Special Olympics Sommerspiele in Berlin

Herz gewinnt

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Gold, Silber oder Bronze? Medaillen abzuräumen, spielte bei den Special Olympics Sommerspielen für geistig Behinderte in Berlin keine große Rolle. Wohl aber Sportsgeist und Spaß. Passend dazu lautete das Motto der Veranstaltung „Dein Herz gewinnt!“ Mit am Start: die Zahnärzte. In einer groß angelegten Reihenuntersuchung prüften sie, wie fit die Zähne der Sportler waren.

„Möchtet ihr vielleicht auch eure Zähne untersuchen lassen?“, fragt Dr. Christoph Hils eine kleine Gruppe, die neugierig den Stand der Zahnärzte in der Max-Schmeling-Halle beobachtet. Skeptische Blicke. „Tut auch ganz bestimmt nicht weh. Ich will nicht bohren, nur gucken.“ Für Leichtathlet Stefan Höhne * ist das ein Wort. Ohne weiteres Zögern setzt er sich auf den Behandlungsstuhl. Der 22-Jährige hat seinen ersten Wettbewerb schon hinter sich. Weitsprung. 1,20 Meter. Er ist zufrieden – auch mit der Diagnose. „Alles in bester Ordnung“, bescheinigt Hils.

Eine von vielen kleinen Szenen, die sich zwischen dem 12. und 15. September abspielten, als der Hildesheimer Zahnarzt im Rahmen des Special Olympics Gesundheitsprogramms „Healthy Athletes“ den Bereich „Fitte Zähne“ betreute. Am Stand nebenan ging es um gesunde Augen, einen weiter um Ohren. Alles in allem konnten die über 2 700 Athleten sieben Stationen ansteuern.

Gesunde Athleten

Gute Befunde waren bei den Special Olympics keine Einzelfälle. Die Zahnärzte, die von der Kammer Berlin, dem zahnärztlichen Dienst und der „Aktion zahnfreundlich“ unterstützt wurden, waren insgesamt zufrieden mit der Mundgesundheit der Teilnehmer. „Wirklich schlechte Zähne haben wir nur in etwa einem von zehn Fällen gesehen“, sagt Hils. Seiner Ansicht nach ein Zeichen für erfolgreiche Präventionsbemühungen von Zahnärzten, Betreuern und Eltern. Dr. Imke Kaschke, Leiterin des Arbeitskreises zahnärztliche Behindertenbehandlung, vermutete hinter den guten Ergebnissen einen weiteren Grund: „Über den Sport vergrößern Menschen mit geistiger Behinderung ihre sozialen Kompetenzen. Durch das regelmäßige Training sind sie beispielsweise daran gewöhnt, zu bestimmten Zeiten Leistungen zu bringen. Diese Disziplin wirkt sich auch auf das Putzverhalten aus.“

Ängste abbauen

Weil sie im Vergleich zu anderen behinderten Patienten selbstständiger sind, nehmen die Sportler eine Sonderstellung ein, erklärten Kaschke und Hils. Dennoch habe man auch in dieser Gruppe häufig mit den bekannten Problemen gekämpft, allen voran der Zahnarztangst. Läufer Peter Michels (44) und Werferin Birgit Lanz (43) ließen sich so erst nach längerem Überlegen auf die Untersuchung ein. Der Befund bei beiden: kariöse Zähne. Hils überraschte das nicht: „Diejenigen, die nicht zu uns kommen wollen, wissen schon, warum. Sie waren ewig nicht bei der Kontrolluntersuchung. Das sieht man ihren Zähnen an.“ Solche Patienten seien nur schwer oder gar nicht erreichbar.

Berührungsängste abzubauen, gehörte daher in Berlin zu den Hauptzielen der Zahnärzte. Die Helferinnen der LAG Berlin trugen nach Kräften dazu bei. Sie sprachen die Besucher schon vor der Halle an und bereiteten sie am Putzbrunnen und im Kariestunnel auf die Untersuchung vor. Zum Stichwort Überzeugungsarbeit wird Kaschke vor allem ein Fall in Erinnerung bleiben: „Ich konnte einen zunächst widerspenstigen 100-Kilo-Judoka zur Untersuchung überreden. Das scheint ihm gefallen zu haben. Danach lud er mich zu jedem seiner Wettkämpfe ein und erklärte mich außerdem zu seinem persönlichen Glücksbringer.“

Betreuer motivieren

Die Sportler waren nicht die einzigen Adressaten der Zahnärzte. Sie wollten auch möglichst viele Betreuer ansprechen – mit Erfolg. Kaschke: „Die nette Atmosphäre bei den Special Olympics gab uns die Möglichkeit, in einem ungezwungenen Umfeld auf die Betreuer zuzugehen und sie für unsere Anliegen zu sensibilisieren.“ Auch Dr. Christian Bolstorff, freiwilliger Helfer und Vorsitzender des Berliner Hilfswerks Zahnmedizin, betonte, wie wichtig der gute Kontakt zum Pflegepersonal ist: „Von den Betreuern hängt viel ab. Je besser sie motiviert sind, desto besser ist die Zahngesundheit der Betreuten.“ Doch das alleine reiche nicht aus, fügte er hinzu: „Wir brauchen noch mehr aktiv engagierte Kollegen.“ Die Special Olympics hätten ein positives Zeichen gesetzt. Kaschke: „Alle Kollegen, die hier ehrenamtlich gearbeitet haben, sind zu einem neuen Umgang mit behinderten Patienten gekommen. Ihre Begeisterung wird Kreise ziehen.“

Neue Erkenntnisse

Fortschritte für die Wissenschaft – auch das sollten die Special Olympics bringen. Aus den Fragebögen, die bei jeder Untersuchung ausgefüllt wurden, wollen die Zahnärzte Schlüsse zur Versorgungslage ziehen. Die Datenmenge ist beträchtlich: Insgesamt wurden 700 Fälle dokumentiert. Eine größere zahnärztliche Reihenuntersuchung von Menschen mit geistiger Behinderung hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. Gefragt wurde nach fehlenden Zähnen oder unversorgten Läsionen. Erfasst wurde auch, ob die Patienten Selbstputzer sind oder Hilfe brauchen und ob sie zuhause oder im Wohnheim leben.

Nach der Auswertung gehen die Daten an das Healthy Athletes-Komitee. Dort wurde der Fragebogen auch entwickelt. Wäre es nach Kaschke gegangen, hätte das Konzept anders ausgesehen: „Die Fragen sind nicht genügend auf europäische Besonderheiten abgestimmt. Der DMFT fehlt zum Beispiel. Hilfreich wäre auch ein Plaque-Index.“ Eine weitere Kritik: Die Daten aus vergangenen Jahren seien nicht zugänglich und Vergleiche deshalb ausgeschlossen. Trotzdem, allein die Fülle der Informationen bietet eine Menge Möglichkeiten. „Die Analyse könnte Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Wohnform und Zahngesundheit bringen. Und ob bestimmte Putzmittel und -methoden sich als besonders effektiv erweisen“, so Kaschke. Sie hoffe außerdem, dass die Daten ihr in den aktuellen Verhandlungen über Projektförderungen weiterhelfen. Eins ist klar: Für die Versorgung behinderter Patienten ist der Zahnärztin Gold gerade gut genug.

* Die Namen der Sportler wurden von der Redaktion geändert.

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