Aktueller Stand der Parodontologie in Praxis und Wissenschaft
Der Präsident Dr. Jürgen E. Koob, Hamburg ging in seiner Einleitung zu Beginn der Jahrestagung auf die aktuelle Vielzahl an therapeutischen Verfahren, Techniken und Materialien ein, die dem Behandler für den Bereich der Parodontologie zur Verfügung stehen, aber auch auf die Bedeutung einer klaren Bewertung mittels sorgfältiger, unabhängiger Datenanalysen und Langzeitergebnisse.
Professor Dr. Maurizio Tonetti, Farmington, eröffnete das wissenschaftliche Programm mit seinem Referat über „GTR-Verfahren versus traditionelle chirurgische Behandlung bei intraossären Defekten“, in dem er betonte, dass beide Ansätze in der Parodontologie ihre Berechtigung besitzen. Entscheidend sei es, vor Behandlungsbeginn eine sorgfältige Analyse der parodontalen Situation, sowie das Festlegen der Behandlungsziele vorzunehmen.
Dem hohen Gewinn an klinischem Attachmentzuwachs bei der erfolgreichen GTR mittels Teflonmembran stellte er jedoch kritisch eine erhöhte Komplikationsrate gegenüber.
Füllermaterialien
Professor Dr. Leonardo Trombelli, Ferrara, bezog zum Thema Füllermaterialien in der Parodontologie Stellung. Ein zusätzlicher Nutzen im Sinne einer Verbesserung der Hart- und Weichgewebesituation nach Anwendung von Füllermaterialien konnte in Studien gezeigt werden. Allerdings seien aufgrund der Vielzahl der erhältlichen Materialien die Anzahl der kontrollierten Studien noch zu gering und zu wenig Langzeitdaten vorhanden.
Professor Dr. Jens C. Türp, Basel, warf in seinem Vortrag die grundlegende Frage „Evidenzbasierte Zahnmedizin (EbZ) – Maßstab für die Praxis?“ auf. Einerseits sei im Bereich der zahnmedizinischen Literatur zwar eine Zunahme der EbZ zu vermerken. Andererseits gäbe es in den zahnärztlichen Praxen häufig auch Vorbehalte, sobald die EbZ mit den persönlichen Erfahrungen des Behandlers oder mit geltenden zahnärztlichen Gebührenordnungen kollidiert.
Parodontologen extrahieren seltener
Mit einer interessanten Statistik begann Professor Dr. Andrea Mombelli, Genf, sein Referat: Er zitierte eine aktuelle Studie, die zeigte, dass Parodontologen 2,8-mal seltener Zähne extrahieren als Allgemeinzahnärzte. Im Folgenden stellte er die nicht chirurgische der chirurgischen Vorgehensweise bei Parodontalerkrankungen gegenüber. Während die nicht chirurgische Intervention bis zu einer Taschentiefe von vier bis sechs Millimetern als vorteilhafter beschrieben wurde, sei die chirurgische Intervention bei erschwertem Zugang und komplexer Wurzelanatomie effizienter und führe zu einer besseren Konkremententfernung und zu einer stärkeren Taschenreduktion.
Das Problem der Behandlung von furkationsbefallenen Zähnen stand im Mittelpunkt der nächsten beiden Vorträge.
Dr. Gianfranco Carnevale, Bologna, stellte den resektiven Ansatz in Form seines detaillierten Behandlungsprotokolls vor, das eine intensive Zusammenarbeit von Endodontologen, Parodontologen und Prothetikern voraussetzt und vom Referenten mit beeindruckenden Langzeitergebnissen untermauert wurde.
Furkationen nicht reversibel
Im Anschluss daran schilderte Professor Dr. Myron Nevins, Boston, die Behandlung von furkationsbefallenen Zähnen mittels regenerativer Verfahren. Obwohl Berichte über klinische Erfolge bei der regenerativen Therapie von Klasse II Furkationen im Unterkiefer vorliegen, gäbe es keine histologische Bestätigung einer Neubildung von Knochen, Parodontalfasern und Wurzelzement der ehemals erkrankten Bereiche.
