Konsultationsprozess für den europäischen Gesundheitsmarkt

Keiner will sich festlegen

Ende September 2006 hatte die Europäische Kommission allen Interessierten vier Monate lang Zeit gegeben, Anregungen für Maßnahmen zu liefern, um die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa zu regeln. Das Ergebnis dieses sogenannten Konsultationsprozesses: Es läuft auf einen Mix aus gesetzlichen Vorschriften und rechtlich unverbindlichen Maßnahmen hinaus. Gesundheitskommissar Markos Kyprianou sieht sich durch die zahlreichen Zuschriften damit in seiner Forderung nach einem umfassenden Regelungsrahmen bestätigt. Konkrete Vorschläge will er gegen Ende des Jahres vorlegen.

Entspannt traten Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und der Gesundheitskommissar der Europäischen Union (EU), Markos Kyprianou, in Aachen vor die Presse. Zwei Tage lang hatte die Ministerin mit ihren 26 europäischen Amtskollegen und dem Kommissar über Visionen einer künftigen europäischen Gesundheitspolitik beraten. Am Ende war man sich über den groben Weg einig.

Demnach soll allen EU-Bürgern künftig grundsätzlich ein unbürokratischer Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung offen stehen, unabhängig von der Größe des Geldbeutels. Auch müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich Versicherte jederzeit umfassend über Versorgungsangebote, auch im Ausland, und die Qualität der Leistungen informieren können, so die Ministerin. Einer Studie des Unternehmens Health Consumer Powerhouse zufolge glauben ein Fünftel der EU-Bürger, sie hätten kein Recht, sich grenzüberschreitend behandeln zu lassen. Weitere 30 Prozent sind sich nicht sicher. „Um entsprechende Rechtssicherheit herzustellen, ohne die nationale Zuständigkeit für die Gesundheitssysteme anzutasten, benötigen wir einen Mix aus gesetzlichen Vorschriften und darüber hinausgehende Maßnahmen“, beschrieb Kyprianou den geplanten Regelungsrahmen.

Infos hinterm Berg gehalten

Lange hatte der Kommissar damit hinter dem Berg gehalten, ob er rechtsverbindliche Vorschriften für zwingend notwendig hält, um den Druck auf die Regierungen und die Akteure im Gesundheitswesen zu erhöhen, damit diese bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung geltendes EG-Recht beachten. Immerhin sind seit dem Beschluss, die Gesundheits- und Sozialdienstleistungen aus der Dienstleistungsrichtlinie auszuklammern und speziell auf die Besonderheiten beider Branchen zugeschnittene Regelungen zu ersinnen, 15 Monate vergangen. Die EuGH-Rechtsprechung haben jedoch nach wie vor lediglich eine Handvoll Staaten in nationales Recht umgesetzt (siehe Kasten).

„Wenn man in diesem Bereich Rechtssicherheit schaffen will, dann geht es nur mit gesetzlichen Vorschriften“, so eine ranghohe deutsche Beamtin kurz vor dem Treffen der Gesundheitsminister in Aachen. „Es stellt sich lediglich die Frage, welche Punkte man rechtssicher machen will: nur die Kostenerstattung oder vielleicht auch andere Aspekte.“

Auf solche Details aber will sich der Kommissar noch nicht festlegen. „Wir sind noch ganz am Anfang“, machte Kyprianou in Aachen deutlich. Außer Frage steht jedoch, dass sich das Problem der Kostenerstattung von Auslandsbehandlungen nur gesetzlich lösen lässt. Dieses ließe sich über eine Ergänzung der seit 1971 geltenden Verordnung zur Koordinierung der Sozialschutzssysteme regeln. Denkbar wäre auch, dass die Kommission eine eigenständige Gesundheitsdienstleistungsrichtlinie auf den Weg bringt, die darüber hinausgehende Aspekte, beispielsweise Vorschriften zur Haftung, beinhalten könnte.

