Einweihung der neuen Zahnklinik in Greifswald

Arme Eltern - krankes Kind

Heftarchiv Gesellschaft
Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hängt stark von ihrer sozialen Herkunft ab. Den meisten geht es gut, doch Migranten und sozial Schwache schneiden oft schlecht ab. Dies zeigt der neue Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts. Politik, Ärzteschaft und Kassen sehen akuten Handlungsbedarf.

„Die meisten Kinder sind sportlich aktiv, normalgewichtig und ausgeglichen“, kommentiert Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS), den das Robert Koch-Institut (RKI) am 16. Mai in Berlin vorgelegt hat. „Doch leider gibt es auch das genaue Gegenteil.“ Die Studie stellt wichtige Daten zur gesundheitlichen Situation der jungen deutschen Generation zur Verfügung, deckt Defizite auf und zeigt Handlungsfelder für künftige Maßnahmen. Wesentliche Erkenntnisse sind:

• Vor allem Heranwachsende aus sozial benachteiligten Familien und Elternhäusern mit Migrationshintergrund sind schlechter dran. Bei ihnen gibt es häufiger einen ungesunden Lebensstil und ein erhöhtes Unfallrisiko. Auch Vorsorgeuntersuchungen werden seltener besucht.

• Insgesamt zeigt sich eine Verschiebung von akuten zu chronischen Erkrankungen wie Fettleibigkeit, Asthma oder Allergien. So gelten 15 Prozent der Jungen und Mädchen als übergewichtig. Bronchitis, Neurodermitis und Heuschnupfen sind die häufigsten chronischen Krankheiten.

• Körperliche Erkrankungen verlagern sich vermehrt in Richtung psychischer Störungen. Jedes zehnte Mädchen und fast jeder fünfte Junge sind betroffen. Sie leiden vor allem unter Verhaltensproblemen, emotionalen Schwierigkeiten und Hyperaktivität.

• Ungünstiges Familienklima und niedriger sozioökonomischer Status sind die wichtigsten Risikofaktoren.

• Es gibt kaum noch gesundheitliche Unterschiede zwischen Ost und West.

Status bestimmt Zahnpflege

Die KiGGS macht auch Aussagen zum Mundgesundheitsverhalten. Nach wie vor sind Kinder von Karies betroffen – trotz erfolgreicher Prävention und Beeinflussbarkeit der Mundgesundheit durch individuelles Verhalten. Laut der Studie reinigen eine Reihe von Heranwachsenden nur einmal täglich oder seltener die Zähne. Dieses Zahnputzverhalten weist einen sozialen Gradienten auf und ist bei Kindern aus Einwandererfamilien häufiger festzustellen als bei anderen. Zudem machten die Forscher einen Geschlechterunterschied aus: Etwas mehr Jungen als Mädchen putzen ihre Zähne höchstens einmal am Tag. Aufgrund der Resultate sehen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler vor allem einen sozialstatus- und kulturspezifisch bedingten Präventionsbedarf im Mundgesundheitsverhalten.

Das BMG hat bereits Projekte und politischen Aktivitäten zur Verbesserung der Kindergesundheit umgesetzt. Beispielsweise fördert das Ministerium die Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“, die sich für Unfallverhütung engagiert. Zudem bietet das BMG im Internet eine Vielzahl von Plattformen zu speziellen Themen wie kindliche Entwicklung (www.kindergesundheit-info.de) oder etwa Drogenkonsum (www.drugcom.de) an. Was die Zahnund Mundgesundheit betrifft, weist das BMG auf die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe nach § 21 SGB V hin. Um Kinder mit hohem Kariesrisiko zu erreichen, setzt das Ministerium weiterhin vor allem auf die aufsuchende Betreuung von Kindergärten, Schulen und Behinderteneinrichtungen. Hier darf das Engagement aller Beteiligten – insbesondere zur Umsetzung spezifischer Programme für die risikoorientierte Intensivbetreuung – nicht nachlassen.

