Burn-out-Syndrom
Genaue Zahlen bei Zahnärzten gibt es nicht, bei Allgemeinärzten aber wird die Zahl derjenigen, die an einem Burn-out- Syndrom leiden, auf etwa 20 Prozent geschätzt. Denn Ärzte sind wie kaum eine andere Berufsgruppe prädestiniert, in ihrem Beruf und in ihrer Berufung aufzugehen, Überlastungen lange Zeit auszuhalten, sich wenig zu schonen und stets für andere da zu sein. Lange Arbeitszeiten, wenig Freizeit, Termindruck in der Praxis, knifflige Behandlungen und immer wieder die Konfrontation mit Personalproblemen, mit der KV, den Krankenkassen, den Behörden oder schwierigen Patienten – das kann auf Dauer auch starke Persönlichkeiten zermürben.
Am Anfang war Elan und Idealismus
Gerade die Kollegen, die mit Elan, Schwung und viel Idealismus in das Praxisdasein gestartet sind, erwischt das Burn-out-Syndrom – kurz auch BOS genannt – nach wenigen Jahren eiskalt: „Burn out ist der Zahnarzt, der engagiert ausgezogen ist, um der Karies und den Munderkrankungen den Kampf anzusagen, und der mit Begeisterung seine Praxis betrieben hat und nun erkennen muss, dass er gegen Windmühlenflügel kämpft und die Karies immer wieder „nachwächst“, so beschreibt das Deutsche Institut für Psychosomatische Zahnmedizin, Psychologie in der Zahnheilkunde und zahnärztliche Psychotherapie in Achern das BOS.
Die Gesellschaft wird noch plastischer und schildert den betroffenen Zahnarzt als den Kollegen, der „die Müller, die alte Kuh, am liebsten aus der Praxis werfen würde, wenn sie wieder mit ungeputzten Zähnen kommt, der auf keine Fortbildung mehr geht, dessen Berufsausübung zu einem „dentalen Abschmierdienst“ geworden ist und der zuviel Alkohol trinkt“, wie es dort provokativ heißt.
Jeder Vierte betroffen
Wie aber kommt es zu einer solchen Einstellung, von der Schätzungen zufolge inzwischen rund jeder vierte Erwerbstätige in Deutschland mehr oder weniger ausgeprägt betroffen sein soll? Geprägt wurde der Begriff des „Burn out“, des „Ausgebranntseins“ im Jahre 1974 von Herbert J. Freudenberger, einem in New York lebenden Arzt und Psychoanalytiker. Er diagnostizierte bei Ärzten einen „Zustand der körperlichen, emotionalen und geistigen Erschöpfung durch andauernde und wiederholte Belastungssituationen“.
Freudenberger führte als Dimensionen der Störung neben der emotionalen Erschöpfung eine gefühllose, gleichgültige oder zynische Einstellung gegenüber Klienten, Kunden und/oder Kollegen auf und eine negative Einschätzung der persönlichen Leistungskompetenz. Menschen mit BOS leiden seiner Beschreibung nach unter vielfältigen psychosomatischen Symptomen, wie Schlafstörungen, chronischen Schmerzen ohne Befund, funktionellen Herz-Kreislauf- Beschwerden und/oder unspezifischen Magen-Darm-Symptomen.
Bis heute aber fehlt eine klare wissenschaftliche Definition des BOS. Diejenigen, die sich wissenschaftlich mit der Störung auseinandersetzen, sehen diese als anhaltende Stressreaktion auf Belastungen in der Arbeitswelt an. Konkret stellt das BOS ein komplexes Beschwerde- und Leidensbild dar, eine Erkrankung, die mit einer tiefen Erschöpfung, mit innerer Distanzierung und schließlich auch mit einem Leistungsabfall verbunden ist, wobei die charakteristischen Symptome bereits länger als sechs Monate bestehen.
Die Ursachen
Das BOS beruht nicht auf einer einzigen Ursache, sondern entsteht durch ein enges Wechselspiel vielfältiger Parameter, die in ihrer Ausprägung bei den Betroffenen zudem unterschiedlich sein können. Als wichtigste Ursachen werden derzeit eine anhaltende, hohe Belastung und Eintönigkeit der Tätigkeit diskutiert, bei gleichzeitig wenig Einflussmöglichkeit auf den Arbeitsprozess, einer geringen Anerkennung bei zugleich starker persönlicher Verausgabung sowie einer fehlenden sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen und auch durch das soziale Umfeld. Rollenkonflikte, zu hohe Erwartungen an sich selbst und sein Umfeld, Unklarheiten in den hierarchischen Strukturen sowie Beziehungskonflikte werden als Trigger des BOS angesehen.
