Rechtsgutachten in Brüssel präsentiert

Dienstleistungsfreiheit ohne Grenzen

Heftarchiv Gesellschaft
Ein Rechtsgutachten über die Dienstleistungsfreiheit im EU-Gesundheitsbereich hat jetzt der ehemalige Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, Prof. Dr. h.c. Siegbert Alber, vorgelegt. Sein Plädoyer: Bei der Liberalisierung sollten auch die Gesundheitsdienstleistungen mit einbezogen werden.

Die Bundeszahnärztekammer hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. Die Anregung war zuvor im neu gegründeten BZÄKEuropa- Arbeitskreis formuliert worden. Ziel war es, positiv auf die Entscheidung des Europäischen Parlaments über die von der Kommission vorgelegte „Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt” Einfluss zu nehmen. Nachdem das Parlament sich jedoch für die komplette Herausnahme aller Gesundheitsdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie bereits ausgesprochen hat und die Kommission ihren Vorschlag dementsprechend veränderte, gilt nunmehr das Augenmerk der von der Brüsseler Behörde angekündigten eigenständigen Gesundheits-Richtlinie.

Dabei stellte Prof. Dr. Siegbert Alber in einem Pressegespräch, zu dem der Europa- Abgeordnete Dr. Andreas Schwab eingeladen hatte, fest, dass die ursprünglich geplante Richtlinie nicht über die bereits vorliegende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hinausgegangen wäre. Mehrfach hatten die Luxemburger Richter seit 1998 und zuletzt in einer Entscheidung zu Beginn diesen Jahres festgehalten, dass auch in den Gesundheitssystemen Dienstleistungsfreiheit gilt. Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind nach Art. 49 Abs. 1 des EG-Vertrages verboten. Im Vertrag wird definiert, dass Dienstleistungen in der Regel gegen Entgelt erbracht werden und insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten umfassen. Selbst wenn – im Sachleistungssystem – der Patient die erbrachte Dienstleistung nicht unmittelbar bezahlt, ändert dies nichts am Dienstleistungscharakter der erfolgten Behandlung durch Ärzte und Zahnärzte. „Insofern war und ist die komplette Herausnahme des Gesundheitsbereiches aus dem Anwendungsgebiet der Dienstleistungsrichtlinie nicht ganz nachvollziehbar”, so Prof. Alber in seinem Statement gegenüber den Vertretern der internationalen Presse.

Einschränkung braucht zwingende Gründe

„Wirtschaftliche Erwägungen, zum Beispiel im Hinblick auf den Schutz der Sozialversicherungssysteme, genügen alleine nicht, um zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann zulässig, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorliegen”, so Alber. Im Hinblick auf die Krankenhausversorgung habe der Gerichtshof Beschränkungen zugelassen, allerdings auch entschieden, dass die Übernahme der Kosten einer beabsichtigten Krankenhausbehandlung in einem anderen Mitgliedsstaat nicht von einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Kostenträger abhängig gemacht werden dürfe.

Alber verweist in seinem Rechtsgutachten auf die aktuelle Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Watts. Die klagende Patientin war wegen einer bevorstehenden Hüftgelenksoperation in Großbritannien auf eine Warteliste gesetzt worden, hatte sich dann jedoch von Ärzten in Frankreich behandeln lassen. Der Antrag auf Kostenerstattung wurde mit der Begründung abgelehnt, eine Wartezeit von vier Monaten habe der Patientin nicht das Recht gegeben, sich einer Behandlung im Ausland zu unterziehen und die Kostenerstattung vom National Health Service zu verlangen. Dazu hatte der Gerichtshof festgestellt, dass die Versagung einer vorherigen Genehmigung nicht auf die bloße Existenz von Wartelisten gestützt werden darf, die dazu dienen, das Krankenhausangebot nach Maßgabe von vorab allgemein festgelegten klinischen Prioritäten zu planen und zu verwalten, ohne dass eine objektive medizinische Beurteilung des Gesundheitszustandes des Patienten, seine Vorgeschichte, der voraussichtlichen Entwicklung seiner Krankheit, des Ausmaßes seiner Schmerzen und/oder der Art seiner Behinderung zum Zeitpunkt der erstmaligen oder erneuten Beantragung der Genehmigung erfolgte. Wenn sich herausstelle, dass der Wartezeitraum den Rahmen überschreitet, der unter Berücksichtigung einer objektiven medizinischen Beurteilung vertretbar sei, könne der zuständige Kostenträger sich nicht auf die Existenz einer Warteliste zurückziehen.

Im Verfassungsvertrag verankert

In seinem Rechtsgutachten weist Prof. Alber auch darauf hin, dass neben den Grundfreiheiten ebenso Grundrechte der Europa-Bürger verletzt werden könnten, wenn der freie Dienstleistungsverkehr unangemessen eingeschränkt würde. Auch wenn der Verfassungsvertrag derzeit noch keine Zustimmung erfahren habe, müsse doch berücksichtigt werden, dass im Verfassungsentwurf verankert wurde, dass jeder Unionsbürger das Recht auf Zugang zu Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung hat. Alber bezeichnet es als sinnvoll, bei der politisch gewollten Liberalisierung des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs auch die Gesundheitsdienstleistungen in entsprechende Regelungen einzubeziehen, zumal die Patientenmobilität politisch gewollt ist. Auch wenn die bereits bestehenden primärrechtlichen Bestimmungen in Verbindung mit ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof zur Lösung noch offener Fragen ausreichen, schaffe eine Normierung der Rechtsprechung Sicherheit für die EU-Bürger. Es könne schließlich nicht angehen, dass bei Streitfragen ausschließlich der Rechtsweg zur Verfügung stünde.

Rechtsanwalt Peter KnüpperHauptgeschäftsführer derBayerischen LandeszahnärztekammerFallstraße 34, 81369 München

 

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