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Keine Wurzelkanalbehandlung ohne Kofferdam

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Anfang Februar hat ein Ende letzten Jahres neu gegründeter „Berufsverband der Allgemeinzahnärzte“ (BVAZ) eine Stellungnahme veröffentlicht, der zufolge das Anlegen von Kofferdam nicht bei jeder Sitzung einer Wurzelkanalbehandlung erfolgen müsse. Der BVAZ fordert die DGZMK zur Korrektur der Stellungnahme „Good Clinical Practice“ (siehe unter „Stellungnahmen“ auf der Homepage der aget: www.aget-online.de) auf.

In der Stellungnahme der DGZMK heißt es: „Eine Kofferdamisolierung hat bei jeder Sitzung einer Wurzelkanalbehandlung zu erfolgen.“ Hauptargumente des BVAZ sind die Behauptung, es gebe gleichwertige Alternativen der Trockenlegung, und es fehle die wissenschaftliche Evidenz für die Notwendigkeit der absoluten Trockenlegung bei einer WKB.

Ziel der endodontischen Behandlung ist die Prävention oder Ausheilung einer Parodontitis apicalis. Wie bereits vor langem unter anderem von Kakehashi et al. (1965) eindeutig nachgewiesen wurde, spielen Mikroorganismen im Wurzelkanal bei der Entstehung einer periapikalen Läsion eine entscheidende Rolle. Kam die im Tierversuch freigelegte Pulpa mit Mikroorganismen in Kontakt, entwickelte sich unweigerlich eine Pulpanekrose oder Parodontitis apicalis, bei keimfrei gehaltenen Tieren kam es zur Wundheilung über einen Hartgewebeverschluss bei weiterhin vitaler Pulpa. Bei der endodontischen Behandlung infizierter Wurzelkanäle geht es in erster Linie darum, die bestehende bakterielle Infektion im Wurzelkanal zu eliminieren. Nach einer Vitalexstirpation, bei der noch keine Keimbesiedelung des Endodonts vorliegt, muss eine Infektion des Kanalsystems verhindert werden. In beiden Fällen ist jeder Neuzutritt von Mikroorganismen aus der Mundhöhle in das Wurzelkanalsystem nach besten Möglichkeiten zu verhindern.

Die Isolierung des Zahnes unter Kofferdam hat sich seit langem als einzige Maßnahme bewährt, eine (weitere) Kontamination des Wurzelkanalsystems über Atemluft und Speichel, die beide Mikroorganismen enthalten, mit großer Sicherheit zu verhindern. Wenn zur Zeit der Wurzelkanalfüllung noch Bakterien im Kanalsystem nachzuweisen sind, besteht ein erhöhtes Risiko des Misserfolgs [Sjögren et al., 1997]. Der Kofferdam bietet ohne Alternative den sichersten Schutz vor Aspiration und Verschlucken von Wurzelkanalinstrumenten, er schützt den Zahnarzt und die Helferin vor Infektionen wie HIV und Hepatitis [Liebenberg, 1992] und dient zusätzlich dem Schutz der Weichgewebe vor Spülflüssigkeiten. Trotz des Fehlens der Evidenz auf höchster Stufe, was nicht mit dem Fehlen jedweder Evidenz verwechselt werden darf, unterstreichen die Langzeiterfolge in der Behandlung von Zähnen mit apikalen Parodontitiden die Richtigkeit der zurzeit gültigen Leitlinien der Wurzelkanalbehandlung [Torabinejad & Bahjri, 2005]. Die Forderung des BVAZ, die Anwendung von Kofferdam nicht länger als „Muss-Bestimmung“, sondern nur zur „Kann-Bestimmung“ zu erklären, ist ebenso sinnvoll, wie das Händewaschen oder die Verwendung steriler Instrumente nicht länger als unumgängliche Notwendigkeit zu bezeichnen, oder zu fordern, dass die Entfernung des Blinddarmes in Zukunft wieder ohne Verwendung steriler OP-Abdeckungen erlaubt sein solle. Den Nachweis, dass es zum Kofferdam gleichwertige Methoden der Trockenlegung gibt, bleibt der BVAZ selbstverständlich ebenso schuldig wie eine Erklärung, warum er sich gegen qualitätsfördernde Maßnahmen ausspricht, anstatt eben diese zu propagieren. In diesem Zusammenhang sei auf das immer noch höchst lesenswerte Buch „Kofferdam in Theorie und Praxis“ des niedergelassenen Kollegen R. Winkler sowie die CD-ROM der beiden niedergelassenen Kollegen Müller und Tischer „Kofferdam in 100 Sekunden“ hingewiesen, in denen jeweils eindrucksvoll die Vorteile und Möglichkeiten der Kofferdamanwendung geschildert werden.