Einzigartige Datenbasis

Erklärtes Ziel der Studie war es, Problemfelder und Risikogruppen zu identifizieren, Gesundheitsziele zu definieren sowie gezielt Ansätze für Hilfsmaßnahmen und Vorbeugung zu entwickeln und umzusetzen. Der KiGGS ist die größte epidemiologische Studie Deutschlands. Insgesamt 17 641 Kinder und Jugendliche nahmen im Zeitraum von Mai 2003 bis Mai 2006 an 167 Orten daran teil. Schriftliche Selbstausfüllfragebögen für Eltern und für Kinder ab elf Jahren sowie ein computergestütztes ärztliches Eltern-Interview lieferten umfangreiche Daten.

Daneben kamen körperliche Untersuchungen – zahnärztliche ausgenommen – und Tests sowie Probeentnahmen von Blut und Urin zum Einsatz. Über die Bildung und die berufliche Stellung der Eltern sowie das Haushaltsnettoeinkommen ermittelten die Forscher den Sozialstatus der Teilnehmer. Heranwachsende aus Migrantenfamilien waren laut RKI erstmals bundesweit vertreten.

Ärztetag nahm Thema auf

Der 110. Deutsche Ärztetag bezog Stellung zu den Ergebnissen des Surveys. Die Delegierten sprachen sich für ein System verbindlicher Früherkennungsuntersuchungen aus. Ein gesetzlich verankertes Meldewesen sei nötig, so lautete der Appell an die Bundesregierung. Zu den Plänen der Ärzte gehört es, bestehende Vorsorgeuntersuchungen zu erweitern und um primärpräventive Anteile zu ergänzen. Um Eltern zum Mitmachen zu bewegen, sollen auch Vertreter der Jugendhilfe und des öffentlichen Gesundheitsdienstes eingespannt werden.

Die Ärzte legen noch weitere konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Kindergesundheit vor. Dazu zählt ein neues Programm, das Eltern bei der Verbesserung ihrer Erziehungsfähigkeit helfen soll. Engagement erwarten die Ärzte auch von der Bundesregierung in Sachen Werbebeschränkungen für Alkohol und Nikotin. Außerdem im Fokus der Ärzte: die Schulen. So votierten sie für mehr Sportunterricht. Zudem solle es einen speziellen Gesundheitsunterricht geben, forderte Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe.

Auch die Krankenkassen haben aus dem Problemkreis, den der Survey aufzeigt, Konsequenzen gezogen. Ein Beispiel ist ein Aktionsplan, den die AOK gemeinsam mit dem Magazin „Stern“ und dem Fernsehsender „RTL“ entwickelt hat. Unter dem Motto „Gesunde Kinder – gesunde Zukunft“ will die Kasse in Familien, Kindergärten, Schulen und Vereinen für gesunde Ernährung und mehr Bewegung werben. Der Aktionsplan besteht aus neun Punkten und beinhaltet konkrete Tipps für den Familienalltag – wie feste gemeinsame Zeiten. AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens fordert weitere Maßnahmen. Ernährungsberater der Kasse sollen Kindergärten besuchen und so die Problemfamilien erreichen.

Dringenden Handlungsbedarf sieht auch Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sie spricht von einen Teufelskreis von gesundheitlichen Problemen und Lernschwierigkeiten. Diesen müsse man mit viel Präventionsarbeit und Hilfsangeboten an die Familien durchbrechen. Auch wenn die Projektarbeit gegen gesundheitliche Ungleichheiten noch ganz am Anfang stehe, schneide Deutschland im internationalen Vergleich gut ab. Dies zeigten die Resultate eines europäischen Projekts unter Federführung der BzgA. So gebe es in Deutschland schon viele gute Praxisbeispiele für mehr gesundheitliche Gleichheit. Bereits 40 vorbildhafte deutsche Projekte seien in der Internet-Datenbankwww.health-inequalities.euvertreten. jr

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