Immer wieder wird auch die Diskrepanz zwischen einem anfänglich sehr hohen beruflichen Engagement, dem „Brennen“ für den Job, für den der Betroffene „Feuer und Flamme“ ist, auf der einen Seite und dem Erkennen der irrealen persönlichen Erwartungen sowie der Desillusion im Arbeitsalltag auf der anderen Seite als Motor des BOS angesehen. Hohe Arbeitsbelastungen über längere Zeit, ständiger Termindruck, zu eng gesteckte Ziele, wachsende Verantwortung, mangelnde Kommunikation und ein schlechtes Betriebsklima tragen dazu bei, dass sich der Prozess des „Ausbrennens“ beschleunigt. Eine zunehmende Komplexität der Arbeitsabläufe, finanzielle Rückschläge oder auch Mobbing können erschwerend hinzukommen.
Innere Konflikte und ein besonderes, von hohem Perfektionismus-Streben geprägtes Persönlichkeitsprofil tun ihr Übriges: Wenn Einsatz, Initiative und Engagement nicht entsprechend der persönlichen Erwartungen gewürdigt werden, schlagen sie langfristig unter Umständen um in das Gefühl der Überforderung, der Verausgabung und der Erschöpfung.
Die Phasen des BOS
Der Prozess der Entwicklung des Burn-out- Syndroms wird derzeit allgemein in verschiedene Phasen unterteilt. Diese lassen sich kurz gefasst charakterisieren als Enthusiasmus – Stagnation – Frustration – Apathie und schließlich Burn out.
ist die erste Phase als „Warn- und Alarmsignal“ zu verstehen. Sie erscheint auf den ersten Blick durchaus positiv. Sie ist geprägt von einem hohen Engagement für bestimmte Ziele, von hoher Aktivität, freiwilliger Mehrarbeit, vermehrtem Einsatz, dem Gefühl unentbehrlich zu sein und von einer Entwicklung, bei der der Beruf mehr und mehr zum eigentlichen Lebensinhalt wird. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt, soziale Kontakte mehr und mehr beschränkt, die Bedeutung von Nachbarn, Freunden und Angehörigen wird nicht mehr wahrgenommen und tritt mehr und mehr in den Hintergrund.
Reduziertes Engagement – ein Teufelskreis beginnt
Als Folge der Verhaltensänderungen aber kommt es zugleich zur vermehrten Erschöpfung, zur chronischen Müdigkeit und zu Konzentrationsschwierigkeiten, die Betroffenen fühlen sich innerlich getrieben und nervös. Es entwickelt sich der Übergang in die zweite Phase des „reduzierten Engagements“. Dabei gehen die positiven Empfindungen gegenüber dem Beruf nach und nach verloren, die Arbeitsabläufe werden als stereotyp empfunden, der BOS-Patient reagiert zunehmend gefühllos, quasi wie „eine Maschine“. Die Belastbarkeit nimmt ab, dafür macht sich eine gewisse Stimmungslabilität breit und die notwendigen Erholungszeiten werden spürbar länger.
In dieser zweiten Phase manifestieren sich außerdem häufig körperliche Symptome, sei es in Form einer erhöhten Infektanfälligkeit oder einer chronischen Müdigkeit. Die Betroffenen reagieren leicht reizbar und mitunter sogar aggressiv. Ihre Einstellung zum Job wird negativer und sie vernachlässigen sogar ihre „sonst so hoch angesiedelte“ Arbeit. Eine verringerte Frustrationstoleranz wird erkennbar, eine erhöhte Kränkbarkeit und Gefühle wie Niedergeschlagenheit, Entmutigung und Resignation. Die Betroffenen fühlen sich ausgelaugt, ausgenutzt, eine innere Leere tritt ein.
Wandel im Erleben und in der Lebenseinstellung
Schließlich kann es zu Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen kommen und zu einer zunehmenden pessimistischen und fatalistischen Lebenseinstellung. Kompensiert werden die zunehmenden Probleme, die sich längst nicht mehr nur auf den Beruf beschränken, sondern oft auf das Privatleben übergreifen. Alles ist nicht selten durch den Abusus von Nikotin und Alkohol, aber auch von Medikamenten, insbesondere von Schmerz-, Beruhigungsund Schlafmittelnn geprägt.
Eine sehr häufige Reaktion ist außerdem der zunehmende soziale Rückzug. Auch die körperlichen Symptome werden gravierender, es entwickeln sich bei vielen Betroffenen Schmerzsyndrome, insbesondere häufige Kopfschmerzen, Schwindel, Muskelverspannungen, funktionelle Herz-Kreislaufstörungen, gastrointestinale Probleme sowie Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke.
