Repetitorium

Berg- und Höhenmedizin

sp
Der aktuelle Unglücksfall einer deutschen Gleitschirmfliegerin, die während eines Unwetters in etwa 10 000 Meter Höhe geschleudert wurde und wie durch ein Wunder überlebte, gibt Anlass, das Thema Höhenmedizin genauer zu betrachten. Wer sich zum Beispiel bei Trekkingtouren oder anderen Expeditionen in große Höhen begibt, muss seinen Körper auf diese Situation vorbereiten und auch an Ort und Stelle Vorsichtsmaßnahmen beherzigen. Sonst können Höhenkrankheiten auftreten, die unter Umständen lebensbedrohlich verlaufen.

Unser Organismus ist in optimaler Weise an das Leben in unseren Breitengraden und in normaler Höhe angepasst. Begibt sich der Mensch in große Höhen – also in Regionen, in denen der Luftdruck kontinuierlich abnimmt – bedarf es einiger Vorsichtsmaßnahmen, damit nicht akute Gesundheitsgefahren auftreten.

Höhenbereiche berücksichtigen

Unterhalb einer Höhe von 1 500 Metern ist nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin im Allgemeinen nicht mit Gesundheitsbeeinträchtigungen zu rechnen. In größerer Höhe aber ist Vorsicht geboten. Das gilt für den Höhenbereich von 2 000 bis 2 500 Metern, in denen Ausdauersportler ihr Höhentraining absolvieren und erst recht im Höhenbereich von 3 000 bis 5 500 Metern, dem Hauptbereich für Trekkingtouren. In diesen Höhenregionen kann sich ein gesunder Mensch vollständig an die Höhenverhältnisse anpassen und nahezu normal leistungsfähig sein, vorausgesetzt er berücksichtigt die Adaptationszeit, so heißt es in einer Informationsschrift der Gesellschaft.

Oberhalb von 5 500 Metern aber ist demnach eine vollständige Anpassung an die Höhe für den Menschen nicht mehr möglich, was vor allem durch den Sauerstoffmangel bedingt ist. Der Sauerstoffpartialdruck der Luft nimmt mit steigender Höhe kontinuierlich ab, und auf 5 500 Metern Höhe sind nur noch etwa 50 Prozent des Normaldrucks auf Meereshöhe wirksam. Fast zwangsläufig resultiert damit ein Sauerstoffmangel und dadurch bedingt ein Abbau der körperlichen und der geistigen Leistungsfähigkeit. Deshalb leben oberhalb dieser Grenze in aller Regel keine Menschen dauerhaft und auch Basislager für Expeditionsbergsteiger sollten dort nicht errichtet werden.

Infolge des geringeren Luftdrucks kommt es in großer Höhe vor allem zu einem Sauerstoffmangel im Gewebe. Der Körper beantwortet dies durch eine vermehrte und vertiefte Atmung, wodurch mehr Sauerstoff aufgenommen werden kann. Parallel dazu vergrößert das Herz seine Pumpleistung, indem es die Herzfrequenz und auch das Schlagvolumen steigert. Die Zahl der roten Blutkörperchen vermehrt sich, was allerdings einige Tage dauert. Danach kann durch die Anpassungsreaktion mehr Sauerstoff durch den Körper transportiert werden. In den Körperzellen kommt es zu Veränderungen, die zur Folge haben, dass das Sauerstoffangebot besser ausgeschöpft wird. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass in der Höhe etwa zehn Prozent der Muskelmasse abgebaut werden, wobei aber die Gefäßversorgung des Muskels und damit die Durchblutung nicht beeinträchtigt ist.

Um dem Organismus eine gute Akklimatisation zu ermöglichen, sollte der Anstieg nicht zu schnell erfolgen. Ebenso sollte in der Anpassungsphase auf anaerobe An strengungen verzichtet werden. Es gilt ferner der Slogan „climb high – sleep low“, essollte also eine möglichst niedrige Schlafhöhe gewählt werden. Der tägliche Gewinn an Schlafhöhe sollte nicht größer sein als 300 bis 500 Meter. Nach 1 000 Metern Zugewinn ist ein zusätzlicher Ruhetag einzuhalten, raten die Höhenmediziner.

Generell ist zudem auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten, die Nahrung sollte kohlenhydratreich sein.