Studienergebnisse über die Anwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen (Enamel-Matrix-Proteins, kurz EMD) stellte Professor Dr. Anton Sculean, Nijmegen vor. Er fasste zusammen, dass bei der Lappen-OP der zusätzliche Einsatz von EMD signifikant bessere Clinical Attachment Level-Werte ergab als ohne EMD und dass EMD bei der chirurgischen PA-Therapie die parodontale Wundheilung und Regeneration von intraossären Defekten ebenfalls fördert. Für die nicht chirurgische PA-Therapie und die Rezessionsdeckung zeigt der momentane Stand der Wissenschaft hinsichtlich einer zusätzlichen Anwendung von EMD noch keine Ergebnisse, die den bisherigen Einsatzbereich auf diesen Bereich sinnvoll erweitern könnten.
Interessante Daten über die geeignete Therapie zur Deckung von freiliegenden Wurzeloberflächen präsentierte Dr. Mario Roccuzzo, Turin. Obwohl im Vergleich von geführter Geweberegeneration (GTR), freiem Schleimhauttransplantat (FGG), Bindegewebstransplantat (CTG) und koronalem Verschiebelappen (CAF) keine Therapie bei Rezessionsdefekten als hochwertiger angesehen werden kann, erwies sich das Bindegewebstransplantat als signifikant effizienter im Hinblick auf die Reduktion der vorhandenen Rezession.
Implantate trotz Parodontopathie
In seinem zweiten Vortrag bei der Jahrestagung bezog Professor Myron Nevins, Boston, Stellung zum Thema „Implantate beim vormals parodontal erkrankten Patienten – Risiko oder evidenzbasierte Therapie?“. Nach einer Literaturanalyse kam der Referent zu dem Ergebnis, dass es zum heutigen Zeitpunkt keine eindeutigen wissenschaftlichen Hinweise für ein erhöhtes Risiko bei der Implantation bei parodontal erkrankten Patienten gibt.
Antibiotika nur bei der aggressiven PAR
Professor Dr. Marc Quirynen, Leuven, ergänzte das Programm mit seinem Beitrag über die unterstützende Behandlung von Parodontitiden mit antiseptischen und antibiotischen Verfahren. Aufgrund der wissenschaftlich nachgewiesenen raschen bakteriellen Rekolonisation von gereinigten Taschen empfiehlt der Referent das Konzept der Full Mouth Desinfection (FMD), das innerhalb von 24 Stunden eine komplette Reinigung und Desinfektion aller Taschen mit 0,1-prozentigem Chlorhexidin-Gel, sowie die Desinfektion des kompletten Oropharyngealbereiches mit geeigneten Chlorhexidin-Präparaten vorsieht. Studiendaten bestätigten einen ein Millimeter höheren Attachmentgewinn nach acht Monaten im Vergleich zu einem im Abstand von 14 Tagen quadrantenweise erfolgten Scaling und Rootplanning. Eine zusätzliche Antibiotikagabe sei nur bei aggressiven Parodontitiden empfehlenswert.
Zukunftsweisend könnte die so genannte Guided Pocket Recolonisation (GPR) sein, also eine gezielte Förderung gutartiger Bakterien, die die Rekolonisation von Taschen mit Parodontopathogenen verhindern. Viel versprechende Ergebnisse hierzu seien im Sommer 2006 zu erwarten.
Zukunftsvisionen
Das Thema „Visionen in der Parodontologie“, das von Professor Dr. Jörg Meyle, Gießen, bearbeitet wurde, bildete den Schluss des wissenschaftlichen Programms. In einem beeindruckenden Vortrag schilderte er mögliche Entwicklungen in der Parodontologie. Vorstellbar seien beispielsweise diagnostische Systeme zum 24-Stunden-Monitoring von parodontal erkrankten Personen, die bei Auftreten eines kritischen Lokalbefundes zur Behandlung in die Praxis kommen.
Für den therapeutischen Bereich werden die Weiterentwicklung von Tissue-Engineering, Nanotechnologie und die Erforschung der Zellbiologie erwartet.
So könnten vielleicht eines Tages tatsächlich extrahierte Weisheitszähne als eine Art Ersatzteillager funktionieren oder Nanorobotor und Microbivoren die Parodontaltherapie revolutionieren.
Die nächste Jahrestagung der Neuen Gruppe findet vom 02. bis 04. November 2006 mit dem Thema „Wege zur Implantation“ in Hannover statt.
ZA Benjamin LaubachPraxis Dr. Marcus SimonGeneralsekretärKonviktstraße 21/2379098 FreiburgBenjamin.laubach@t-online.de