Leitartikel

Frontalangriff auf die Freiberuflichkeit

Sehr verehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

oberflächlich herrscht Ruhe, doch innen gärt es – die parlamentarische Sommerpause entpuppt sich als Ruhe vor dem Sturm. Als quasi letzte Amtshandlung der Koalition liegen die Eckpunkte zur Gesundheitsreform auf dem Tisch, und die Experten sind nun gefragt, diese in einen Gesetzesentwurf zu gießen. Es ist wichtig und richtig, dass wir als Berufsstand den Sommer nutzen, um ausgiebig Position zu beziehen.

Die Tendenz ist jetzt schon sonnenklar: Das Gesundheitswesen gerät immer stärker in Staatshand – werden die Eckpunkte so, wie sie auf dem Tisch liegen, umgesetzt, bedeutet dies den Einstieg in den Nationalen Gesundheitsdienst. Das Papier strotzt nur so von Überbürokratie (Stichwort: Gesundheitsfond), Planwirtschaft und Knebelungsregelungen für Freiberufler. Das Gesetzeskonglomerat wird sich für die Zahnärzteschaft an der Freiberuflichkeit messen lassen müssen, für uns kann es keinen anderen Maßstab geben.

Hier sehe ich starke Bedrohungen auf uns zukommen. Zu warnen ist vor der Versozialrechtlichung des Berufsstandes. Das freiberufliche ärztliche Berufsbild wird durch das Sozialrecht vereinnahmt, das in der Landeskompetenz liegende Heilberufsrecht wird durch bundesrechtliche Vorgaben verformt. Wir stoßen auf eine ordnungspolitische Diskrepanz, auf die wir ganz dezidiert hinweisen müssen. Gerade erst hat die Föderalismusreform zu mehr Stärkung der Länder geführt, nun geschieht bei der Gesundheitsreform das Umgekehrte: Der Bund höhlt die Kompetenzen der Länder aus. Wie passt das zusammen?

Der Freiberuflichkeit wird auch auf andere Weise ein arger Dämpfer verpasst – indem nämlich per Gesetz zweierlei Arten von Ärzten geschaffen werden: Zum einen der ambulant tätige Freiberufler, zum anderen der Kassenzahnarzt mit eigener Berufsordnung. Letztlich steht damit – und zwar durch Kompetenzverschiebungen (Stichwort: Qualitätsförderung) – die bisherige bewährte Form der Selbstverwaltung, der Standesvertretung von Kammern und KZVen auf dem Prüfstand. Der Berufsstand wird sich sehr sauber und sorgfältig überlegen, welche Konsequenz das für die Vertretung eines freien Berufes und dessen Selbstverständnis bedeutet und wie er damit umgeht. Mit den neuen Gesetzesplänen kommt etwas auf die Ärzte- und Zahnärzteschaft zu, das es in der bisherigen Form noch nicht gegeben hat: eine massive Einschränkung der wirtschaftlichen Basis. Es droht eine Einheitsgebührenordnung von GKV und PKV. Die Rede ist von einer Euro-Gebührenordnung, Pauschalvergütungen und Abstaffelungsregelungen. Der Hohn liegt darin, dass der Gesetzgeber von „Vereinfachung und Entbürokratisierung“ spricht. Das sind Nebelkerzen! Zwar muss noch geklärt werden, ob auch der zahnärztliche Bereich davon betroffen sein wird. Die Stoßrichtung ist jedoch klar: Hier wird der Weg frei gemacht für eine einheitliche Gebührenordnung für PKV und GKV, und damit letztlich auch für ein einheitliches Versicherungswesen.

Wir werden, mit dem richtigen Handwerkszeug gerüstet, gute Argumente an der Hand haben, um gegenzusteuern. Und wir sind gründlich gewappnet. Zu verweisen ist auf die Leistungsbeschreibung auf Basis der Neubeschreibung der präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Zu Fragen der angemessenen Bepreisung läuft derzeit ein fundamentales Gutachten, das rechtzeitig vorliegen wird.

Es besteht viel Klärungsbedarf: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sprach auf der Branchenkonferenz in Rostock davon, mit der Reform die Strukturen im System aufbrechen zu wollen. Dabei warf sie Wellness, Gesundheit, Erholung und Tourismus, Gesundheitswirtschaft, Biotechnologie und Medizintechnik in einen Topf. Welch wunderbare neue Welt! Mit solch diffusen Aussagen soll die Interpretation der Eckpunkte wohl erschwert werden, um der Ministerialbürokratie in Ruhe Gelegenheit zu geben, eine präzise Umsetzung der Pläne in stringentester Form zu ermöglichen. Wir sind wachsam, gerüstet – und wir sind gespannt, wie diejenigen in der Politik, die von ihren Denkansätzen her die Freiberuflichkeit eher fördern und erhalten wollen anstatt mehr Staat zuzulassen, in diesem Fall tatsächlich reagieren.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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