Reaktionen auf die Reform

Vor dem Startschuss

„Zügig“ wäre die falsche Beschreibung für die Arbeit an der Gesundheitsreform, „hektisch“ passte definitiv besser. Das zeigte sich in den letzten Wochen einmal mehr: Die nach überstürzter Abstimmung vom Bundesrat am 16. Februar 2007 freigegebene Gesundheitsreform lag geschlagene 14 Tage später am 2. März noch immer nicht jenem vor, dessen Placet sie unbedingt braucht: Horst Köhler, seines Zeichens Bundespräsident und mittlerweile in dieser Funktion auf dem südamerikanischen Subkontinent unterwegs.

Die Verzögerung liege an der Wahl des exklusiven Büttenpapiers munkelte die Zeitung „Die Welt". Oder daran, dass „das Gesundheitsministerium so lange brauche, um die vielen Fehler auszubügeln," toppte der Gesundheitsexperte der Liberalen Daniel Bahr. Die Linksfraktion zog gar Parallelen zu dem Procedere mit den Bundestagsabgeordneten, denen die zahlreichen Änderungen erst in der Nacht vor der Abstimmung vorgelegt worden waren.

Die Reform werde wegen dieser Verzögerung wohl verspätet in Kraft treten, unkte entsprechend die Deutsche Presseagentur prompt. Um diese Nachricht am nächsten Tag zu wiederrufen: Der Zeitplan werde doch eingehalten – auch wenn sich der Bundespräsident das Recht zur gründlichen Prüfung nicht nehmen lasse. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldete, Köhler lese das Papier gerade „quer". Er ist übrigens an keine Frist gebunden; Zweifel am pünktlichen Start zum 1. April blieben denn auch bis Redaktionsschluss.

Entpuppte sich die Reform tatsächlich zumindest in Teilen als Aprilscherz, wäre dieses offenbar so manchem Arzt, manchem Standesvertreter und Kassenfunktionär recht, wie deren Echo auf die Entscheidung des Bundesrates im Februar zeigte. Doch so wichtig das Opponieren in Zeiten der Verhandlung war – die ersten Schritte zur Umsetzung werden getan.

Die KBV filterte „einige positive Ansätze für Patienten und Ärzte" als „erkennbar" heraus. Die KZBV hat die Anpassung der entsprechenden Bundesmantelverträge auf die Tagesordnung gesetzt.

Die BZÄK macht sich stark für Regelungen, die den Vorgaben zum Trotz den Anschluss an wissenschaftlichen Fortschritt sichern.

Feind des medizinischen Fortschritts …

… nannte Bundeszahnärztekammer-Präsident Dr. Dr. Jürgen Weitkamp speziell den Basistarif. Er appellierte an die Politiker, die Zeit bis zum Inkrafttreten 2009 zu nutzen, um die Vorgaben zu überarbeiten. Aschermittwoch, dem Tag der öffentlichen Buße, forderte er sie zu „tiefem Nachdenken beim Gesundheits-Reformgesetz" auf. Der umstrittene Basistarif der privaten Krankenversicherung (PKV) müsse nochmals gründlich geprüft werden: „Noch bleiben 22 Monate, ehe dieser Tarif in Kraft tritt. In dieser Zeit werden wir nicht aufhören, die unzulässige Verknüpfung der beiden Systeme gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und PKV weiter zu bekämpfen." Weitkamp befürchtete, dass die Verkoppelung der Systeme und die darin enthaltenen Leistungs- und Vergütungsstrukturen eine Teilhabe der Patienten am Niveau der jeweils neuesten wissenschaftlich abgesicherten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Deutschland gefährde.

Schon drei Wochen zuvor hatte die Außerordentliche Bundesversammlung der BZÄK die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aufgefordert, gegen den vorliegenden Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (WSG) zu stimmen. Denn dieses führe zu Staatsdirigismus und Zuteilungsmedizin.

Kritisch blieb auch die BÄK. Ihr Präsident Prof. Jörg-Dietrich Hoppe betonte die Notwendigkeit, zum einen die Patienten fortgesetzt über ihre Nachteile etwa auf dem Lande durch die angepeilte „Marktbereinigung" bei Kliniken und Praxen aufzuklären und zum anderen auf Korrekturen durch die Politik hin zu arbeiten.

„Thema verfehlt. Ein anderes Urteil kann man der Regierung für diese Reform nicht ausstellen," kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Jürgen Fedderwitz, die ungelösten Finanzierungs- und Strukturprobleme, den bürokratisierten Wettbewerb und andere, mit dieser „Koalitionsarithmetik" vertane Chancen. Auch er sah durch den Basistarif die Gefahr, dass dem Großteil der Privatversicherten die Abkoppelung vom medizinischen Fortschritt drohe. Der KZBV-Vorstand zeigt sich entschlossen, die weitere Entwicklung aktiv mitzubestimmen, zum Beispiel mit den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung möglichst kurzfristig die Bundesmantelverträge zur Ausgestaltung der gesetzlichen Neuerungen anzupassen. Ulrich Weigeldt, Vize der KBV, erklärte, er begrüße einige der Neuregelungen, die das Gesetz zur Stärkung der Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-WSG beim Thema Arzneimittel vorsehe, etwa die Kosten-Nutzen-Bewertung von Medikamenten. Sie werde Vertragsärzten künftig mehr Sicherheit bei der Verordnung geben. Er halte es auch für sinnvoll, dass es für Präparate mit guter Bewertung keinen Höchsterstattungsbetrag geben soll. Weigeldt befürwortete weiter: „dass die Krankenkassen verpflichtet werden, die Medikamente für nichtkommerzielle Arzneimittel-Studien zu finanzieren." Viele Hersteller seien aus wirtschaftlichen Gründen nicht an Erkenntnissen interessiert, ob ihre Präparate sich für weitere Anwendungsgebiete eigneten. Dieses zu finanzieren könne jedoch nicht Aufgabe einzelner Ärzte sein. Zweitmeinungen bei der Verordnung besonderer Arzneimittel mit hohen Jahrestherapiekosten oder erheblichem Risikopotential halte die KBV grundsätzlich für richtig, für falsch allerdings, dass der hinzugezogene Kollege im Zweifelsfall allein entscheiden solle. Die Palette der Schutzimpfungen gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zu erweitern, werde allen Patienten nutzen, sagte Weigeldt.

