Gastkommentar

Keine Ruhe im Karton

Mehr als 40 Verbände haben am 4. Dezember einen „bundesweiten Aktionstag“ gegen die Gesundheitsreform durchgeführt. Mittlerweile stellt sich verschärft die Frage nach dem tieferen Sinn solcher Aktionen, meint
Hartwig Broll
Gesundheitspolitischer Fachjournalist in Berlin

Wäre dieser Aktionstag der erste „Aufstand der Szene“ gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung im Allgemeinen und nunmehr den Entwurf des GKV-WSG gewesen, die Mehrzahl der Beobachter aus Politik und Öffentlichkeit hätte ihn sicherlich als eine machtvolle Demonstration des Widerstandes gegen die aktuellen Reformpläne der Bundesregierung gewertet. Allerdings steht diese jüngste Aktion in einer – rückblickend gesehen beinahe fatalen – Kontinuität ähnlicher und teilweise sogar eindrucksvollerer Veranstaltungen seit Beginn des Jahres, die dem Aktionstag eher den Charakter eines sinnentleerten, ja beinahe schon hilflosen Rituals verlieh. Schon der „nationale Protestag“ im September, der dritte seiner Art innerhalb von wenigen Monaten, von denen die ersten noch mit äußerst diffusen Zielen durchgeführt wurden, zeigte durch deutlich nachlassende Teilnahmebereitschaft, dass dieses Instrument ganz offensichtlich an seine Grenzen gestoßen ist – und dies schon seinerzeit ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die Gesetzgebung zu den doch weitgehend verfehlten Eckpunkten der bevorstehenden Gesundheitsreform überhaupt erst in ihre heiße Phase getreten war.

Nach den Ausführungen des Präsidenten der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe, vor der Berliner Presse geht es ihm mit derartigen Aktionen - zu denen etwa Plakataktionen wie die von KBV und DKG, aber eben auch der „Sonderärztetag“ Ende Oktober zu rechnen sind - vor allem darum, den einzelnen Abgeordneten zu beeindrucken. Jeder Koalitionsparlamentarier solle bei der entscheidenden Abstimmung wissen, was er da tue. Und nach Hoppes Einschätzung wissen dies noch viel zu wenige der Abgeordneten.

So ehrenwert dieses Ziel auch sein mag, was nützt es gegen die Fraktionsdisziplin, die von den Spitzen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen gegenüber den in der Tat ab und an verschreckt wirkenden Abgeordneten mit eiserner Konsequenz durchgesetzt wird? So lange die maßgeblichen Vertreter der Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens Angela Merkel, Franz Müntefering, Volker Kauder oder Peter Struck nicht verunsichern können, dürfte jede auf den einzelnen Abgeordneten zielende Aktion nur ausgesprochen wenig Sinn haben.

Um wie viel zielführender erscheinen da doch jene unentwegten Bemühungen der Lobbyisten und Interessenvertreter auf der Ebene der Landesregierungen, die über die Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Reformgesetzes sehr viel mehr Bewegung in die erstarrten Fronten gebracht hatten, als dies jede noch so eindrucksvolle Großdemonstration in der gegenwärtigen Situation wohl vermocht hätte? Ob sich dieser Weg, an dem mühsam ausgeheckten Kompromiss noch deutliche Verbesserungen erreichen zu können, als sehr viel erfolgreicher erweisen wird, dürfte wohl erst der weitere Gesetzgebungsprozess zeigen. Und zwischen dem erforderlichen Interessenausgleich zwischen Bundesregierung und Bundesländern erscheint der einzelne Abgeordnete, auf den die Aktionen doch zielen sollen, schon fast so hilflos wie diese selbst.

Nach der jetzigen Gefechtslage wird sich das Reformgesetz letztlich nicht mehr verhindern lassen. Auch die Länder werden höchstens noch kosmetische Korrekturen durchsetzen können – zu groß wäre bei substantiellen Änderungen der Gesichtsverlust für die Kanzlerin und ihre sozialdemokratischen Mitstreiter. Und so ist der Einschätzung des Marburger-Bund-Vorsitzenden Frank-Ulrich Montgomery wohl beizupflichten, dass es noch in dieser Legislatur weitere Gesetze zum Nachbessern der Reform geben wird. „Ruhe im Karton“ wird es wohl auch nach dem 1. April 2007 nicht geben.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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