US-Wissenschaftler fälschen Studien

Schwarze Schafe im Forscherstall

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Eine neue US-Studie zum Thema Ehrlichkeit in der Forschung sorgt für Aufsehen: Bei einer Umfrage gaben zwei Drittel der Wissenschaftler zu, während ihrer Karriere schon einmal Ergebnisse gefälscht, manipuliert oder kopiert zu haben. Solche Aussagen stimmen nachdenklich. Denn mit dem Vertrauen in die Integrität des Forschers steht und fällt das Ansehen der Wissenschaft.

„Wissenschaftler, die sich schlecht benehmen“ – der Titel, unter dem die US-Studie im britischen Fachmagazin „Nature“ erschien (Nature, Bd. 435, S. 737, 06/2005), nimmt einiges vorweg. Was genau schlechtes Benehmen ausmacht, hatte die Forschergruppe um den Bioethiker Raymond de Vries von der Universität Minnesota zuvor in 16 Fragen formuliert. Diese waren unterteilt in zehn schwere Verstöße und sechs, denen mangelnde Sorgfalt zu Grunde lag. Insgesamt 7 760 anonyme Fragebögen wurden an vom amerikanischen National Institute of Health geförderte Mediziner und Naturwissenschaftler verschickt, die jeweils am Anfang oder in der Mitte ihrer Karriere stehen. Zurück kamen 3 247 verwertbare Antworten. Die Ergebnisse sind alarmierend (siehe Tabelle): Über 15 Prozent der Forscher gaben zu, schon einmal auf Druck ihrer Geldgeber Studien gefälscht zu haben. Sechs Prozent hatten widersprüchliche Daten zu den eigenen Resultaten verschwiegen. Etwa zwölf Prozent gestanden, über fehlerhafte oder fragwürdige Datenauslegungen von Kollegen hinweggesehen zu haben. Plagiate und Fälschungen wurden von 1,4 beziehungsweise 0,3 Prozent der Befragten gebeichtet. Es war das erste Mal, dass US-Wissenschaftler in einer repräsentativen Untersuchung Auskunft über ihr Verhalten im Labor gaben.

Für den Wissenschaftsbetrieb in Deutschland liegt keine vergleichbare Untersuchung vor. Christoph Schneider von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) glaubt aber nicht, dass die Situation hier fundamental anders ist. Für die Integrität der Forschung besteht seiner Ansicht nach jedoch keine ernsthafte Gefahr. Dafür sorgen die Selbstkontrollmechanismen innerhalb der Scientific Community: „Schwarze Schafe gibt es. In der Community sind sie aber bekannt. Man weiß, wer sich kaufen lässt.“ Darüber hinaus sieht Dr. Wolfgang Micheelis vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) die Angst, beim Manipulieren aufzufliegen, als Garanten für zuverlässige Arbeit: „Wissenschaft ist der Wahrheit verpflichtet. Forscher, die sie beugen, müssen mit Sanktionen rechnen. Wer beim Fälschen erwischt wird, ist beruflich tot.“

Trotzdem: Angesichts der Zahlen aus den USA stellt sich die Frage, was Forscher zum Verbiegen der Wahrheit veranlasst. Die Initiatoren der amerikanischen Studie nehmen die Ergebnisse zum Anlass, über grundsätzliche Probleme im wissenschaftlichen Betrieb nachzudenken. „Forscher sind heutzutage einem intensiven Konkurrenzkampf ausgesetzt. Hinzu kommen Belastungen durch manchmal unzumutbare bürokratische, soziale und wirtschaftliche Pflichten. Dieses Zusammenspiel von Zwängen schafft viele Gefahren für die wissenschaftliche Integrität“, schreiben sie in „Nature“. Ihr Fazit: Wie es um die Integrität in der Forschung bestellt ist, lässt sich nur herausfinden, wenn man auch das weitere Umfeld betrachtet. Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem zwei Fragen. Erstens: Unter welchem Leistungsdruck stehen Forscher? Und zweitens: Welche Rolle spielen die Geldgeber?