Ist eine trainingsgemäße Ausdauerleistung möglich, der Ruhepuls wieder auf den Vorwert gesunken, die Atmung in Ruhe und unter Belastung vertieft und auch nachts periodisch, so kann von einer erfolgten Akklimatisation ausgegangen werden.

Beeinträchtigungen durch die Anpassungsreaktionen

Allerdings ist durchaus mit Beeinträchtigungen durch die Akklimatisation zu rechnen. Denn die Vermehrung der Erythrozyten bedingt eine Eindickung des Blutes und somit eine Verlangsamung des Blutstroms mit erhöhtem Risiko für eine Thrombenbildung, wenn nicht genügend Flüssigkeit aufgenommen wird.

Es resultiert außerdem eine Mehrbelastung für Herz und Kreislauf und in aller Regel damit auch eine schlechtere Durchblutung der Extremitäten, was wiederum Erfrierungen begünstigt.

Generell ist infolge des höhenbedingten Sauerstoffmangels zudem bei noch nicht voll erfolgter Anpassung mit einer verminderten Beurteilungs- und Reaktionsfähigkeit zu rechnen. Das kann nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin erklären, warum Menschen in großer Höhe häufiger durch Unfälle zu Schaden kommen als durch eine akute Höhenkrankheit. Bei extremen Höhenbergsteigern wurden, so Informationen der Gesellschaft, zudem länger andauernde Störungen des Kurzzeit-Gedächtnisses beobachtet.

Typischerweise sind, so heißt es in den Informationen weiter, bei Trekkingtouren und Expeditionen zunächst infolge der Kost- und Klimaumstellung Magen-Darm-Probleme zu befürchten. Zu den üblichen Höhenbeschwerden während der Adaptationsphase gehören ferner leichte Kopfschmerzen, Schlaf- und Appetitstörungen sowie Atemlosigkeit bei Belastung.

Während der Tour treten oft Erkältungskrankheiten und nach einiger Zeit auch ein Reizhusten infolge der verstärkten Atmung in der kalten trockenen Höhenluft auf. Im weiteren Verlauf nimmt offensichtlich die Abwehrkraft ab, und es kann schon bei banalen Verletzungen zu Wundheilungsstörungen kommen.

Akute Höhenkrankheit

Wird nicht konsequent auf eine gute Adaptation mit ausreichender Adaptationszeit geachtet, so droht unweigerlich die akute Höhenkrankheit. Sie kann bei Menschen, die nicht an die Höhe gewöhnt sind, bereits ab 3 000 Metern auftreten, wobei die Gefahr umso größer ist, je rascher der Aufstieg erfolgte. Kommen die Betroffenen wieder ins Tal, so normalisiert sich die Situation meist rasch.

Einen zuverlässigen Schutz vor der Höhenkrankheit gibt es nicht, es erkranken nach Expertenangaben auch Menschen, die ein gutes Ausdauertraining hinter sich haben, und sogar Hochlandbewohner, wenn sie eine Zeitlang im Tiefland gelebt haben und in die Höhenregion zurückkehren.

Frühzeichen einer drohenden oder beginnenden Höhenkrankheit sind üblicherweise starke Kopfschmerzen, die sich auch durch Analgetika nicht bessern. Der Ruhepuls steigt um mehr als 20 Prozent an, es sind geschwollene Hände und Beine zu beklagen, der Betroffene ist kurzatmig, appetitlos und hat Schlafstörungen, wobei im Schlaf häufig Apnoephasen zu beobachten sind. Übelkeit und Erbrechen können hinzukommen, ebenso Konzentrationsstörungen, Koordinationsstörungen, ein ungewohnter Leistungsverlust, Reizbarkeit und eine Bewusstseinstrübung. Die Symptome können individuell stark variieren.

Bei solchen Frühzeichen kann mit einem Tag Rast, gesüßten Getränken und einem Abstieg um mindestens 500 Höhenmeter versucht werden, die Situation in den Griff zu bekommen. Eine unverzügliche und konsequente Behandlung mit sofortigem Abstieg um mindestens 500 Höhenmeter ist notwendig bei einem rapiden Leistungsabfall, bei anhaltenden schweren Kopfschmerzen, Herzjagen, Schlaflosigkeit, schwerer Übelkeit und Erbrehen, bei Schwindel, Benommenheit, Lichtempfindlichkeit und Gleichgewichtsstörungen.

