Patientenrechte in Europa

Ein kunterbunter Flickenteppich

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Viele Länder in Europa haben Gesetze oder Charten, die die Rechte der Patienten sichern sollen. Bislang fehlen aber einheitliche Minimalstandards. Hier auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, gleicht einer Sisyphusarbeit.

Einige zigtausend Anfragen hat die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel (SPD), seit ihrem Amtsantritt im Januar 2004 bereits bearbeitet. Die rotgrüne Koalition hatte das Amt im Zuge des GKV-Modernisierungsgesetzes eingerichtet. Kühn-Mengel ist dafür verantwortlich, Anregungen und Fragen von Versicherten und Patienten hinsichtlich Kostenerstattung, Beschwerde bei vermuteten Behandlungsfehlern, Igel-Leistungen oder auch zum Arzt-Patienten-Verhältnis entgegenzunehmen und zu beantworten. Die elektronische Gesundheitskarte, Patientenquittungen, das neu eingerichtete Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sowie ein Anhörungsrecht von Patientenvertretungen an den Beratungen des gemeinsamen Bundesausschuss sollen ihr Übriges tun, den Schutz und die Rechte der Versicherten in Deutschland zu stärken. Das Credo, das hinter all dem steckt, lautet: Ein gut informierter Patient handelt nicht nur selbstbewusster, sondern auch ökonomischer.

Ob die Rechnung aufgeht, lässt sich indes nicht mit konkreten Zahlen und Fakten belegen. Fakt ist derzeit lediglich, dass die elektronische Gesundheitskarte weiter auf sich warten lässt und die Patienten auf Quittungen über die vertragsärztlichen oder -zahnärztlichen Behandlungskosten von sich aus keinen großen Wert legen.

Dennoch ist es um den Schutz und die Rechte der Patienten in Deutschland insgesamt gar nicht so schlecht bestellt. Immerhin stehen den Versicherten und Patienten neben dem Team um Kühn-Mengel auch die Mitarbeiter der Gutachter- und Schlichtungsstellen der Ärzte- und Zahnärztekammern, die Patientenberatungsstellen der Kammern, zahlreiche Verbraucherverbände, Patientenschutzorganisationen, Selbsthilfegruppen sowie die Beratungsstellen der Krankenkassen jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung.

Im europäischen Vergleich gilt der deutsche Patientenschutz allerdings nicht unbedingt als Vorbild. Als Grund führen Kritiker wie die SPD-Europaabgeordnete Karin Jöns an: „Patientenrechte in Deutschland gehen noch immer zu 90 Prozent nur auf weit verstreutes Richterrecht zurück und es gibt bis heute bei uns kein Dokument, in dem diese Rechte verbindlich und übersichtlich zusammengefasst sind.“

Die alte Bundesregierung hatte einen solchen Gesetzentwurf zwar bereits in der Schublade. Aufgrund der Neuwahlen im vergangenen Herbst wurde das Vorhaben jedoch zunächst wieder auf die lange Bank geschoben. Allerdings existiert seit 2002 in Deutschland eine Patientenrechtscharta, an der seinerzeit auch die Bundeszahnärztekammer mitgearbeitet hatte.

Spezielle Gesetze

Andere europäische Länder sind da schon weiter. Die Finnen zum Beispiel können sich bereits seit 1992 auf ein Patientenrechtsgesetz berufen. Die Niederlande, Litauen, Ungarn, Lettland, Griechenland, Dänemark und Norwegen verfügen ebenfalls seit den 90er Jahren über spezielle Gesetze zum Schutz der Patienten. Belgien, Frankreich und Estland zogen im Jahr 2002 nach. Die zypriotische Regierung wiederum erließ im vergangenen Jahr ein eigenständiges Patientenrechtsgesetz. Die übrigen EU-Länder stützen sich in der Regel auf rechtlich unverbindliche Patientencharten.

Freilich ist damit nicht gesagt, dass die Versicherten in diesen Staaten grundsätzlich weniger Rechte haben als Patienten in Ländern mit einem eigenständigen Gesetz. Denn inhaltlich lassen sich auch die einzelnen gesetzlichen Grundlagen nicht so ohne weiteres auf einen gemeinsamen Nenner bringen, was zum Beispiel Fehlermeldeoder Beschwerdemöglichkeiten angeht.