Wenn der BVAZ der Ansicht ist, dass ohne diese Isolierung eine Kontamination des Wurzelkanalsystems sicher zu vermeiden ist und die gleichen Erfolgsquoten erzielt werden können, sollte er dies anhand gesicherter Daten nachweisen. Ein (wissenschaftlicher) Nachweis einer vom BVAZ erwähnten „gleichwertigen Alternative“ ist uns allerdings nicht bekannt.

Die Forderung, alle endodontischen Behandlungsmaßnahmen unter Kofferdamisolierung vorzunehmen, findet sich folgerichtig in allen zeitgemäßen Endodontie- und Zahnheilkunde-Lehrbüchern und allen diesbezüglichen Stellungnahmen aller relevanten Fachgesellschaften (European Society of Endodontology, American Association of Endodontists, AG Endodontologie und Traumatologie der DGZ, und anderen) und ist daher als „state of the art“ anzusehen. Bezüglich der forensischen Konsequenzen einer Nichtanwendung erklärte Lampert schon 1977: „Wird in der Endodontie auf die Verwendung von Kofferdam verzichtet und verschluckt oder aspiriert der Patient ein Instrument, so findet diese Fahrlässigkeit vor Gericht kaum Rechtsschutz“.

Es sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass zur Wurzelkanalbehandlung nur eine Einzelzahnisolierung notwendig ist, die im Regelfall nicht mehr als eine Minute in Anspruch nimmt, es handelt sich somit überdies auch um eine ergonomisch sinnvolle und Zeit sparende Maßnahme, wie schon ein etwas älteres amerikanisches Bonmot süffisant kommentiert: „ Es geht meistens schneller den Kofferdam anzulegen, als einen Zahnarzt von seiner Notwendigkeit zu überzeugen.“ Oder in anderen Worten: „...seine Anwendung stellt für den Praktiker nicht nur eine Qualifikation, sondern auch eine ungeheure Zeitersparnis dar“, [Pecchioni, 1982].

Leider spezifiziert der BVAZ nicht, bei welchen Schritten einer WKB eine absolute Trockenlegung nicht notwendig sein soll und eine Kontaminierung des Endodonts in Kauf genommen werden kann. Modernen Konzepten zufolge ist eine Wurzelkanalbehandlung als eine Kette einzelner Behandlungsschritte zu verstehen, deren Qualität an der optimalen Stärke aller Kettenglieder zu messen ist. Ob die Mikroorganismen während der Wurzelkanalpräparation, der Wurzelkanalspülung oder der abschließenden Füllung Zutritt zum endodontischen System bekommen, dürfte für den Therapieerfolg/- misserfolg unerheblich sein.

Die AGET/DGZ und der VDZE sehen daher keine Notwendigkeit zu einer Korrektur ihrer Stellungnahme und fordern den BVAZ auf, sich unseren Bemühungen um eine qualitätsorientierte Wurzelkanalbehandlung anzuschließen und die Kollegenschaft nicht durch derartige Kommentare zu verunsichern.

Wir sehen auch keinerlei Notwendigkeit und Vorteile darin, mit nicht einmal empirisch gesicherten Argumenten à la „es geht auch einfacher, das haben wir immer so gemacht, und so weiter.“ eine etwa vorgeblich „schnelle“, „praxisnahe“ Wurzelkanalbehandlung zu propagieren, nachdem sich in den letzten Jahren auch in Deutschland die Endodontie zu einem weitgehend wissenschaftlich fundierten Teilbereich der Zahnerhaltung entwickelt hat. Möglicherweise kommt als nächster Vorschlag die Renaissance der Silberstifte, der Pastenfüllung oder der Depotphorese, von denen ja auch nicht auf höchster Stufe evidenzbasiert nachgewiesen ist, dass sie viel schlechtere Resultate erbringen als die aktuellen Fülltechniken und -materialien. Auf weitere Überraschungen darf man jedenfalls gefasst sein.

Die vollständige Fassung der gemeinsamen Stellungnahme von AGET und VDZE kann eingesehen werden unter

www.aget-online.de oderwww.vdze.de

Prof. Dr. Michael HülsmannVorsitzender der AGET der DGZZentrum für ZMK der Universität GöttingenRobert-Koch-Str. 4037075 Göttingen

Dr. Marco Georgi,Vorsitzender des Verbandes deutscherzertifizierter Endodontologen (VDZE)

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