Gastkommentar

Kalter Krieg um die Gesundheit

Die Prognose, ein Streit um das Gesundheitswesen könnte zur Sollbruchstelle der Koalition werden, gewinnt an Aktualität. Eine Gesundheitsreform ohne massive Einwirkung des Kanzleramts wird es schon deshalb kaum geben. Thomas Grünert
Chefredakteur Vincentz Network Berlin

Gesundheitspolitik im Frühjahr 2006 ist wie das Warten auf Godot. Und der soll in diesen Tagen kommen – in Form eines Eckpunkte-Papiers. Allein dass dieses trotz bester Vernetzung bis Redaktionsschluss noch nicht durchsickerte, ist ein Indiz dafür, wie Gesundheitspolitik in Berlin zur Zeit aussieht. Es wird gemauert, in Hinterzimmern geplant, hier und da steigt – vor allem aus dem Gesundheitsministerium – ein Testballon auf.

Das kann dann durchaus schon mal so weit gehen, dass die Ministerin in Koalitionskreisen persönlich dafür verantwortlich gemacht wird, die Bevölkerung mit dem über Sonntagszeitungen transportierten Vorschlag einer kleinen Kopfprämie massiv zu verunsichern. Für die Bundeskanzlerin ist offensichtlich „Schluss mit lustig“. Ulla Schmidt wurde ins Kanzleramt zitiert. Ein Zeichen dafür, dass die umstrittenste aller Reformen nun doch zur Chefsache wird? Vieles deutet darauf hin, dass Angela Merkel die Neugestaltung des deutschen Gesundheitswesens zu ihrem persönlichen Thema machen könnte.

In Sachen Gesundheitsreform droht ein „kalter Krieg“. Die Prognose, ein Streit um das Gesundheitswesen könnte zur Sollbruchstelle der Großen Koalition werden, gewinnt zunehmend an Aktualität. Egal also, was in diesen Tagen aus den geheimen Strategiekreisen des Gesundheitsministeriums an die Öffentlichkeit gebracht wird – eine Gesundheitsreform ohne massive Einwirkung des Kanzleramts wird es wohl kaum geben.

Noch liegen die Fronten allerdings im Nebel. Beispiel der vor wenigen Wochen veröffentlichte Entwurf zum Vertragsarztrecht, von dem viele Unionspolitiker erst durch Verbände und Presse erfuhren. CDU und CSU wollen dieses Thema lieber in ein Gesamtpaket Gesundheitsreform einbauen, während die SPD auf ein Gesetz drängt, dass schon zum 1. Oktober gelten soll.

Im Gegensatz zum SPDgeführten Gesundheitsministerium wird den meisten Gesundheitspolitikern im Bundestag die Brisanz dieses Themas offenbar erst jetzt richtig bewusst, nachdem massive Ärzteproteste für ein noch nie da gewesenes Stimmungsbild in der Bevölkerung zu Gunsten der Mediziner sorgten. Der Frontverlauf ist dennoch alles andere als klar. Das gilt offenbar auch in Sachen ärztliche Vergütung. Während das Ministerium seinen Vorstoß zugunsten einer Beihilfeabsenkung und Behandlungspflicht aufgrund des enormen negativen Echos und möglicherweise auch klarer Sicht auf verfassungsrechtliche Bedenken kaum noch vertritt, werkelt man in der CDU/CSU-Fraktion offenbar noch immer an dieser Idee. Viele Abgeordnete sind sich – das wird in Gesprächen dieser Tage allzu deutlich – nicht immer klar, wo die eigenen Reihen eigentlich stehen. Auch das ist zweifelsohne eine Auswirkung des Geheimkommandos Gesundheitsreform.

Indessen firmieren sich in der Gesundheitspolitik Allianzen, die es bisher so nicht gegeben hat. Nicht nur dort, wo in den letzten Wochen Landtagswahlkämpfe stattfanden, stellten sich Landespolitiker schon mal auf die Seite der Leistungserbringer im Gesundheitswesen und gegen vermeintliche Strategien der eigenen Partei auf Bundesebene. Rufe werden laut, die gesundheitspolitische Kompetenz der Länder bei der anstehenden Förderalismus-Reform deutlicher zu unterstreichen. Der oben zitierte „kalte Krieg“ könnte also nicht nur zu einem Parteiengezänk in der Großen Koalition werden, sondern durchaus handfeste Grundsatzfragen auf Bund-Länder-Ebene auslösen. Einen Vorgeschmack gab es für die Regierung bereits, als die Länder im Bundesrat völlig unerwartet das Arzneimittel-Wirtschaftlichkeitsgesetz kippten, immerhin das erste gemeinsame Gesetzesvorhaben der Großen Koalition.

Zwar ist kaum zu erwarten, dass aus den Ländern entscheidende Impulse für eine grundsätzliche Änderung der Finanzierungsgrundlagen des Gesundheitssystems kommen. Sicher aber scheint, dass die Länder mehr als bisher bremsen werden, wenn gesundheitspolitische Regelungen zu Lasten von Leistungserbringern gehen. Erst recht, wenn diese Regelungen in der Konsequenz die flächendeckende Versorgung gefährden könnten. Interessant ist hier auch zu beobachten, dass sich außerparlamentarisch inzwischen „Arbeitskreise“ verschiedenster Akteure aus dem Gesundheitswesen formieren, die ihre Kompetenzen bündeln und mit eigenen Lösungsvorschlägen der Politik Impulse geben wollen. Man darf sich also in den nächsten Monaten auf spannende Diskussionen einlassen, die nicht nur von den Politikern angeheizt werden.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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