Leitartikel

Schöne neue Zahnarztwelt

Heftarchiv Meinung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

muss, wer Visionen hat, zum Arzt? Altbundeskanzler Helmut Schmidt wird – zumindest in diesem Punkt – nicht zwangsläufig richtig liegen. Malen wir sie uns doch einmal aus, die Vorstellung von der schönen neuen Zahnarztwelt, wie sie von Schmidts Namensnichte Ulla eingestielt wurde:

Schreiben wir doch einmal den 10. Juni 2012, kurz vor zehn. Ein strahlender Sonntagmorgen. Anton Alias ist auf dem Weg zu seiner Zahnärztin. Alias hat Probleme mit dem Zahnfleisch und ist bei Dr. Margitta Moritz, M.A., in Behandlung. Die ist Fachzahnärztin für Parodontologie und behandelt ihre Patienten in einer schicken Praxis in einem Neubau auf der Frankfurter Zeil.

Alias ist noch nicht lange ihr Patient. Die Praxis hat er sich kürzlich im Internet ausgesucht, im Verbraucherportal qualimedic.de, weil sie so gute Patientenratings hatte. Vorher war er ein paar Mal in der „King-Zahn“- Niederlassung im Industriegebiet, gleich neben IKEA und Toys ‘R’ Us. Aber irgendwie ging es da hektisch zu, jedes Mal hatte er einen anderen Behandler. Eigentlich wäre er am liebsten bei seinem alten Hauszahnarzt geblieben. Nur hat der vor zwei Jahren die Praxis geschlossen und ist in den vorzeitigen Ruhestand gegangen. Zuviel Konkurrenz, hat er gesagt. Und dann gab es gar keinen Zahnarzt mehr in seinem Dorf im Taunus.

Zwischenzeitlich hatte er es bei ZA Bolte, einem Franchisenehmer der in Funk und Fernsehen gerühmten bundesweiten Praxiskette „Z-Meck“ versucht. Der Termin war – wie von tausenden anderen Patienten der Zahnfabrik auch – bereits vereinbart, bis er in der Zeitung las, dass die Zentrale ausgerechnet ihrem Franchiser Datenstrom und Zahnersatz versagt hatte. Die Gründe dafür blieben laut Presse unklar. Klar tat hingegen die Zentrale in den Medien kund, dass ihr Franchiser manisch depressiv sei. Und mit solchen Doktoren will auch er nichts zu tun haben. Dann doch besser Frau Dr. Moritz.

In ihrer Praxis fühlt sich Alias gut aufgehoben, auch wenn es eigentlich nicht ihre Praxis ist. Sie arbeitet hier nur Freitag bis Sonntag, zusammen mit zwei anderen Zahnärztinnen in Teilzeit, die auch Kinder haben. Eigentümer der Praxis ist Dr. Manuel Max, der mit seinen elf Praxen in Frankfurt, Wiesbaden und Mainz mittlerweile ein dentales Mittelstandsunternehmen aufgebaut hat.

In den zurückliegenden fünf Jahren, als die Verkaufspreise für Zahnarztpraxen immer mehr in den Keller gegangen waren, hat er gezielt Praxen aufgekauft. Doch der Wettbewerb setzte ihm ganz schön zu. Immer wieder war er gezwungen, mit einzelnen Krankenkassen Pauschalleistungsverträge abzuschließen, die sich betriebswirtschaftlich kaum rechneten. Zum Glück hat ihm dann wenigstens seine KZV die Vertragsabswicklung abgenommen.

Schließlich setzte Max alles auf eine Karte. Unter dem Markennamen „Parocare“ eröffnete er Parodontitis-Fachpraxen. Das zahlte sich spätestens aus, als der Gesetzgeber vor gut einem Jahr ein Festzuschusssystem für Parodontalbehandlungen einführte. Jetzt brummt der Laden.

Dennoch hat er neue Probleme: Eine große Krankenkasse hat ihm einen lukrativen Einzelvertrag angeboten – nur darf er dafür ausschließlich Fachzahnärzte beschäftigen. Alternativ liegt ihm der Rahmenvertrag seiner KZV auf dem Tisch, den die mit gesetzlichen Krankenkassen und privaten Versicherungen abgeschlossen hat und die die höheren Betriebskosten im Rhein-Main-Gebiet berücksichtigen. Und dann ist da noch der jüngste Gewerbesteuerbescheid seines Finanzamtes ...  

Nun, vielleicht hatte Helmut Schmidt doch Recht. Wen solche Visionen heimsuchen, der sollte vielleicht doch zum Arzt!  

Aber jenseits aller Spekulationen: Noch können wir selbst in einem zwangs- und scheinliberalisierten System unsere Chancen wahrnehmen und uns um unsere Patienten kümmern. Und das Gute ist: Auch, wenn Gesetze und Verordnungen sich rasend schnell ändern, menschliches Verhalten wandelt sich, glaubt man Sozio-, Ethnologen oder Genetikern, ausgesprochen langsam. Phantasie braucht man nicht, um sich vorzustellen, dass bei zunehmender Gleichstellung von PKV und GKV findige Leute neue Wege suchen. Ist der Weg über die private Vollversicherung verbaut, wird der Markt die „sehr private“ oder „ganz private“ Variante finden – sprich: Auch die zahnärztliche Welt wird sich weiter drehen.  

Unser aller Herausforderung ist, in diesem sich abzeichnenden Strukturwandel für Waffengleichheit zu sorgen. Für den Zahnarzt, der bisher auf herkömmlicher Basis mit seinen Stammpatienten sein Auskommen hatte. Er und seine Kollegen – und nicht die Praxisketten – decken das Gros der zahnärztlichen Versorgung in Deutschland.

Macht das Mut? Zumindest lässt sie mit unser aller Hilfe die Schreckensszenarien dort, wo sie hingehören: In die schöne neue Welt von Huxley und Co.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV

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