Die Basis grummelt

Die Basis der Ärzteschaft äußerte sich wiederum wenig lobend über die agierenden Politiker. Das belegte der jetzt veröffentlichte GfK Ärzteklima-Index für das vierte Quartal 2006. Wie die Marktforscher der Nürnberger GfK-HealthCare-Gruppe feststellten, haben die bundesdeutschen Hausärzte eine sehr schlechte Meinung von Gesundheitspolitikern, insbesondere von deren Sachkompetenz. Insgesamt habe sich die Stimmungslage bei den Ärzten bis Ende 2006 leicht gebessert, doch stuften sie die Lage des Gesundheitswesens nach wie vor kritisch ein: Der Gesamtindex steht derzeit bei minus 10 Punkten und prognostiziert für das erste Quartal 2007 eine Verschlechterung auf minus 17 Punkte. Das sind die zentralen Ergebnisse des GfK Ärzteklima-Index für das vierte Quartal 2006, der auf vierteljährlichen Online-Befragungen von insgesamt 372 Allgemeinmedizinern und Internisten in Deutschland basiert.

Zudem beklagt laut GfK die Mehrheit der Hausärzte unnötige Bürokratie und Behandlungseinschränkungen durch die Krankenkassen. Der Indikator Gesundheitspolitik liegt derzeit bei minus zehn Punkten und wird sich im laufenden Quartal wohl um drei Punkte verschlechtern.

Der Haushalt leidet

Nur jeder fünfte niedergelassene Arzt war Ende 2006 mit der finanziellen Situation seiner Praxis zufrieden, die übrigen kämpften mit sinkendem Praxisumsatz bei vermehrter Arbeit. Der GfK-Index Arztpraxen liegt aktuell bei minus 29 Punkten, entsprechend steht die Ärzteschaft solidarisch hinter den Protestaktionen gegen die Gesundheitsreform. Insbesondere der damit verbundene Ausbau der Bürokratie, die Verschärfung der Budgetierung und die dadurch einhergehende Verschlechterung der Patientenversorgung riefen den Protest auf den Plan. Das „bürokratische Monster" Gesundheitsfonds verschlingt nach Meinung der befragten Ärzte die finanziellen Mittel, die für das Gesundheitssystem erforderlich wären. 83 Prozent unterstützten die Protestaktionen als wichtiges Mittel zum Ausdruck ihrer Unzufriedenheit.

Die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen Anja Hajduk erklärte mit Blick auf das aktuelle Konzeptpapier für die neue Finanzplanung der Regierung als „die bittere Pille zur Gesundheitsreform … Das Ziel ausgeglichener Haushalte wurde vor allem leichtfertig einer halbgaren Gesundheitsreform geopfert. Den Preis dafür zahlen künftige Generationen, die die Kosten für diese schuldenfinanzierte Reform zu schultern haben." Allein für den ansteigenden Bundeszuschuss zu den Krankenkassen seien bis zum Ende der künftigen Finanzplanperiode im Jahr 2011 über 20 Milliarden Euro zusätzlicher Mittel bereitzustellen. Der heutige Konsolidierungsbedarf für einen ausgeglichenen Haushalt werde dadurch mit einem Schlag verdoppelt.

Anders Ralf Sjuts, Vorstandsvorsitzender der Deutschen BKK. Er zog in der Financial Times Deutschland sein eigenes Resümee: die Gesundheitsreform diene auch als Türöffner für jene Trends, die den Gesundheitsmarkt der Zukunft bestimmen werden; so erlaube sie beispielsweise individuellere Tarife und Produkte zu entwickeln, durch die Krankenkassen für den Verbraucher erstmals voneinander unterscheidbar würden. Das werde die derzeit homogene Struktur im GKV-Markt aufbrechen und Wettbewerb und Liberalisierung langfristig fördern. Zudem werde der Megatrend „Vorbeugung statt Therapie" jetzt im Gesetz verankert, meinte Sjuts, der jedoch zugleich die nachhaltige Finanzierung der Krankenversicherung vermisste. Mit Einsparungen allein sei es nicht getan – ab einem bestimmten Zeitpunkt leide die Qualität der Versorgung, erklärte er explizit mit Blick „auf die Chancen des zweiten, privat finanzierten Gesundheitsmarktes".

Immerhin ist 2004 bereits ein Viertel aller Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche gezahlt worden, Tendenz „verlockend".

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