Die Ökonomisierung der Wissenschaft

Publish or perish! – Veröffentliche oder stirb, lautet eine Redensart in der Wissenschaft. Das bedeutet im Klartext: Wer keine Artikel in Fachmagazinen vorweisen kann, hat es schwer, Karriere zu machen. Häufig ist eine lange Publikationsliste Einstellungsvoraussetzung. Raum für Veröffentlichungen gibt es zur Genüge: Weltweit stehen für die täglich 20 000 neuen Arbeiten 60 000 naturwissenschaftliche und medizinische Fachmagazine zur Verfügung. Um in dieser Publikationsflut den Überblick zu behalten, wurde der so genannte Impactfaktor eingeführt (siehe Kasten). Angesehene Zeitschriften wie etwa „Nature“ oder „Science“ verfügen über hohe Impactfaktoren. Arbeiten, die hier veröffentlicht werden, haben mehr Prestige – und verschaffen ihren Autoren bessere Chancen im Wettbewerb um finanzielle Mittel. Kleinere Fächer, über die weniger häufig in großen Magazinen zu lesen ist, haben es schwer, sich durchzusetzen.

Im Konkurrenzkampf der Wissenschaftler zählen neben erfolgreichen Publikationen noch andere Faktoren: Zum Beispiel, wie viele Drittmittel akquiriert werden können. Besonders gute Aussichten auf Gelder haben Fächer, die sich auf wirtschaftlich viel versprechenden Feldern bemühen. Von einer „Ökonomisierung der Wissenschaft“ spricht in diesem Zusammenhang Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle von der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde in Heidelberg: „Der Zugang zu Drittmitteln variiert von Fachkategorie zu Fachkategorie, wobei nicht nur industrielle, sondern auch öffentliche Gelder vermehrt dazu angehalten werden, die ökonomische Verwertbarkeit eines Projekts bei der Mittelvergabe zu berücksichtigen“, schreibt Staehle in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitung vom Mai 2005. Er weist darauf hin, dass vergleichsweise kleine Fächer, wie die Zahnmedizin, seit Jahren gravierende Wettbewerbsnachteile hinnehmen müssen. Fachdisziplinen und Projekte, die eine Wertschöpfung im streng finanziellen Sinne des Wortes liefern könnten, seien klar im Vorteil. „Hohe Evidenz wird selektiv produziert und zwar dort, wo sie sich ökonomisch am meisten lohnt“, so Staehle.

Gelder von der Industrie: Gefahr und Segen

Forschung braucht Geld. Die Konkurrenz um die knapper werdenden Ressourcen ist groß. Welche Auswirkungen hat das auf die Integrität der Wissenschaftler? Die US-Studie zeigt, dass sich ein nicht unerheblicher Anteil der Forscher schon einmal dem Druck der Geldgeber gebeugt hat. In Deutschland kommen Finanzspritzen zu einem großen Teil aus der freien Wirtschaft. Laut aktuellen Zahlen aus dem Bildungsministerium gibt die Wirtschaft für die Bereiche Forschung und Entwicklung rund 36 Milliarden Euro pro Jahr aus. Das sind zwei Drittel der Gesamtausgaben. Ohne das Engagement der Unternehmen wäre es um den Wissenschaftsstandort Deutschland schlecht bestellt. Birgt das unkontrollierbare Gefahren? „Grundsätzlich ist gegen industrielle Förderung, wie etwa durch die Pharmaindustrie, nichts einzuwenden“, meint Wolfgang Micheelis vom IDZ. „Man muss allerdings auf eine genaue Dokumentation achten und alle Zahlen offenlegen. Und wenn die Ergebnisse genau auf die Bedürfnisse des Auftragsunternehmens passen, sollte man natürlich aufmerksam werden.“

Ethische Standards umsetzen

Wie beugt man also kleinen und großen Betrugsfällen in der Wissenschaft vor? Wie können Wissenschaftler im Konkurrenzkampf um Gelder und Anerkennung ihre Integrität wahren? Das sind nur zwei Fragen, mit denen sich in Deutschland vor allem die DFG beschäftigt. Um Universitäten und Instituten einen Leitfaden für gute wissenschaftliche Praxis an die Hand zu geben, veröffentlichte die Gemeinschaft 1998 ihre „Empfehlungen zur Selbstkontrolle der Wissenschaft“. Darin legt die DFG den Universitäten insbesondere nahe, einen Ombudsmann einzurichten, der in Konfliktsituationen als vertraulicher Vermittler und Ansprechpartner bei Betrugsverdacht dienen soll. Noch wird dieser Vorschlag nicht genügend umgesetzt. „An den Universitäten und Forschungsinstituten muss mehr für die Qualitätssicherung getan werden“, fordert Christoph Schneider von der DFG. „Regelverstöße müssen vor Ort konsequenter geahndet werden.“ Entscheidend ist für ihn außerdem, den wissenschaftlichen Nachwuchs frühzeitig an ethische Standards heranzuführen. „Nur indem man jungen Forschern ein gutes Vorbild ist, lernen sie rechtzeitig, das Richtige zu tun.“ 

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