Generell ist die wichtigste Erste-Hilfe-Maßnahme bei der akuten Höhenkrankheit der Abstieg, also die Rückkehr in tiefere Regionen – und das notfalls direkt als Abtransport des Betreffenden. In schweren Fällen ist auch eine Behandlung im Überdrucksack möglich.

Das Höhenlungenödem

Bei ein bis drei Prozent derjenigen, die sich über 4 000 Meter begeben, entwickelt sich ein Höhenlungenödem, auch „High altitude pulmonary edema“ (HAPE) genannt. Grundlage der Störung ist ein inhomogener Druckanstieg, eine alveoläre Flüssigkeitszunahme und daraus folgend Entzündungsvorgänge im Bereich der Lunge. Es gibt zwei Formen dieser bedrohlichen Erkrankung, und zwar das sich langsam über 24 bis 48 Stunden bildende und das rasch, zum Teil plötzlich auftretende Lungenödem, das Ursache der in der Höhe auftretenden plötzlichen Todesfälle sein kann.

Alarmsymptome für ein Höhenlungenödem sind Atemnot bei normaler Anstrengung, rasselnde Atemgeräusche, Husten und ein plötzlicher Leistungsabfall und Erschöpfung sowie bläulich verfärbte Lippen und Fingernägel. Begleitend besteht nichtselten auch Fieber. Zeichen einer akuten Bedrohung sind Symptome wie eine Ruhedyspnoe, ein schwerer Husten mit schaumig-rötlichem Auswurf und eine schwere Zyanose.

Als Risikofaktoren für die Störung nennt die Fachgesellschaft im Wesentlichen eine unzureichende Akklimatisation des Körpers infolge eines zu schnellen Aufstiegs. Begünstigend können wahrscheinlich auch zu geringe Trinkmengen oder Flüssigkeitsverluste wirken, etwa durch Erbrechen oder eine Diarrhoe. Wie auch in Tieflagen besteht beim Lungenödem ohne adäquate Behandlung Lebensgefahr. Therapeutisch sind Sauerstoffgaben indiziert, eine Behandlung im Überdrucksack und der möglichst sofortige Abtransport in Tieflagen.

Das Höhenhirnödem

Noch gefährlicher als das Höhenlungenödem ist das Höhenhirnödem, auch als „High altitude cerebral edema“, kurz HACE, bezeichnet. Die Erkrankung ist Folge einer Hypoxie, die zu einer Zunahme des zerebralen Blutflusses und zu einer eingeschränkten Autoregulation führt. Der veränderte Flüssigkeitshaushalt und die veränderte Durchblutung können eine Drucksteigerung und Schwellungen im Gehirn bewirken. Die Störung, mit der jedoch erst in Lagen oberhalb von 5 000 Metern gerechnet werden muss, verläuft in 40 Prozent der Fälle letal.

Schwere Kopfschmerzen, Koordinationsstörungen, Gang- und Gleichgewichtsschwankungen sind die ersten Anzeichen. Es kann ferner zu Doppelsehen und allgemein Sehstörungen kommen, zu Halluzinationen und Bewusstseinstrübungen, zu vernunftwidrigem Verhalten, Apathie und zur Bewusstlosigkeit. Treten entsprechende Symptome auf, so sollte mit Sauerstoff und hohen Kortisondosen behandelt werden und der sofortige Abstieg respektive Abtransport erfolgen.

Kälteschäden im Gebirge

Zusätzlich zum Sauerstoffmangel in großer Höhe macht den Menschen die Kälte zuschaffen und das unabhängig von lokalen Erfrierungen. Sauerstoffmangel und Kälte können sich sogar gegenseitig verstärken. So kann die Zentralisation des Kreislaufs infolge der peripheren Vasokonstriktion eine pulmonale Hypertonie fördern und das Risiko fürein Höhenlungenödem noch steigern.

Umgekehrt ist die Wärmeproduktion im Körper bei verminderter Sauerstoffaufnahmefähigkeit eingeschränkt, und das zum Teil so stark, dass Wärmeverluste über die Umgebungstemperatur und die Atmung kaum mehr ausgeglichen werden können. Trotz optimaler Schutzkleidung kann es dann zur Entwicklung von Kälteschäden kommen.