Als vorbildlich in dieser Hinsicht gilt das dänische Modell. In Dänemark sind die kommunalen Verwaltungen verpflichtet, Patienten über die diversen Beschwerdemöglichkeiten bei einer vermuteten Fehlbehandlung aufzuklären, zu beraten und diese bei einem Klagewunsch oder bei Schadensersatzansprüchen zu unterstützen. Die für Beschwerden zuständige Kommission der obersten Gesundheitsbehörde führt zudem Statistiken über auffällig gewordene Ärzte und Einrichtungen und ordnet bei wiederholtem Fehlverhalten eine spezielle Überwachung an.

Dass ein Beschwerde- und Fehlermanagement aber auch ohne gesetzliche Grundlage funktionieren kann, beweist das Beispiel Großbritannien. Grundsätzlich hat jeder Patient des staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS) ein Recht darauf, dass Beschwerden, ob mit oder ohne finanzielle Ansprüche, untersucht und Schritte unternommen werden, ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Kostenlose Hilfestellung leisten entweder so genannte PALSOfficer (Patient Advice and Lisaison Service) des NHS oder die nationale Vereinigung Action against Medical Accidents. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass Großbritannien eine andere Rechtskultur hat, als andere europäische Länder. Denn das angelsächsische Rechtswesen ist traditionell eher von Rechtsprechung auf der Basis von Rechtstreitigkeiten („case law“) anstelle von Rechtsprechung auf der Basis von Gesetzen geprägt.

Trotz der unterschiedlich gewachsenen Rechts- und Gesundheitssysteme und Kulturen in Europa werden einzelne Akteure aus dem Gesundheitsbereich, der Politik oder von Patientenverbänden allerdings nicht müde, einheitliche europäische Mindeststandards für den Patientenschutz zu fordern.

Schwierig: die Definition von Standards

Wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich dies ist, zeigen die bislang wenig erfolgreichen Anläufe von WHO, Europarat, EUKommission oder auch von Vertretern der Gesundheitsberufe und Patientenorganisationen. Denn letztlich kommt bei all den Ansätzen nicht mehr heraus als wohlmeinende Empfehlungen. Beispiel hierfür sind die Charta für Krankenhauspatienten der EU von 1979, die Amsterdamer WHOCharta der Patientenrechte aus 1994, die im Jahr 2000 verfasste Empfehlung des Europarats über die Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen oder die Luxemburgische Erklärung über die Sicherheit der Patienten vom Mai vergangenen Jahres, an der auch die Vertretung der Europäischen Ärzte bei der EU (CPME) mitgewirkt hat. So wird in der Deklaration unter anderem darauf hingewiesen, dass es nicht allein darum gehen kann, fehlerhafte Behandlungsergebnisse zu sanktionieren, sondern dass der Informationsfluss über Therapiemöglichkeiten, Risiken und auch Fehler zwischen allen Akteuren im Gesundheitswesen verstärkt werden muss.

Webportal steckt in der Pipeline

Die EU-Kommission versucht zwar zurzeit, diese Forderung in Form eines EU-Gesundheitsportals umzusetzen. Die Website soll allen interessierten Bürgern zugänglich sein und Informationen, zum Beispiel über die Spezialisierungen von Krankenhäusern, Ärzten und Zahnärzten, aber auch Daten zur Bewertung der (zahn)ärztlichen Leistungen und zur Patientensicherheit, beinhalten. Doch das ist offensichtlich leichter gesagt als getan. Denn momentan steckt das ehrgeizige Projekt in der Pipeline fest: Der geplante Starttermin wurde erst einmal von Anfang dieses Jahres auf April 2006 verschoben.

Ebenso wenig von durchschlagendem Erfolg gekrönt waren die Bemühungen der britischen EU-Ratspräsidentschaft, die Ende November letzten Jahres ein Gipfeltreffen zu Fragen der Patientensicherheit und zum ungleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung innerhalb der einzelnen europäischen Länder organisiert hatte.

Klar ist nur, das Thema wird auf der europäischen Agenda bleiben. Und im Zweifel wird es vor allem der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein, der, wie schon in der Vergangenheit im Hinblick auf Fragen zur Kostenerstattung oder zur Patientenmobilität für eine weitere Angleichung der Patientenrechte in Europa sorgen wird. Jüngstes Beispiel: Im Sommer vergangenen Jahres sprachen die Luxemburger Richter einer Psychiatriepatientin eine Entschädigung von 75 000 Euro zu, da die Frau aus Sicht des EuGH zu Unrecht jahrelang wegen einer Psychose beziehungsweise Schizophrenie behandelt worden war.

Petra SpielbergRue Colonel van Gele 98B-1040 Brüssel

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