Mit dem Fortschreiten des BOS kommt es zu einem zunehmenden Leistungsabfall, zu Gedächtnisproblemen, wie Merkstörungen und Vergesslichkeit, und auch zu zunehmenden körperlichen Beschwerden. Die Probleme am Arbeitsplatz verstärken sich, mangelnde Motivation und Kreativität führen zu immer schlechteren Leistungen, viele Betroffene reagieren mit „Dienst nach Vorschrift“, der Weg in den Teufelskreis aus zunehmenden Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und im Privatleben ist gebahnt.
Lebensziele müssen aufgegeben werden, was oftmals zu Schuldgefühlen führt, aber auch Schuldzuweisungen an Fremde und Unbeteiligte. Depressionen, Angsterkrankungen und Aggressionen manifestieren sich, das emotionale Erleben verflacht, Gefühle wie Gleichgültigkeit, Einsamkeit und Desinteresse sind der ursprünglichen Leistungsbereitschaft, dem Engagement und dem „Brennen für den Job“ gewichen. Sie wurden langsam, aber stetig abgelöst durch eine tiefe innere Leere, durch das Gefühl der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, der Bitterkeit, der Sinnlosigkeit des Jobs und möglicherweise sogar des gesamten Daseins, der Selbstzweifel und der tiefen emotionalen Erschöpfung.
Das Burn-out Syndrom früh erkennen
Der erste Schritt, dem BOS entgegen zu treten, besteht in aller Regel darin zu erkennen, dass sich die Lebenseinstellung und vor allem die Einstellung zum Beruf verändert hat, dass man sich „ausgebrannt“ fühlt und professionelle Hilfe braucht.
Diagnostizieren lässt sich die Störung mithilfe spezieller, standardisierter Fragebögen wie dem „Maslach-Burnout-Inventory“ oder dem „Tedium Measure“.
Behandlung
Die Behandlung des BOS richtet sich nach dem jeweiligen Stadium der Störung. Die Prognose ist dabei umso besser, desto früher interveniert wird. Während in den initialen Phasen in aller Regel durch ausgedehnte Erholungsphasen die Probleme zurück gebildet werden können, ist in späteren Phasen eine gezielte Psychotherapie die wichtigste Grundlage der Behandlung. Die Betroffenen lernen dabei, sich selbst besser einzuschätzen, sich künftigen Leistungsanforderungen realistischer zu stellen und Überforderungen frühzeitig zu erkennen und abzubauen.
Je fortgeschrittener das Syndrom, umso schwieriger und meist auch umso langwieriger gestaltet sich die Behandlung. Für viele Betroffene bleibt dabei auf lange Zeit auch der „normale“ berufliche und soziale Stress ein schwer zu ertragender und schwer kompensierbarer Belastungsfaktor, dem sie sich nicht gewachsen fühlen und der leicht erneut zu Krisensituationen führen kann.
Dem BOS vorbeugen
Generell kann das Burn-out-Syndrom praktisch jedermann treffen, wobei wie schon erwähnt, besonders engagierte Menschen und solche in helfenden Berufen verstärkt gefährdet sind. Diese Gefährdung zu erkennen ist der erste und wohl auch der wichtigste Schritt der Vorbeugung.
Denn für BOS-Gefährdete ist es von besonderer Bedeutung, auf ausreichende Erholungsphasen zu achten, Zeiten der Muße aktiv einzuplanen und ebenso kompensatorische Tätigkeiten zu ihrem Beruf, also Hobbys wie Musik, Lesen oder Reisen zu betreiben. Besonders hilfreich sind eine ausreichende körperliche Betätigung und/oder regelmäßige sportliche Aktivität oder zumindest ausgedehnte Spaziergänge, in denen der Geist regelmäßig wieder zur Ruhe kommt. Wichtig aber ist auch, dass all solche Aktivitäten ohne den so genannten Freizeitstress ablaufen, also ohne in das Verhaltensmuster zu fallen, das genau zum BOS führt.
Hilfreich sind ferner Entspannungstechniken wie Yoga, Tai Chi oder Autogenes Training, die allerdings regelmäßig praktiziert werden sollten. Gefährdete sollten ferner an sich arbeiten, sie müssen lernen „Nein“ zu sagen, ohne dabei Schuldgefühle zu empfinden. Sie müssen sich bewusst machen, dass es verführerisch aber auch gefährlich ist, die Karriere wie ein Aufputschmittel zu verstehen und zu nutzen. Vielmehr müssen berufliche Ziele realistisch gesteckt werden, das Arbeitspensum darf nicht Überhand nehmen, Überforderungen muss von Anfang an entgegengetreten werden. Gegebenenfalls kann, speziell im Klinik- und im Praxisbereich außerdem durch Supervision dem Burn out bei Chefs wie auch Mitarbeitern vorgebeugt werden.