BZÄK warnt vor Regelungswut

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) warnt in ihrer Stellungnahme zum Konsultationsprozess an die Kommission jedoch vor allzu viel Regelungswut: „Allenfalls könnte eine sektorale Richtlinie vorschreiben, dass der grenzüberschreitend tätige Erbringer von Gesundheitsdienstleistungen den Nachweis einer Haftpflichtversicherung vorlegen muss. Auf keinen Fall darf es zu einer europaweiten Regelung der Gefährdungshaftung mit einer Einführung der Beweislastumkehr kommen.“ Dies könnte enorme Folgekosten für die Gesundheitssysteme haben und zu einer Defensivmedizin führen, so die BZÄK.

„Wir werden in den nächsten Monaten in Ruhe darüber nachdenken, welche Aspekte wie geregelt werden sollen“, sagte Kyprianou. Noch vor Ende dieses Jahres will er einen Regelungsvorschlag vorlegen. Über diesen hätten dann sowohl das Europaparlament (EP) als auch die Minister mit zu entscheiden.

Wie weit die in Aachen zur Schau gestellte Einigkeit zwischen den Ländern und der Kommission reicht, wenn es um die Details geht, wird sich dann zeigen. Denn die Staaten wachen weiterhin mit Argusaugen darüber, dass Brüssel ihnen bei Fragen der sozialen Sicherung nicht allzu sehr reinredet. Ein einheitliches europäisches Krankenversicherungssystem wäre jedenfalls aus Sicht vieler Regierungen ein Albtraum.

Vertreter der deutschen Bundesländer fürchten ebenfalls, dass die EU über gesetzliche Regelungen zu stark in die Struktur- und Planungshoheit eingreifen könnte. Anfang März hat sich die Gesundheitsministerkonferenz deshalb dafür ausgesprochen, die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen vor allem durch bilaterale und regionale Kooperationen auszubauen und auf rechtliche Vorschriften möglichst zu verzichten.

Wie sich das EP positionieren wird, ist noch nicht absehbar. Zwar gibt es auch aus den Reihen der Abgeordneten Vorschläge, welche Aspekte der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung geregelt werden sollten und welche nicht. So fordern beispielsweise Vertreter des Binnenmarktausschusses, ein System zu schaffen, das es den Behörden ermöglicht, Informationen über Erbringer von Gesundheitsdienstleistungen auszutauschen. Ansprüche nationaler Versicherungen gegen medizinische Dienstleistungserbringer aus anderen Staaten bei Behandlungsfehlern wiederum, so ein weiterer Vorschlag, sollten über ein europaweites Netzwerk von Schiedsstellen abgewickelt werden.

Widerstand bei den Abgeordneten

Weitreichende gesetzliche Vorschriften, um den europäischen Gesundheitsmarkt zu regeln, stoßen jedoch auch bei zahlreichen Europaabgeordneten auf Widerstand. „Bevor die EU zu gesetzlichen Maßnahmen greift, muss bekannt sein, wie sich diese konkret auf die nationalen Gesundheitssysteme auswirken können“, so der CDUMann und Allgemeinarzt Dr. Thomas Ulmer.

Damit liegt Ulmer weitgehend auf einer Linie mit der ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverwaltung. Sie fordert unter anderem, vor der Einführung neuer Regelungen eingehend zu prüfen, inwieweit die bestehenden rechtlichen Vorgaben ausreichen, um die Freizügigkeitsrechte von Patienten und Heilberuflern im europäischen Binnenmarkt zu gewährleisten. Dies gilt beispielsweise für die Richtlinie zur Anerkennung der Berufsqualifikationen reglementierter Heilberufe. Bis 20. Oktober haben die EUStaaten noch Zeit, die EU-Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.

Die Auffassung der Vertretungen der Zahnärzte und Ärzte soll immerhin ebenso Grundlage für einen Regelungsvorschlag aus Brüssel sein, wie die zahlreichen anderen Zuschriften, die der Gesundheitskommissar auf seinen neun Punkte umfassenden Fragekatalog zum Gemeinschaftsrahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen erhalten hat.

276 Antworten sind zwischen Ende September vergangenen Jahres und Ende Januar bei der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz eingegangen. Neben EU-Regierungen, regionalen Behörden, internationalen Organisationen, Forschungseinrichtungen und der Industrie haben sich auch zahlreiche Interessengruppen aus dem Gesundheitswesen sowie Einzelpersonen an der Konsultation beteiligt.