Gesundheitsgefahren gehen vor allem von den Reaktionen des Herz-Kreislaufsystems auf die Kälte aus, und zwar von der Vasokonstriktion der Hautgefäße. Sie bedingt eine erhebliche Volumenverschiebung in das tiefe Venensystem und damit einen Anstieg des systemischen und des pulmonalen Blutdrucks, zur Zunahme der Herzarbeit und damit auch zur Zunahme des myokardialen Sauerstoffsverbrauchs und der Diurese. In Kombination mit der per se bereits erhöhten Blutviskosität, mit der das System auf den Sauerstoffmangel reagiert, kann so einem Herzinfarkt wie auch einer Hirnblutung Vorschub geleistet werden. Auch im Bereich der Atemwege kommt es in großer Höhe zu Auskühlungen, wobeiSchleimhautschädigungen und ein sich daraus ergebender „Höhenhusten“ möglich sind.

Gravierender noch sind meist die Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem, denn Kälte und ein verminderter Blutfluss ziehen einen gedrosselten Hirnstoffwechsel nach sich. Die Folge sind Denk- und Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und ein gestörtes Urteilsvermögen. Koordinationsstörungen treten auf, Gefahren werden nicht mehr adäquat wahrgenommen, der Überlebenswille erlahmt. Es kann zu irrationalen Entscheidungen kommen, was die nicht seltenen Unfälle auch bei erfahrenen Bergsteigern erklärt.

Kälteschäden sind zudem in der Muskulatur zu erwarten, die zunächst reflektorisch mit einer Steigerung des Muskeltonus auf den Kältereiz antwortet, mit Frösteln, Muskelzittern und einer deutlichen Steigerung des Stoffwechsels. Trotzdem sind die Muskelkraft und die Beweglichkeit vermindert, und es drohen bei Anstrengungen Muskelrisse.

Erschöpfungssyndrome

Besonders zu achten ist in der Höhe auf Erschöpfungssyndrome, wobei zwischen physischer und psychischer Ermüdung zu unterscheiden ist, wenngleich beide Erscheinungen bei Bergsteigern meist zeitgleich auftreten. Die wohl wichtigste Maßnahme bei Erschöpfung ist es, die Belastungssituation zu beenden oder so zu mildern, dass der Organismus sich erholen kann. Das aber ist nur noch bedingt möglich, wenn die Energiereserven aufgebraucht sind. Eine Laktatanhäufung im Muskel, Verschiebungen des Säure-Basen-Gleichgewichtes und der Elektrolytkonzentrationen in der Muskulatur, wie sie bei Höchstbelastungen auftreten können, sindnicht ohne Weiteres auszugleichen.

Schwerer noch wiegt oftmals die psychische Erschöpfung durch die andauernde Schwerstarbeit und möglicherweise auch durch ungeplante Zusatzbelastungen, etwainfolge eines Wetterumschlags, einer Lawine oder einer Verletzung.

Die körperliche wie auch geistige Ermüdung kann in echte Erschöpfung übergehen, was zum kompletten Zusammenbruch führen kann, insbesondere, wenn weitere gesundheitliche Probleme, beispielsweise eine Höhenkrankheit, hinzukommen.

Zeichen für einen drohenden Kollaps sind eine zunehmende Schwäche in der Muskulatur, eine verlangsamte und unregelmäßige Gangart, das dringende Bedürfnis nach Pausen und ein dauernd erhöhter Puls sowie eine vermehrte Atmung. Auch Unruhe, Reizbarkeit, Unsicherheiten undAngstzustände, sowie Übelkeit und Brechreiz, Seitenstechen und eine Verlangsamung von Wahrnehmungen können Symptome der Erschöpfung sein. In solchen Fällen ist unbedingt Rast einzulegen. Es sollte für einen guten Kälteschutz gesorgt und ein heißes gesüßtes Getränk verabreicht werden. Hilfreich sind auch Schokolade und Müsliriegel, um die Energiezufuhr rasch zu steigern.

Von besonderer Bedeutung aber ist die psychische Betreuung des Betroffenen, die im Falle einer akuten Gefährdung über die Bergung hinaus anhalten muss. Sonst nämlich droht beim Wegfall der Stresssituation ein völliges Zusammenbrechen der lebenserhaltenden Anpassungsvorgänge – was den im Fachjargon so genannten Bergungstod zur Folge haben kann.

Die Autorin der Rubrik „Repetitorium“ ist gerne bereit, Fragen zu ihren Beiträgen zu beantworten

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.