Gutachten der Gesundheitsweisen in der Diskussion

Selbstverwaltung und mehr Wettbewerb

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Alle zwei Jahre wird es mit Spannung erwartet: das Gutachten des Sachverständigenrates zur Entwicklung im Gesundheitswesen. Um „Koordination und Qualität“ geht es im aktuellen Werk, das Ende Mai vorgestellt wurde. Eine Diskussionsveranstaltung des Bundesverbandes Managed Care (BMC), in dem sich reformorientierte Kräfte aus allen Gesundheitsberufen zusammengeschlossen haben, bot am 10. Juni in Berlin einen Überblick über das 760 Seiten starke Opus

Vor Ärzten, Apothekern, Vertretern von Kassen und der pharmazeutischen Industrie erläutern der Wirtschaftsprofessor Dr. Eberhard Wille als Vorsitzender des Sachverständigenrats und die Medizinerin Prof. Dr. Gisela Charlotte Fischer, Mitglied im Sachverständigenrat, die Fleißarbeit des Gremiums. Zentrales Leitmotiv des Gutachtens, so Fischer, sei die Empfehlung für mehr Wettbewerb, ergänzende dezentrale Strukturen und „bottom-up-Strategien“. Auf diese Weise sollen Qualität und Koordination im Gesundheitswesen kostenneutral verbessert werden. So empfehlen die Experten in ihrer Analyse der Strukturen im deutschen Gesundheitswesen, den korporativ-staatlichen Rahmen und damit die Selbstverwaltung zu belassen, darunter aber mehr Raum für Wettbewerb zu schaffen. „Das könnte dann so aussehen, dass eine Kasse ihren Versicherten anbietet, die gesetzlich vorgeschriebene zweijährige Garantie auf Zahnersatzleistungen auf fünf Jahre aufzustocken. Zahnärzte, die diesem Selektivvertrag beitreten wollen, erhalten für ihre verbesserte Leistung eine entsprechende Sonderpauschale“, erklärt Wille. Von derartigen Selektivverträgen hätten also sowohl Ärzte als auch Patienten und Kassen Vorteile.

In Richtung selektive Vertragsgestaltung gehen auch die Modelle zur integrierten Versorgung, bei denen Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern, beispielsweise Herzinfarkt, einem Vertrag beitreten können, den ihre Kasse mit Ärzten, Kliniken und Reha-Einrichtungen geschlossen hat. „Allerdings ist die Integrierte Versorgung noch ein zartes Pflänzchen mit einem Marktanteil von einem Prozent an der gesamten medizinischen Versorgungsleistung“, rechnet Wille vor. „Erst wenn etwa fünf Prozent der Leistungen über Integrierte Modelle abgewickelt werden, ist ein Effekt auf die medizinische Versorgung insgesamt zu erwarten.“ Bei der Versorgung mit Arzneimitteln stellen die Gesundheitsweisen weitere Einsparpotenziale fest. Durch direkte Verhandlungen mit der pharmazeutischen Industrie könnten die Kassen vom Spielraum der Hersteller bei der Preisgestaltung profitieren und diesen an die Versicherten weitergeben.

„In der normalen Versorgung ist ein solcher Selektivvertrag derzeit nicht möglich“, sagt Professor Wille. „Bei der Integrierten Versorgung dagegen haben die Kassen diese Chance.“ Vor diesem Hintergrund erwartet der Sachverständigenrat auch im Bereich der Arzneimittelversorgung wichtige Impulse von den integrierten Modellen.

Eine Qualitätsverbesserung in der Arzneimittelversorgung könne auch von den Ärzten ausgehen. So plädiert Fischer dafür, die mangelnde Disziplin vieler Patienten bei der Einnahme ihrer verordneten Medikamente in den ärztlichen Verantwortungsbereich zu überstellen. „Der Arzt trifft nicht nur die fachgerechte Verordnung, sondern dehnt seine Pflicht auch auf die Compliance des Patienten aus.“ Unterfüttert werden soll diese Ausdehnung des ärztlichen Auftrages durch finanzielle Anreize für eine aktive Arzt-Patient-Kommunikation, eine gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient für ein Medikament und letztlich vor allem durch ein verändertes Selbstverständnis der Ärzte.

Setting-Ansatz

Auch bei der Primärprävention empfehlen die Sachverständigen eine dezentrale Ausrichtung. Nach dem so genannten Setting-Ansatz sollen Zielgruppen in ihren jeweiligen Lebenswelten angesprochen werden. Durch niederschwellige Angebote sollen die Angesprochenen am Arbeitsplatz, in der Schule oder gemeinsam mit ihren Nachbarn in benachteiligten Wohngebieten gesundheitsförderndes Verhalten trainieren.

Die Pflegeversicherung dagegen, da sind sich die Experten sicher, wird auf lange Sicht reformiert werden müssen. „Steigen die Ausgaben der Pflegekassen weiterhin an wie bisher, dann reicht die Pflegeversicherung bald nicht mehr aus. Als Konsequenz werden immer mehr Menschen in die Sozialhilfe abdriften“, folgert Wille. Deshalb sollen Pflegekassen – ähnlich wie die Krankenversicherung – die Möglichkeit haben, wettbewerbsorientiert Verträge mit Leistungserbringern, also Heimen oder ambulanten Diensten, aushandeln zu können. „Zurzeit haben die Pflegekassen daran überhaupt kein Interesse“, erläutert Wille. Konsequent sei letztlich das Zusammenführen von Kranken- und Pflegeversicherung. Denn die Koordination zwischen den beiden Sparten, beispielsweise in der Versorgung Demenzkranker oder Sterbender, sei mangelhaft.

Die Integration der beiden Versicherungen sei unrealistisch, nimmt Franz Knieps, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Stellung. Insgesamt sei das Gutachten eine sehr gute Bestandsaufnahme, die sicher nachdenklich macht. „Der Einfluss auf die Politik wird jedoch relativ gering sein.“

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