Editorial

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Liebe Leserinnen und Leser,

Titelthema dieser zm-Ausgabe ist die „Karikatur“. Nicht die politische – sie wurde im Rahmen der aktuell geführten kulturell-gesellschaftlichreligiösen Auseinandersetzung in fast allen Varianten abgehandelt. Die zm befassen sich mit der speziellen Sparte dieser in Bildern umgesetzten Form von Satire, die das Feld der Zahnheilkunde über die Jahrhunderte hinweg berührte, mit der sich erst Bader und Schausteller, später Dentisten, dann Zahnmediziner auseinander setzen mussten.

Trotzdem ist die historische Karikatur in der Zahnmedizin ein auch unter aktuellen Aspekten erhellendes Kapitel abendländischer Kulturgeschichte. Sie ist ein exzellentes Muster psychologischer Projektion, ein hervorragendes Beispiel der Schaffung von Zerrbildern zur Auseinandersetzung, Verdrängung und Kompensation von Angst.

Durch die Jahrhunderte galten diejenigen, die eigentlich nur Hilfe in der Not leisteten, als brachiale Zeitgenossen, die Schmerz zufügten – und dafür auch noch den Geldbeutel ihrer Patienten schröpften. Ungerecht? Die Karikatur war letztlich nichts anderes als eine unbewusste Kanalisierung der Angst vor körperlichem Schmerz. Gerecht ging es dabei, wie immer im Feld der mit spitzer Feder erstellten Satire, auch für die Heilkundler nicht zu.

Aber was für den Patienten letztlich nichts anderes als ein Hilfeschrei, eine Art Therapeutikum zum Umgang mit Schmerz war, barg auch für die andere Seite, den Zahnheilkundler, eine Chance: Nämlich die, diese Angst zu verstehen, sie ernst zu nehmen und mit ihr bewusst umzugehen. Bei rechtem Licht betrachtet bot die Karikatur die Möglichkeit, das Beklagte zu begreifen, es aktiv aufzunehmen und die möglichen Schritte zur Bewältigung aktiv anzugehen. So begriffen ist – zumindest im Feld der Zahnmedizin – das Überspitzte, Karikierende eine Möglichkeit, Ängste zu erkennen, sie allen Beteiligten bewusst zu machen und nach Lösungsansätzen zu suchen.

In der Zahnmedizin hat man solche Wege gefunden. Das Mittel der Karikatur als Ventil gegen die Angst wurde mit zunehmendem zahnmedizinischem Fortschritt entbehrlich. Das Motiv des „Zähne ziehens“ blieb, allerdings als Symbol politischen Machtgebahrens.

Das Beispiel Zahnmedizin zeigt auf, dass Karikatur, im kulturell richtig verstandenen Sinne, mehr ist als Polemik, Herabsetzung oder Beleidigung. Sicherlich leiden, wenn wir uns Tucholsky vergegenwärtigen, oft „die Gerechten mit den Ungerechten“. Aber Helmut Qualtinger hat, ganz im Sinne Tucholskys, gerade die andere Variante betont: „Satire ist die Kunst, einem anderen so auf den Fuß zu treten, dass er es merkt, aber nicht aufschreit.“

MIt freundlichem Gruß

Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur

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