, sich Maßnahmen der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Prävention von den Sozialversicherungsträgern bezahlen zu lassen, will der Bund dort erneut zulangen.

Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer Fachjournalist in Berlin

Es ist halt immer so eine Sache, mit den „gesamtgesellschaftlichen Aufgaben“. Ihre Finanzierung sollte eigentlich – wie es der Begriff schon nahelegt – auch gesamtgesellschaftlich erfolgen, mithin aus dem Steueraufkommen. So war es nichts weniger als konsequent, dass Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wegen der Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Schwangerschafts- und Mutterschaftsleistungen bei ihrem Kabinettskollegen Eichel vorstellig wurde – und sogar mit Erfolg. Nur mit der Gegenfinanzierung, bekanntlich aus einer deutlich erhöhten Tabaksteuer, klappt es noch nicht richtig. Aber das ist ja jetzt das Problem des Finanzministers.

Eigentlich kann so viel richtig verstandene Ordnungspolitik bei der derzeitigen Bundesregierung nur verwundern, und in der Tat: Noch während Koalition und Union bei den Verhandlungen zum GKV-Modernisierungsgesetz den Deal mit der Tabaksteuer beschlossen, liebäugelte man bereits mit dem nächsten Sündenfall. Mit der allseitig so positiv besetzten Prävention nahm man sich die nächste gesamtgesellschaftliche Aufgabe vor, die durch die Beitragsmittel der Sozialversicherten finanziert werden soll. Alleine die GKV soll nach dem Willen von Bund und Ländern, der in den jüngst präsentierten Gesetzentwurf für ein Präventionsgesetz eingeflossen ist, 180 Millionen Euro für das hehre Ziel Prävention zur Verfügung stellen. Der Widerstand der Sozialversicherungsträger, federführend durch die GKV und dort durch den IKK-Bundesverband organisiert, war allenfalls hinhaltend. Gerade angesichts der gut anderthalb Jahre, die von den ersten Überlegungen für ein Präventionsgesetz bis zur Präsentation des Kabinettsentwurfs vergangen sind, hätte die GKV längst eine eigene Lösung für die Prävention realisieren können, etwa in der Form einer eigenen Stiftung ohne nennenswerten staatlichen Einfluss. Dem Vernehmen nach scheiterte diese Lösung auch an Querelen innerhalb der GKV-Spitzenverbände. Ganz offensichtlich wollten deren Verantwortliche der Ministerin ihr letztes großes Prestigeprojekt dieser Legislaturperiode nicht verderben. Ob der Transfer von Beitragsmitteln für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe Prävention allerdings auch verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt, dürfte im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch hinreichend diskutiert – und im Anschluss daran sicherlich auch gerichtlich überprüft werden.

Angesichts ihres Einknickens bei der Finanzierung der Prävention sollten die Spitzenverbände jetzt auch nicht jammern, wenn der Bund erneut ungeniert in ihre Kassen greift. Und dies hat er offensichtlich umgehend und unverhohlen vor. Nach Maßgabe des „Entwurfes eines Gesetzes zur Organisationsstruktur der Telematik im Gesundheitswesen“, das Ende Februar in 1. Lesung im Bundestag beraten wurde, sollen Forschungs- und Entwicklungsaufträge zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, die das BMGS bereits vergeben hatte, im Nachhinein durch Beitragsmittel der Versicherten bezahlt werden. Und auch die Finanzierung weiterer Forschungs- und Entwicklungsaufträge soll zukünftig durch die jüngst gegründete Betreibergesellschaft „gematik“ sichergestellt werden. „Problematisch“ bis „völlig inakzeptabel“ nennen dies die in dieser Angelegenheit federführenden Ersatzkassenverbände. Aber trifft dies nicht im Falle der system- und sachwidrigen Finanzierung von Präventionsaufgaben fraglos auch zu?

Kasse macht eben sinnlich. Man darf gespannt sein, welche gesamtgesellschaftlich wichtigen und wertvollen Aufgaben dem Bund demnächst noch einfallen, die er sich durch die Beitragszahler der Sozialversicherungen finanzieren lassen möchte.  

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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