5. Berliner BMC-Gespräche

Impulsgeber statt Blaupause

Zahlreiche Teilnehmer begrüßte Klaus Meyer-Lutterloh, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care (BMC),auf den 5. Berliner BMC Gesprächen Mitte März 2006. Darunter so illustre Gäste wie die Vertreter der Niederländischen Botschaft, des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums (BMG) für Gesundheit sowie der ärztlichen Körperschaften.

So gemischt wie das Auditorium, so bunt zusammengesetzt sieht sich auch der BMC als „pluralistischer Verein“, wie Meyer-Lutterloh betonte, „der für innovative Systementwicklung im Gesundheitswesen stehe. Alle im deutschen Gesundheitswesen Beteiligten können sich einbringen.“

Aber die diesjährigen Gespräche drehten sich vorrangig um ein ausländisches Gesundheitssystem, das mehr und mehr die hiesigen verantwortlichen Akteure in den Bann zieht: das Modell in den Niederlanden. Nachdem die westlichen Nachbarn mit Jahresbeginn die einstige so genannte gesetzliche und die private Versicherung zu einer obligatorischen privatwirtschaftlichen Versicherung mit konkreten gesetzlichen Sicherheitsstrukturen für jedermann verschmolzen, liebäugeln hier zu Lande viele mit diesem Modell als Blaupause für Deutschland. In der Tat wirkt die Vorstellung, auf eine obligatorische Grundabsicherung eine frei gestaltbare private Absicherung aufzusetzen, charmant.

Doch, wollten die Organisatoren wissen, wie schauten die Vorbedingungen aus, der Vorlauf und wie die erste Zwischenbilanz? Dr. Pieter Hasekamp vom Niederländischen Gesundheitsministerium lieferte ihnen die Antworten in seinem umfangreichen Referat mit dem Stand vom 1. März 2006.

Mit zuvor über 30 Prozent war der Anteil der Privatversicherten in den Niederlanden sehr hoch gewesen. Zwar gab es – scheinbar ähnlich wie in Deutschland – eine Versicherungsgrenze. Doch wenn das Jahresentgelt diese Grenze von 30 000 Euro überschritt, musste der Betreffende – anders als hier zu Lande – aus der Gesetzlichen ausscheiden und sich privat versichern. Das war die Bedingung, zu der die Ärzteschaft einst die Behandlung der gesetzlich Versicherten zu Dumping-Preisen akzeptiert hatte, ein in Deutschland wenig bekannter Fakt. Der Tarifdschungel der Privaten sei allerdings unübersichtlich gewesen. Letztlich gab die durch die Teilung in private und gesetzliche Versicherung bedingte Ungleichbehandlung den Ausschlag für eine einheitliche Versicherungsform der rund 16 Millionen Bürger. Die Reformer beabsichtigten also, strukturelle Mängel zu beseitigen, keine finanziellen.

In den Niederlanden sollte die Reform die Vorteile beider Systeme miteinander kombinieren, sprich den sozialen Charakter des gesetzlichen mit der Variabilität des privaten. Das Basispaket ist fest definiert, das aufgesetzte Zusatzpaket frei verhandelbar. Die Beiträge setzen sich aus zwei Bausteinen zusammen, einmal aus dem gesetzlich festgelegten einkommensabhängigen Element sowie zum zweiten aus der vom Anbieter definierten Pauschale, durch die der Wettbewerb florieren soll. Was er offenbar auch macht, denn zwei Millionen Niederländer haben die neue Offerte, die Kasse zu wechseln und günstige Tarife zu wählen, gerne genutzt – weit mehr als die Experten erwartet hatten.

Zwei große Versicherer haben bei den Zuläufen die Nase vorn, berichtete Hasekamp. Hinsichtlich der Sogkraft von Gruppenverträgen, mit denen etwa Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter günstigere oder preiswertere Konditionen erhalten, liegen noch keine Ergebnisse vor. Doch zeigt sich, der Wettbewerb unter den Versicherern ist entbrannt.

Tarif querbeet

Die sozialen Komponenten sorgen dafür, dass jeder sich seinen unter den jetzt grundsätzlich privatrechtlich organisierten Versicherern aussuchen darf. Ablehnen kann ihn dieser nicht, zudem gilt ein Tarif querbeet unabhängig von Alter, Geschlecht und gesundheitlichen Risiken des Betreffenden, um eine Risikoselektion zu vermeiden. Kinder bis 18 Jahre sowie Einkommensschwache werden steuerfinanziert oder -bezuschusst, was die Menschen problemlos akzeptierten. Knackpunkt, so Hasekamp seien jedoch – wie sich herauskristallisiere – vielmehr die Beitragsverweigerer. Wie diese für den Krankheitsfall abgesichert werden, fragen sich die Niederländer zurzeit noch. Diese Lücke im Versicherungsschutz entstand, obwohl die Reform mit langem Vorlauf erarbeitet wurde. Auch wenn Hasekamp das Modell dennoch als passgenau für die Niederlande bezeichnete, hielt er es für fraglich, ob es sich auf ein anderes Land und gar zu anderen Zwecken – Stichwort Finanzkrise – übertragen lasse.

Anregung

Das Niederländische Modell als Blaupause für Deutschland, das verneinte Univ.-Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke konsequent. Der Gesundheitsökonom von der Freien Universität Berlin hinterfragte allerdings, inwieweit die Gesundheitsreform in den Niederlanden Impulse für Deutschland liefern könne. Er sieht wirtschaftliche Anregungen besonders für die wettbewerbliche Neuausrichtung. Er nannte beispielhaft einen einheitlichen Ordnungsrahmen für PKV und GKV durch die Privatisierung der öffentlichrechtlichen Krankenversicherung. Ebenso sei das Element der Selbstbeteiligung zu überdenken, wie das niederländische Modell sie erlaubt, zum Beispiel bis 500 Euro, damit die Prämien sinken. Oder ein Bonus bei Nichtinanspruchnahme. Zudem plädierte Henke dafür, Leistungen aus dem Leistungskatalog herauszunehmen, etwa Zahnmedizin und Psychiatrie. Mehr Wahlmöglichkeiten und mehr Preiswettbewerb forderte er von den Anbietern. Eine ganz pfiffige Option, so eine Art Hausarztmodell, sei etwa, bei Wahl des Sachleistungsprinzips die Arztwahl einzuschränken, womit er implizit die Kostenerstattung als ein Grundelement darstellte.

Damit eine Reform in Deutschland Erfolg überhaupt haben kann, müsste laut Henke zuerst einmal ein Leitbild mit den zehn Bausteinen für eine Gesundheitsreform erarbeitet werden, die er wie folgt aufführte:

• Den Kreis der Versicherten bestimmen

• Den Umfang der Leistungen festlegen

• Die Finanzierung organisieren

• Die Kosten vom Lohn abkoppeln

• Den Wettbewerb durch neue Rahmenbedingungen fördern

• Die Rolle der Arbeitgeberanteile angehen

• Die Familienversicherung gegebenenfalls verändern

• Eine neue Vericherungsaufsicht für GKV und PKV einrichten

• Eine neue Zuständigkeit für den Sicherstellungsauftrag angehen.

Wie sich die Reformbausteine auf bestehende Elemente, wie den hiesigen Risikostrukturausgleich, auswirken könnten, vermochte Henke nicht zu sagen. Seines Erachtens gibt es hier mehr Fragen als Antworten. pit

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