50. Todestag von Gottfried Benn

Lyrik aus dem Leichenschauhaus

Heftarchiv Gesellschaft
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Der Erste Weltkrieg zieht drohend herauf und versetzt die Menschen in Angst und Schrecken. Zugleich entsteht ein Wirbel aus Protest, Kritik und Aufbruch. Besonders die Kunst bricht mit der Tradition; in der Literatur erschaffen Autoren eine radikal neue und expressive Sprache. Zur Avantgarde zählt plötzlich auch Gottfried Benn. Sein Gedichtband „Morgue“ von 1912 ist eine Sensation, die Leserschaft geschockt: Nie zuvor brachte jemand seine Visionen von Verfall und Verwesung so drastisch zu Papier. Vor 50 Jahren starb der promovierte Arzt und Dichter.

Morgue, das ist das Leichenschauhaus, hier arbeitet Benn, und genau diese Tätigkeit am Seziertisch macht er zum Gegenstand der Dichtung. Das taten vor ihm schon andere, etwa Rilke und Heym – neu ist das Thema also nicht. Neu ist indes die erschreckende Routiniertheit, diese Brutalität, Unterkühltheit und Gleichgültigkeit der Sprache, mit der der Pathologe und Serologe seine „Sezierobjekte“ beschreibt. Benn provoziert – mit Erfolg: Damals wie heute empfinden viele seine Gedichte als geschmacklos. Die menschliche Existenz und ihr körperlicher Verfall werden darin als geradezu banal abgetan. Der Lyriker distanziert sich von dem schönen Schein, ja, er beschreibt den Tod nicht als friedlich oder gar erlösend, sondern ästhetisiert bewusst das Hässliche. Und bricht damit das Tabu, dass die Menschenwürde unantastbar ist.

Beeinflusst von Nietzsches Idee, dass Realität nur als ästhetisches Ereignis Relevanz besitzt, ist für Benn die Wirklichkeit ein Trugbild und der Glaube, aktives Handeln beeinflusse den Lauf der Dinge, ein „Traum für Knaben und Knechte“. Nur der Einzelne, das Genie, hat Gültigkeit, Einsamkeit ist die probate Lebensform. Allein der Künstler ist imstande, dem sinnlosen Leben etwas abzuringen, das Bestand hat: „Form nur ist Glaube und Tat.“ Zugleich ist Benns frühe Lyrik auch eine Anklage gegen die Leiden, welche Wissenschaft und Zivilisation dem Einzelnen zufügen. Wie auch andere Künstler begehrt er auf gegen die anonymen Apparaturen der Verwaltung, die wachsende Vorherrschaft der Technik und versucht dem eine alles umspannende Kunst entgegen zu setzen.

Benn – im Gegensatz zu Johannes R. Becher und Bertolt Brecht – gehört zu jenen Expressionisten, die weltanschaulich rechts stehen; 1932 bis 1934 nähert er sich dem Nationalsozialismus. Erst als Hitler 1934 den SA-Stabschef Ernst Röhm aus machtpolitischen Gründen ermorden lässt, wendet er sich desillusioniert ab: „Das Ganze kommt mir allmählich vor wie eine Schmiere, die fortwährend 'Faust' ankündigt, aber die Besetzung reicht nur für 'Husarenfieber'. Wie groß fing das an, wie dreckig sieht es heute aus“. Um seine Praxis zu halten, sieht er sich dennoch gezwungen, an Schulungen des NS-Ärztebundes teilzunehmen, denn man argwöhnt, er sei Jude. Der niedergelassene Arzt kehrt schließlich in die Armee zurück: „Raus aus allem; und die R.(eichs) W.(ehr) ist die aristokratische Form der Emigrierung!“ Sein Werk wird von der SS als „Ferkelei“ und „widerliche Schweinerei“ diffamiert, 1938 wird er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und hat Schreibverbot. 1951 erhält er den Georg-Büchner-Preis. Wenige Jahre vor seinem Tod schreibt er ein Gedicht mit dem Titel „Was schlimm ist“. „Am schlimmsten”, heißt es da: „nicht im Sommer sterben“. Gottfried Benn stirbt am 7. Juli 1956.

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