„Die meisten von ihnen sprechen sich dafür aus, Rechtsetzungselemente mit unterstützenden Maßnahmen der EU zu verbinden, die die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Gesundheitssystemen fördern sollen“, fasste Kyprianou das Ergebnis der Konsultation zusammen. Gleichwohl gehen die Meinungen darüber auseinander, welches Rechtsinstrument sich für gesetzliche Regelungen am besten eignet.

Es sei jedoch deutlich geworden, dass keiner der Akteure im Gesundheitswesen die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Leistungen gesetzlich einschränken will, betonte der Kommissar. Kein Wunder: Denn der Umfang an Leistungen, die ein Versicherter im EU-Ausland nachfragt, ist sehr gering. Zwar erwarten einige Akteure einen starken Anstieg. Der Anteil der Kosten für grenzüberschreitende Behandlungen beträgt derzeit jedoch gerade mal rund ein Prozent der Gesamtausgaben der Kassen. Nur in den Grenzregionen oder Urlaubsgebieten machen die EU-Bürger reger von den Möglichkeiten der EU-weiten freien Arztwahl Gebrauch.

Die Antworten auf die Umfrage der EUKommission haben aber auch gezeigt, dass Klarheit darüber herrschen muss, für welche Behandlungsfälle eine vorherige Genehmigung erforderlich ist. So sieht die EuGH-Rechtsprechung vor, dass sich Versicherte für eine geplante stationäre Behandlung im Ausland vorab grünes Licht von ihrer Kasse holen müssen. Allerdings gehen in Europa die Auffassungen darüber, was genau unter einer stationären Versorgung zu verstehen ist, auseinander. Diesen Punkt zu klären, wird daher nicht ganz einfach sein. Für Zündstoff könnte auch die so harmlos klingende und von den meisten Akteuren im Gesundheitswesen mitgetragene Forderung sorgen, das Informationsangebot über Leistungen und Qualität der Versorgung sowie der Leistungserbringer zu verbessern. Das soll den Gesundheitsmarkt transparenter machen und den Patienten die Entscheidung für ein Versorgungsangebot im In- oder Ausland erleichtern.

Definition schwierig

Doch schon bei der gewünschten Eingrenzung des Begriffs Gesundheitsdienstleistungen fangen die Schwierigkeiten an. Die Mitgliedstaaten haben mitunter sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter medizinischen, psychologischen, pflegerischen oder sozialen Leistungen zu verstehen ist. Gleiches gilt für die Definition einer „notwendigen Behandlung“.

Viele Teilnehmer halten es nach Aussage der Kommission zudem für sinnvoll, mit europäischer Unterstützung das Qualitätsund Sicherheitsniveau der Gesundheitsversorgung zu verbessern, beispielsweise durch Leitlinien und Indikatoren. Dieser Vorschlag zielt unter anderem auf eine regelmäßige Fortbildung ab, die nicht in allen EU-Staaten gleichermaßen verbindlich vorgeschrieben ist. Auch hierüber dürfte es noch einige Diskussionen geben.

Weitere Vorschläge betreffen den Austausch von Patientendaten zwischen den EU-Staaten, verknüpft mit der Forderung nach einem Ausbau telemedizinischer Infrastrukturen und einem EU-weiten Monitoring der Mobilität der Gesundheitsdienstleister. Die italienische Regierung sowie diverse Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen schlagen darüber hinaus die Einführung einer Health Professional Card vor. Einige Teilnehmer der Konsultation sprechen sich darüber hinaus dafür aus, ein einheitliches Kostenübernahmeschreiben zu entwickeln und europaweit das elektronische Rezept einzuführen. Die Kommission sehen sie zudem in der Pflicht, die gemeinsame Nutzung von Innovationen und Investitionen im Gesundheitswesen durch eine ausreichende Bereitstellung von finanziellen Mitteln aus den europäischen Strukturfonds zu fördern.

Petra SpielbergRue Belliard 197/b4B-1040 Brüssel

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